SECHSUNDZWANZIG

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"So, aufstehen, du Schlafmütze!", ruft Julie. Ich werde verspannt wach. Es war kein erholsamer Schlaf. Im Gegenteil.

"Bist du des Wahnsinns?", murre ich. Sie reißt im Gegenzug die Vorhänge auf. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Ich will nicht aufstehen. Ich will nicht weiterleben. Ich will für immer in diesem Bett liegenbleiben und Trübsal blasen.

"Aufstehen! Na los!", flötet Julie. Seit wann ist sie ein Morgenmensch? "Ich weiß, dass du wegen Carlo depri bist, aber damit ist jetzt Schluss!"

Ich erstarre und gucke sie entsetzt an. "Wer hat dir davon erzählt?!"

Sie grinst und schmeißt sich neben mich aufs Bett. "Niemand. Aber ich merk sowas. Also raus mit der Sprache. Was ist los?"

Ich seufze und unterdrücke die Tränen, als ich ihr die ganze Geschichte erzähle (Ich lasse aber auch einiges weg: zum Beispiel die Fast-Vergewaltigung und die intimsten Momente). An der Kussstelle fasse ich mich kurz: "Wir mussten uns kurz küssen. Und ehrlich gesagt, ich glaube, da ist es für mich mehr geworden."

"IHR HABT EUCH GEKÜSST?!!", kreischt sie dagegen.

"Shht", sage ich schnell. "Kram doch gleich deinen Lautsprecher aus!"

"Tschuldige", murmelt sie. "Aber Summer! Hallooooo?! Das war dein erster Kuss! CRO war dein erster Kuss!"

"Und er hat nichts bedeutet", sage ich kühl. "Zumindest ihm nicht."

"Und ich wette mit dir, es hat ihm was bedeutet", sagt sie süffisant.

"Du kennst das Ende nicht", sage ich deprimiert. Ich erzähle ihr von dem Gespräch, das alles zerstört hat.

Sie reißt empört den Mund auf. "Das glaub ich nicht."

"In der Phase war ich auch", sage ich sarkastisch. Sarkasmus ist besser als Tränen.

Sie schüttelt den Kopf. "Ich kann das nicht glauben."

"Ich schon. Ich war nie genug für ihn."

"Red kein Blödsinn", faucht meine Schwester. "Du immer mit deinem scheiß Selbstwertgefühl!"

Tränen treten mir in die Augen. "Entschuldigung, dass ich mich habe verarschen lassen!"

"Summer, das ist alles nicht wahr. Da muss ein Missverständnis vorliegen."

"Glaub ich nicht", sage ich hart. Und das tue ich wirklich nicht. Was soll ich bei seinen harten Worten missverstanden haben?! "Und jetzt ist Schluss damit. Ich habe ihn vergessen. Und ich werde nicht mehr an ihn denken. Punkt. Ich geh jetzt runter frühstücken." Ich stehe energisch auf, wische die verdammten Tränen weg und ziehe mich an. Julie sitzt noch auf dem Bett und beobachtet mich traurig.

Als ich gerade in der Tür stehe, sagt sie: "Summer. Du wirst ihn nicht vergessen können."

Ein dicker Klos bildet sich in meinem Hals. "Ich weiß", flüstere ich erstickt zurück. Weil sie Recht hat: Ich kann ihn einfach nicht vergessen... Ich gehe ins Bad und mache mich fertig. Dann gehe ich runter. Aber Mama und Papa sehe ich nirgends. Ich gehe in die Küche und hole mir einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Viel Appetit habe ich nicht. Julie steht auf einmal hinter mir.

"Wo sind Mama und Papa?", frage ich sie.

"Schon vergessen? Sie haben beide einen Job!", erinnert sie mich.

"Stimmt." Ich reiße den Joghurt auf, doch bei dem Geruch wird mir schlecht. Ich stelle ihn weg.

"Du musst was essen", sagt sie streng, ganz die ältere Schwester. "Wie lang hast du schon nichts mehr gegessen?"

"Seit dem Videodreh nichts mehr. Und ich habe keinen Appetit." Sie will schon protestieren, da sage ich: "Julie. Ich habe genug drüber geredet. Lass mich in Frieden. Bitte, ich kann nicht mehr."

"Okay." Sie sieht mich besorgt. "Nurnoch eins. Ich habe dich noch nie so glücklich erlebt, wie mit ihm. Und deshalb musst du allein damit fertig werden." Sie schnappt sich ihre Tasche vom Stuhl. "Ich bin jetzt mal weg für ein paar Stunden. Bitte, verschließ dich nicht mehr. Setz dich damit auseinander."

Ich schüttele den Kopf. "Noch nicht. Kannst du nicht bleiben, und wir gucken einen Film oder so", bitte ich sie. Ich will nicht allein sein und mich mit den schlimmen Gedanken, die ich unterdrücke, auseinandersetzen.

"Nein, Summer. Es ist Zeit, aufzuwachen", sagt Julie sanft.

Cro-You make my life completeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt