6. Michael - die Familie

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6. Michael - die Familie

Jingle Bell Rock · Bobby Helms

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Die Tafel, an der die ganze Familie von Flo bereits Platz genommen hatte, war reichlich gedeckt. Es wurde auch schon wild durcheinander gesprochen und gelacht, als wir das Esszimmer betraten.

„Floliii", rief Nicky aus, kletterte von dem Schoß seiner Mutter und lief auf uns zu. Augenblicklich ließ Florian mich los, ging in die Hocke, um den kleinen Mann aufzufangen und an sich zu drücken. „Na, Großer? Alles gut?", fragte er und strahlte seinen Neffen an. Gott, was hätte ich dafür getan, wenn er mich noch einmal so ansehen, so anlachen würde. Diese hellbraunen Augen, die dabei strahlend aufleuchteten, und mich einmal mehr daran erinnerten, wie schön es war, als er mich so angesehen hatte.

Der kleine Mann streckte seine Hand aus und verstrubbelte das braune Haar, welches Flo mittlerweile bis zu den Wangenknochen reichte. Und wieder beneidete ich den Kleinen. Am liebsten hätte ich die Zeit zurückgedreht. Nur wie weit zurück, da konnte ich mich nicht entscheiden. Ein Jahr, oder gleich drei?
Gut nur, dass das Leben kein Wunschkonzert darstellte, und man selbst solch schwerwiegenden Entscheidungen nicht treffen musste.

Mit Sicherheit hätte ich die Zeit ein paar Jahre zurückgedreht, und hätte es in meiner Macht gestanden die Ereignisse zu ändern, wäre ich Flo wohl nie begegnet. Und da waren sie wieder, diese bescheuerten Schuldgefühle, die mich innerlich auffraßen. Auch wenn ich Lukas liebte, ihn ein Teil von mir immer lieben würde, sträubte sich der restliche Teil von mir, Flo aus meinem Leben, aus meinen Erinnerungen zu streichen. Ihn nie kennen gelernt zu haben, ihn nie lieben gelernt zu haben, das wollte ich einfach nicht missen. Und jetzt? Jetzt, hatte ich beide verloren. Aus Angst, und aus den falschen Idealen.

„Wie seid ihr zusammen gekommen? ", fragte Flos Bruder. „Ist es eine romantische Gesichte?", fiel Lucy mit ein und zwinkerte ihrem Bruder zu. „Wer hat den ersten Schritt gemacht?", wollte seine andere Schwester wissen und grinste ebenfalls. „So einen Hübschen hast du gar nicht verdient!", setzte sein Bruder noch einen drauf und der Mann neben mir versteifte sich zunehmend immer mehr. Presste die Kiefer aufeinander, so dass ich befürchtete, er würde gleich platzen. „Genau ...", pflichtete ihm seine große Schwester lachend bei. „... versau es nicht wieder!"

Oh scheiße! Fluchte ich innerlich, legte meinen Arm beschützend um seine Schulter, versuchte die Panik in meinem Inneren niederzukämpfen und dabei irgendwie aufrichtig zu lächeln. „Keine Sorge.", richtete ich an die beiden Ältesten und klang überraschend fest. „Es gibt nichts, was Flo machen könnte, um mich zu vergraulen.", versicherte ich und es entsprach tatsächlich der Wahrheit. Wenn er mir nur eine Chance geben würde, nur noch ein. Ein zweites Mal würde ich es nicht wieder versauen.

Daraufhin ließen sie die Fragen und auch wir durften unsere Plätze am Tisch einnehmen. Seine Mutter kam mit einem Braten aus der Küche, der herrlich duftete, was dafür sorgte, dass wir nicht mehr im Mittelpunkt standen, weil nun alle mit dem Essen beschäftig waren, statt uns weiter mit Fragen zu bombardieren. Auch wenn es zum Teil berechtigte Fragen waren, auf die wir früher oder später, wohl oder übel eine Antwort parat haben sollten.

Der Abend schritt voran, ich nippte hin und wieder an meinem Rotwein, während Flo neben mir sein zweites Bier in einem Zug leerte. Er unterhielt sich lachend mit den Leuten am Tisch und sah mich nicht ein einziges Mal an, während ich ihn in aller Ruhe beobachten konnte.

Das hellbraune Haar war länger geworden und betonte sein Gesicht nur noch mehr. Er sah schön aus. Hatte er schon immer und ich fragte mich mal wieder, wie ich so dumm sein konnte, gehen zu können, statt ihm einfach alles zu erzählen. Er war so ein herzensguter Mensch, wenn er nicht gerade sauer auf mich war, er hätte mich und meine Situation verstanden. Stattdessen hatte ich ihm die Schuld gegeben, für etwas, das ich mir zusammenfantasiert hatte. Natürlich wollte er mich seiner Familie vorstellen, natürlich war ich ein Teil seines Lebens, er konnte doch nicht ahnen, dass ich innerlich noch nicht bereit war loszulassen. Noch immer zwischen den Stühlen saß und mich mit jedem Tag, mit jedem Kuss schuldiger fühlte. Ihm gegenüber. Lukas gegenüber und zu guter Letzt mir selbst.

Last Christmas - my fuckig life as a x-mas soundtrack Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt