31 | e i n u n d d r e i ß i g

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[dark red – Steve Lacy]

OWEN TELEFONIERT SCHON eine ganze Weile in der Küche mit seinem Vater, während Talia, Marissa, Clary und ich im Wohnzimmer auf der Couch sitzen, Gilmore Girls schauen und immer mal wieder abwechselnd ungeduldig zur Tür schauen.

Sein Vater ist Anwalt, er schildert ihm meine Situation und bringt in Erfahrung, wie man hier weiterhin vorgehen kann. Ich habe Angst vor dem Ergebnis, weil ich keine Ahnung habe, wie ich damit klarkommen würde, wenn irgendeine Behörde mich buchstäblich meinem »Vater« wegnehmen würde. Egal, wie schlecht mein Verhältnis zu ihm ist.

Die Gegenwart der anderen Mädchen tut mir gut und auch die Serie beruhigt mich. So muss ich mich nicht mit meinen eigenen Gedanken befassen, was mir sowieso schon schwer fällt. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich Cade vor mir. Spüre seine Hände auf meiner Haut. Ich habe schreckliche Angst, dass es mich für immer verfolgen wird.

Es ist Sonntag und morgen fängt wieder die Schule an. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich ihm unter die Augen treten soll, ohne zusammenzubrechen. Es wird ein Desaster werden. Zum Glück habe ich Clary an meiner Seite, die mich unterstützen wird.

Auch weiß ich noch nicht, ob ich ihn anzeigen werde. Es ist eine schwierige Situation. Ich meine, klar, ich will, dass er dafür büßt und wenn ich daran denke, dass es schon anderen Mädchen angetan hat, bei denen er auch nicht unterbrochen wurde, sondern seine Schreckenstat vollendet hat, kommt mir die Galle hoch.

Aber ich weiß nicht, ob ich es schon schaffe, bei der Polizei noch einmal alles zu erzählen.

Endlich geht die Küchentür auf und wir alle vier richten uns gleichzeitig auf.

»Und?« Marissas Gesicht ist besorgt. Ich kenne sie noch nicht so gut, aber es bedeutet mir viel, dass sie so für mich da ist und dies auch noch als selbstverständlich ansieht.

Owen geht zu uns herüber und setzt sich neben mich. Ich drehe mich zu ihm und schaue in sein ernstes Gesicht. »Es gibt Möglichkeiten. Aber du wirst einen Anwalt brauchen, der dich unterstützt. Mein Vater wird dafür nicht infrage kommen, da er nicht mehr objektiv auf das Thema blicken kann und mir zu nahe steht. Das wäre keine gute Bedingung. Wir werden jemanden für dich finden.«

Ich nicke langsam und plötzlich fällt mir etwas ein. »Was ist mit meiner Agentin? Könnte sie mir nicht auch in dieser Sache helfen? Sie kennt sich doch auch mit rechtlichen Sachen aus und kann vielleicht besser beurteilen und hilfreich sein, wenn es auch um Modelverträge und anderes geht.«

Owens Miene hellt sich auf. »Ja, du hast recht. Das könnte klappen.«

Marissa schaltet schon den Fernseher aus. »Los, lasst uns hinfahren.«

Ohne zu zögern stehen wir alle auf und ziehen uns Schuhe an.

Im Treppenhaus flucht Clary laut auf und starrt auf ihr Handy.

»Was ist los?«, frage ich und trete neben sie.

Sie presst die Lippen aufeinander und sieht mich an. »Meine Eltern wollen unbedingt, dass ich nachhause komme. Sie sind stinksauer. Ich war das ganze Wochenende weg und habe ihnen nicht einmal geschrieben.« Sie seufzt und steckt ihr Telefon in ihre Tasche. »Was soll's, jetzt müssen sie eben noch ein bisschen warten.«

Ich schüttle schnell den Kopf. »Nein, Clary, ist schon gut, geh ruhig. Deine Eltern machen sich Sorgen um dich. Ich schaffe das auch ohne dich.« Bittend sehe ich sie an und merke, dass sie innerlich mit sich kämpft. Sie will nicht gehen, aber auch sie weiß, dass sie es sollte.

Schließlich scheint sie einzuknicken und seufzt laut. »Bist du ganz sicher?« Sie berührt meine Schulter.

»Ja, ich schwöre es.« Ich versuche, sie anzulächeln, aber es fällt mir schwer. Ich habe einen Kloß im Hals.

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