FÜNFUNDZWANZIG

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Also lasse ich ihn mit dem Aussteigen hinter mir. Und da steht auch schon Mama, Papa und Julie. Alle kreischen: "Summer! Summer!"

Ich ringe mir ein Lächeln ab und umarme jeden. "Wie geht's, Dicke?", sagt meine Schwester.

Und damit ringt sie mir ein kleines echtes Lächeln ab. "Gut. Und euch?"

"Auch gut. Wieso beehrst du uns jetzt schon mit deiner Anwesenheit?", grinst sie.

Und da muss ich schon das zweite Mal lügen. "Ich habe euch vermisst. Ist das verboten?"

"Natürlich nicht, Schätzchen", sagt meine Mutter schnell. Sie tupft sich die Tränen weg. Wie immer ist sie überemotional. "Wir haben nur gedacht, da wär noch was anderes. Dass du mit diesem Cro -"

"Er heißt Carlo, Mama", unterbreche ich sie hölzern. "Und ich kenne ihn fast gar nicht, ich habe mich nur einmal mit ihm getroffen. Er hat mir ein Autogramm gegeben und das war's auch schon."

Meine Schwester sieht mich komisch an. Ich bin mir sicher, dass sie es mir nicht abkauft. Sie ist einfach zu scharfsinnig. Aber mein Blick sagt ihr: Ich will nicht reden. Ich habe ihn verbannt. Fertig. Wir gehen zum Auto, wo ich mich auf die Rückbank setze und mich schlafend stelle. Die ganze halbe Stunde lang. Und ich denke wirklich nicht an ihn. Denn ich wiederhole immerwieder in Gedanken diesen simplen Satz: Denk nicht an ihn! Denk nicht an ihn! Denk nicht an ihn!

Julie tippt mich an. "Summer. Wir sind da, du Schlaftante."

Ich stelle mich verschlafen. "Schon?"

"Ja. Papa hat schon die Koffer in dein Zimmer getragen." Ich steige gähnend aus dem Auto und muss lächeln, als ich unser renoviertes Bauernhaus sehe. Es ist nicht sehr groß: Küche, Wohnzimmer, Esszimmer, Wintergarten, zwei Bäder und drei große Schlafzimmer - ich habe ein schönes Zimmer mit großen Fenster. Ich gehe lächelnd durch die Haustür. Wie ich diesen Geruch vermisst habe. Meine Eltern warten im Flur.

Ich trete verlegen von einem Bein aufs andere. "Ich glaub, ich geh schlafen. Bin total müde und so... Habt ihr was dagegen?"

Mama lächelt und sagt: "Nein, natürlich nicht." Also gehe ich die Treppe hoch und wundere mich, dass mir alle mit gespanntem Gesicht im Gänsemarsch folgen. Wieso? Denken sie, dass ich vergessen habe, wo mein Zimmer ist?! Ich stoße genervt die Tür zu meinem Zimmer auf. Und für einen kleinen Moment denke ich wirklich, dass ich mich in der Tür geirrt habe. Denn ich habe es ganz anders in Erinnerung: Blassgelbe Wände, vergilbte Gardinen, kleines Bett, Schreibtisch und Couch. Jetzt sind die Wände beige und braun, der Boden ist heller Laminat, es hängen neue Vorhänge am Fenster. Alle Möbel sind schneeweiß lackiert: Ich habe nun ein riesiges Doppelbett (für wen?, ist mein erster bitterer Gedanke), eine riesige Kommode, Schrank, Couch mit Tisch und - ich werd verrückt - ein riesiger Fernseher kombiniert mit einer ebenfalls riesigen Musikanlage.

"Oh Mama! Papa! Wann habt ihr denn das gemacht?!", frage ich außer Atem.

"Willkommen zurück", sagt mein Papa grinsend.

"Oh, danke, danke!", rufe ich.

"Gefällt es dir denn?", fragt Mama. "Wir wollten eine neutrale Farbe..."

"Es ist perfekt!" Ich lächle, auch wenn sich nun ein bisschen wieder die schlechte Stimmung ausbreitet. "Dann werde ich das neue Bett gleich einweihen."

"Okay. Schlaf schön, Schätzchen", sagt Mama. Sie wissen, dass ich alleine sein will. Sie ziehen sich taktvoll zurück. Sobald sie raus sind, schmeiß ich mein Gepäck in die Ecke und krame aus der Kommode meinen kuschligsten, pinken Depressionsschlafanzug raus. Ich zieh ihn an, mache meine Haare auf, schmeiße die Sonnenbrille weg und kuschle mich auf mein King Size-Bett. Es ist ein Wasserbett, man liegt gut darauf. Die schlimmen Gedanken kommen wieder hoch, aber ich wehre mich dagegen. Jetzt ist Ablenkung angesagt. Auf dem Nachttisch liegt eine Fernbedienung, Papa hat die wichtigsten Knöpfe beschriftet. Achtlos drücke ich auf den Play-Knopf der Musikanlage.

"Denn, Baby, glaub mir, das Beste bist du!" Ich schalte ganz schnell wieder aus. Natürlich kommt sein Lied, ich habe davor nichts anderes gehört. Aber der Schmerz, der mein Herz packt, ist fast nicht auszuhalten. Ich habe ihn gehört, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass ich all das nie gehört hätte. Ich wünsche mir, dass mein Herz ganz sei und dass er mich mögen würde. Ich wünsche mir, dass er kein Schauspieltalent hätte und dass ich so direkt gemerkt hätte, dass ich verarscht werde. Ich bin so verletzt, dass schonwieder diese dummen Tränen kommen. Nein, ich wünsche mir was anderes. Ich wünsche mir, ich hätte ihn nie gekannt. Ich halte die Schmerzen nicht mehr aus. Ich will nicht mehr. Schluchzend vergrabe ich mein Gesicht in dem weichen Kissen. Ich vermisse ihn so sehr. So sehr.

Cro-You make my life completeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt