EINS

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Ich laufe durch die Straßen von Stuttgart.

Ich mache dort einen vierwöchigen Urlaub, also den ganzen Juli, weil ich mit meinen 17 Jahren lernen will, mal Abstand von meiner Familie und meinem Bekanntenkreis zu bekommen.

Wieso aber gerade Stuttgart? Keine Ahnung, mir gefällt diese Stadt, und da ich meinen Eltern versprochen habe, halbwegs in der Nähe zu bleiben, hab mich für diese Stadt entschieden. Ich gehe gerade durch die Innenstadt, alleine, ich höre Musik zum Abschalten.

Es ist gar nicht so schlimm wie erwartet, allein zu sein.

Man kann über alles nachdenken, einfach mal nur an sich denken. Man muss sich nicht an anderen richten und nicht daran denken: Wen verletzt du? Was hat deine Handlung für Folgen? Keine Schule, keine Arbeit, nur ich und ein 500€-Budget meiner Eltern.

Das Hotel in dem ich wohne, Neotel by Stuttgard, ist den Verhältnissen entsprechend billig, obwohl es 4 Sterne hat. Ich habe mir das Geld dafür mit Überstunden in meinem Nebenjob erarbeitet.

Ich vermisse meine Familie noch nicht - ich bin schließlich erst ein paar Stunden da. Und ich muss sagen, ich kenne mich noch nicht so richtig hier aus. Ich renne mit einem Stadtplan vor dem Gesicht herum. Ich will heute eine kleine Stadttour machen. Doch ich komme nicht voran, weil ich an jeder Kreuzung stehen bleiben muss, um zu checken, ob ich in die richtige Richtung laufe. Es ist richtig heiß - über 30°C im Juli, ich habe mit kurzen Shorts und weitem Top zum Glück das richtige an.

Ich achte nicht auf meine Füße, ich stoße mit jemandem zusammen, der mir auch noch die Beine wegzieht - natürlich nicht mit Absicht. Mein Stadtplan fliegt weg und ich knalle mit den Knien voll auf das harte Pflaster. Ich rolle mich in eine sitzende Position und betrachte mein Knie. Das eine ist tief aufgeschlagen und blutet schon wie verrückt. Ich verdrehe genervt die Augen - es fängt ja echt gut an. Ich will gerade aufstehen, um ins Hotel oder in die nächste Apotheke zu humpeln, als mir jemand aufhilft.

"Alles okay?", fragt eine männliche Stimme. Ich schaue auf und stocke. Ich kenne das Gesicht nicht, auch wenn es sehr hübsch ist: dunkelbraune, glitzernde Augen, markante Wangenknochen, kantiger Kiefer, seine Haare sind verwuschelt braun mit einem leichten Undercut. Aber ich bin mir sicher, dass ich seinen Kleiderstil kenne: tighte Jeans, schlabbriges Tanktop und Cap mit OBEY-Aufschrift. Und seine Stimme? Ich kenne ihn doch! Aber ich komme nicht drauf und verdränge den Gedanken.

"Jaja!", sage ich genervt und will weitergehen, doch er hält mich am Arm fest.

"Warte!", sagt er. "Du blutest ja!" Stimmt, das Blut läuft mir das Bein herunter, ich drücke die Hand darauf.

"Nicht schlimm", murmle ich, auch wenn es höllisch schmerzt und das Blut nur so fließt.

"Scheiße, tut mir leid." Er lacht entschuldigend, dann sagt er: "Gleich um die Ecke ist meine Arbeit. Ich nehm dich mit hin, da haben wir Verband und alles."

"Das müssen Sie nicht", sage ich. Doch in Wahrheit bin ich beeindruckt von seiner Freundlichkeit.

"Nein, nein, komm!", sagt er. "Ich bin übrigens Carlo." Er streckt mir seine Hand hin und ich ergreife sie lächelnd und schüttle sie.

"Summer", antworte ich.

"Summer? Der Name ist aber nicht üblich für eine aus Stuttgart ."

"Ist Amerikanisch. Meine Eltern kommen von da."

Er muss lachen. "Und wer heißt heute noch Carlo? Nur Hunde oder Katzen. Aber dein Name ist schön."

Ich lache mit. Er zieht mich mit in die Richtung, in die ich sowieso wollte. Er geht locker und macht auf mich einen fröhlichen, unbeschwerten Eindruck. Ich versuche mitzuhalten, aber ich komme mit meinem Bein schwerlich hinterher. Er dreht sich nach einer Weile zu mir um und sieht, wie ich hinter ihm herhumpele.

Cro-You make my life completeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt