15. Florian - kein Ersatz

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15. Florian - kein Ersatz

It's the most wonderful time of the year - Andy Williams

***

„Darf ich dich was fragen?", flüsterte ich in die Stille der Nacht hinein. Nachdem wir gegessen hatten, und uns endlich verziehen konnten, langen wir aneinander gekuschelt im Bett. Augenblicklich merkte ich, dass sich Michael kurz versteifte, blickte zu ihm auf und lächelte ihm zu, um zu zeigen, dass ich auf keine weiteren Streitereien an diesem Abend aus war. Griff nach seiner Hand und küsste seine Fingerknöchel, einen nach dem anderen, bis die Anspannung wieder aus seinem Körper wich.

„Immer doch...", sagte er und es klang bei weiten nicht so unbeschwert, wie unser Geplänkel zuvor. „Erzählst du mir von Lukas?", bat ich etwas schüchtern, weil die Fragen in meinem Kopf einfach keine Ruhe gaben. Eigentlich sollte es egal sein und doch war es ein großer, wichtiger Teil seines Lebens. Ich hatte die Emotionen in seinem Gesicht gesehen und wenn ich ehrlich war, war ich sogar ein klein wenig eifersüchtig auf diesen unbekannten Mann, der Michael immer noch so viel bedeutete. Dumm, ich wusste es ja selbst. Immerhin waren sie verheiratet. Das hatte etwas zu bedeuten. Und dann, der tragische Unfall und auch sein endgültiges Ableben klang nicht nach einem Zuckerschlecken. Papa hatte recht, ich konnte mir gar nicht ausmalen, was er in dieser Zeit alles hatte durchmachen müssen. Dass ihm dieser Mann immer noch wichtig war, wahrscheinlich immer wichtig sein würde, war selbstverständlich und mir auch voll bewusst. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass er, wenn er kein Gesicht bekam, keine Geschichte hatte, immer zwischen uns stehen würde. Wenn er aber kein Geheimnis mehr darstellte, für mich greifbarer wurde, konnte ich für mich besser damit umgehen.

„Was möchtest du denn wissen?", wollte Micha nach einer Weile wissen, griff nach einer Strähne meines Haares und wickelte sie sich um den Finger. „Ich weiß nicht...", sagte ich und zuckte etwas verloren mit den Schultern. Alles! Lag mir auf der Zunge, doch ich entschied mich für den Anfang, nur für ein paar wenige Fragen. „Wie er war? Wie ihr euch kennen gelernt habt? Wie lange ihr verheiratet wart ... einfach so die Höhepunkte eures gemeinsamen Lebens.", setzte ich hinzu und schloss die Augen. Seufzend lehnte sich auch Michael zurück. „Aber du musst nicht, wenn du nicht magst.", beeilte ich mich zu sagen, weil ich irgendwie fürchtete, dass ich in etwas ganz Privates eindrang, was mir gar nicht zustand. „Schon gut...", erwiderte er, beugte sich vor und küsste meinen Scheitel. „Es ist kein Geheimnis...", fügte er hinzu. „Ich hab Lukas schon im Kindergarten kennengelernt.", fing er an zu erzählen. „Eine Sandkastenliebe?", fiel ich ihm grinsend ins Wort und stellte mir einen dreijährigen Micha im Sandkasten vor. „Ja, so ähnlich.", gab er lächelnd zu und wirkte etwas verloren. „Wir waren schon immer Freunde, schon seit ich denken kann, und nach und nach wurde aus unserer Freundschaft mehr. Er wusste schon früh was er wollte. Mit dreizehn hatte er sich geoutet, mit fünfzehn kamen wir zusammen. Zu unserem fünfjährigen hat er mir einen Antrag gemacht und zwei Jahre später haben wir geheiratet." „Dann wart ihr ja über zehn Jahre verheiratet ...", nutzte ich die Pause, die er einlegte und feil ihm ins Wort. Über zehn Jahre... Das war eine verdammt lange Zeit. Während ich mit Liebeskummer und wechselnden Partnerschaften zu kämpfen hatte, war er sein Leben lang in einer einzigen Beziehung gewesen. Mit ein und demselben Mann, und irgendwie beneidete ich ihn ein bisschen dafür, schon so früh gewusst zu haben, was er wollte und es auch gefunden zu haben. „Hmm.. ja...", sagte er schlicht und schwieg, schien in Gedanken weit weg zu sein.

„Wie war er denn so?", wollte ich wissen, weil ich immer noch kein konkretes Bild im Kopf von ihm hatte. Außer, dass er wusste, was er wollte und das schien in erster Linie, wohl mein Michael gewesen zu sein. „Hmm ...", seufzte Micha. „Lukas war wild, draufgängerisch und vorlaut. Aber auch liebenswert, stand für jeden ein und hasste Ungerechtigkeiten. Er war ein Kämpfer. Immer auf der Suche nach einem Abenteuer. Keine Gefahr war zu groß, keine verrückte Idee zu leichtsinnig...", sagte er und es klag ganz schön viel Bitterkeit durch, dafür, dass es eigentlich ganz liebe Worte waren. „Hatte er deswegen auch den Unfall?", fragte ich vorsichtig, in der Hoffnung in kein Fettnäpfchen zu treten und ihn irgendwie mit unbedachten Worten zu verletzten. „Nein. Daran war er ausnahmsweise nicht mal selbst schuld. Ein Autofahrer hat ihn auf einer Kreuzung erfasst, weil er ein Stoppschild überfuhr und ihn auf Grund der tiefstehenden Sonne nicht kommen gesehen hatte..."
„Das tut mir leid...", sagte ich sanft und küsste seinen Handrücken. „Das muss schrecklich gewesen sein." „War es, ja.", antwortete er tonlos und wir waren wohl an einem Punkt angekommen, an dem die Stimmung völlig zu kippen drohte. „Wie sah er denn aus? Und noch viel wichtiger, bin ich hübscher?", fragte ich schnell und wippte grinsend mit den Augenbrauen. Ich wollte nicht, dass er traurig war, nicht, dass ich ihn mit meiner Neugierde traurig machte. Fragend verzog er das Gesicht, als würde er ernsthaft darüber nachdenken, bevor er lächelte. „Nein, niemand ist hübscher als du. Du bist der Schönste im ganzen Land. Und nicht mal Schneewittchens Prinz hinter den Bergen, im Wald bei den Sieben Zwergen, ist schöner als du.", gab er zurück, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Er wollte, versuchte es merklich, konnte die Vergangenheit aber nicht abschütteln. Schien gefangen in dem Schmerz.
„Du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit Nicky...", konterte ich kopfschüttelnd, beugte mich vor und hauchte einen Kuss auf seine Nasenspitze. „Zeigst du mir ein Bild von ihm?", bat ich anschließend, doch er zögerte. Dann, nachdem er sich scheinbar so seine Gedanken gemacht hatte, lehnte er sich rüber zum Nachtischchen, holte sein Handy, suchte eine Weile, bevor er es mir wortlos hinhielt. „Oh wow.", entkam es mir etwas sprachlos.

Ein junger Mann, komplett in Motorradkluft blickte mir entgegen. Mit breiten Schultern, schmalen Hüften und langen zu einem Zopf gebunden blondem Haar. Er sah gut aus und seine ganze Ausstrahlung strotzte von Selbstbewusstsein, genauso wie das eisblau seiner Augen. „Er hat ja rein gar nichts von mir.", entkam es mir und zeitgleich bereute ich es. Denn kaum waren die Worte draußen, versteifte sich Michael erneut. „Du sollst ja auch nicht sein Ersatz sein!", sagte er streng und ich konnte regelrecht die Gewitterwolken sehen, die über ihm hingen. „So hab ich das gar nicht gemeint!", beeilte ich mich hinterher zu setzten. „Ich meinte damit, oft hat man ja einen Typ auf den man steht... Keine Ahnung, groß, blond, durchtrainiert.", redete ich mich um Kopf und Kragen und bemerkte jetzt erst, dass ich dabei Lukas beschrieb. „Idiot...", murmelte Micha und schüttelte den Kopf. „Vielleicht steh ich auch einfach auf Augen, die mich anstrahlen, Lippen die mich anlächeln, die beben, wenn ich sie Küsse...", dabei beugte er sich vor und berührte meine mit den seinen. „Arme, die mich an sich ziehen...", machte er rau weiter und ließ seine Finger über meine Arme gleiten. Sorgte dafür, dass sich mir die Härchen aufstellten und eine Gänsehaut folgen ließen. „Einen Körper, der mich auffing, als ich es am meisten brauchte. Einen Mensch ...", wieder berührte er meine Lippen. Federleicht und doch elektrisierend. „Der mir Liebe schenkte. Besinnungslos, ohne Fragen zu stellen. Ein Mann, der mir meine Fehler verzieh. Mir eine zweite Chance gab..." Er rückte etwas ab. „Denkst du nicht...", flüsterte er heißer. „Das das mehr wert ist, als eine Augenfarbe, eine Haarfarbe?" Mein Mund war ganz trocken und ich wusste nicht recht, was ich darauf erwidern sollte, immerhin hallten seine Worte immer noch in meinem Inneren wieder. Ließen das Ungeziefer in meinem Magen Purzelbäume schlagen. Und wenn er mich so ansah, wie jetzt, hatte ich keine Zweifel, dass ich mehr war für ihn. Mehr, als nur ein Trostpflaster, mehr als eine Übergangslösung, ein Ersatz.
„Ich war in meinem Leben nur zwei Mal verliebt, also keine Ahnung was mein Typ ist. Ich weiß nur, dass du für mich einzigartig und perfekt bist...". Kurz hielt er inne, schluckte, räusperte sich. „Wäre dem nicht so, wäre ich jetzt nicht hier." Langsam hob er den Blick, den er zuvor gesenkt hatte, und sah mir direkt in die Augen. „Für all das, liebe ich dich Florian ..."

„Ich liebe dich auch ...", erwiderte ich und überbrückte die Distanz zwischen uns. Wollte ihn spüren. Musste es. „Ich weiß...", seufzte er zwischen zwei Küssen. „Hmmm...?", machte ich und irgendwie konnte ich mich gar nicht mehr so recht auf unser Gespräch konzentrieren. „Als ich bei dir im Apartment aufschlug, da konnte ich es in deinen Augen sehen. Hinter all der Wut, war immer noch dieser Funke in deinen Augen, der nur dann aufleuchtet, wenn du mich ansiehst ... das gab mir Hoffnung mit dir zu gehen..."

ENDE

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Noch nicht ganz so endgültig... ;) einen Epilog und ein Valentins- Bonuskapitel gibt es noch...

Ein schönes 4tes Adventswochenende!

Jo

Last Christmas - my fuckig life as a x-mas soundtrack Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt