07 | s i e b e n

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[I lost a friend - Finneas]

TIEF ATME ICH einmal durch und lege dann die Hand an den Autotürgriff. Schwer liegt sie darauf, bleibt aber einfach ruhig an einer Stelle, ohne sich zu bewegen.

Reiß dich zusammen, spreche ich mir selbst Mut zu. Was kann denn passieren?

Zittrig atme ich aus und streiche mir den Jeansstoff meiner Hose glatt, obwohl er schon faltenlos ist.

Dann gebe ich mir einen letzten Ruck und drücke den Griff nach unten, öffne die Autotür und steige nach draußen.

Schnell fische ich meine Tasche von der Rückbank und schließe dann den Wagen ab.

Als ich anfange über den Parkplatz zu laufen, direkt auf den Eingang zu, bemerke ich die ersten neugierigen, stechenden Blicke.

Alle schauen sie in meine Richtung, zermartern sich wahrscheinlich gerade darüber das Hirn, wer die Neue ist. Dabei bin ich es. Sydney. Aber natürlich wissen sie gar nicht, wer ich bin. Wussten es noch nie. Bemerkten mich noch nie.

Ich höre die Kommentare mancher Jungs, wie sie tuscheln: »Guckt euch mal die an!«, »Alter, ist die heiß!« oder »Die ist wirklich hübsch!«

Ich höre die Mädchen, wie sie ihre Blicke über mich gleiten lassen und sagen: »Wow, sie ist echt hübsch.«, »Wer ist sie?« und »Habt ihr sie hier schon mal gesehen?«

Einige Typen bleiben stehen schauen mir hinterher, pfeifen mir nach.

Und da, endlich, falle ich aus der Schockstarre und spüre, wie mich ein überwältigendes Gefühl übermannt. Ein Gefühl, das sich nicht beschreiben lässt, das ich noch nie vorher gespürt habe.

Das Gefühl gesehen zu werden. Beachtet zu werden. Womöglich gemocht zu werden. Aufmerksamkeit zu bekommen.

Das alles überflutet mich und ein glückliches Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, bleibt dort kleben, als wäre es immer dort.

Ich betrete mit einem Schwung das Schulhaus und werfe Blicke zu allen Seiten. Selbstsichere Blicke. Selbstbewusste Blicke. Genau diese, die ich nie hatte. Aber das ist jetzt vorbei.

Kaum sehen mich die Schüler, starren sie mich an. Eine Gasse bildet sich vor mir, die Masse teilt sich um mir Platz zu machen. Ich kann es kaum glauben.

Ich hätte niemals gedacht, das sich so viel Aufmerksamkeit wirklich so gut anfühlt, wie man es sich erzählt. Aber jetzt habe ich keine Zweifel mehr. Es ist berauschend. Wenn man im Mittelpunkt steht. Wenn alle Augen auf einen gerichtet sind. Und die Blicke mit Bewunderung und nicht mit Verachtung gefüllt sind.

Ich komme bei meinem Spind an und lächle ein paar Typen an, die davor stehen und mich an gaffen.

»Kann ich mal durch?«, frage ich und lege den Kopf schief. Keiner rührt sich, sie schauen mich noch immer an.

Ich ziehe die Brauen hoch und dann, endlich, setzt sich einer der Jungs in Bewegung und rutscht von der Wand weg, macht mir den Weg frei zu meinem Spind.

Ich schließe ihn auf und hole meine Sachen heraus, spüre immer noch alle Blicke in meinem Rücken.

Dann drehe ich mich um und schließe die Spindtür. Ich richte meinen Blick nach vorne und treffe einen mir altbekannten Blick.

Braune Augen, dunkelblondes Haar, vertraute Gesichtszüge.

Genau auf der anderen Seite des Gangs steht Clary und starrt mich an.

Neben ihr stehen ein paar andere Mädchen aus unserem Jahrgang, die, die ich auch in ihren Instastorys gesehen habe.

In der Hand hält sie eine Kiste mit Reagenzgläsern, die sie wohl gerade für irgendeinen Lehrer verräumen muss.

Ihr Gesichtsausdruck ist geschockt und sofort verblasst das Lächeln auf meinem Gesicht. Schlechtes Gewissen und Reue machen sich in mir breit.

Ich habe sie schlecht behandelt und jetzt hat sie sich von mir abgewendet.

Allerdings wollte sie mich auch nicht verstehen, konnte meine Standpunkte einfach nicht nachvollziehen.

Und jetzt habe ich sie verloren.

Ihr Blick wandert an mir auf und ab, ihr Mund öffnet sich immer weiter geschockt und ihre Augen weiten sich bei jeden neuen Detail, was sich an mir verändert hat.

Dann lässt sie die Reagenzgläser fallen.

Ein Klapperndes Geräusch erklingt, als diese auf den Boden aufkommen und in abertausende Scherben zerspringen.

Ich zucke erschrocken zurück.

Alle Blicke richten sich auf sie.

Aber sie steht einfach nur da, scheint das Chaos unter ihren Füßen und die neugierigen Blicke gar nicht wahrzunehmen, schaut nur mich an.

»Syd?«, bringt sie dann hervor. Ihre Stimme ist dünn und brüchig und es tut mir weh, sie so zu sehen.

Es ist meine Schuld, das weiß ich. Ich bin diejenige , die alles zerstört hat.

Dann macht sie einen Schritt nach vorne, das Glas knirscht unter ihren Schuhen.

Und noch einen Schritt, auf denen noch weitere, zaghafte folgen.

Bis sie fast direkt vor mir steht.

Sie streckt die Hand aus, als wolle sie mich berühren, doch dann lässt sie diese wieder sinken und schaut mich einfach nur weiter an.

In ihren Auge schwimmen Tränen und ich bekomme einfach kein Wort heraus, hasse mich selbst dafür.

»Bist du es wirklich?«, wispert sie.

»Ja.« Meine Stimme gleicht nur einem tonlosem Flüstern, aber sie versteht es.

Hinter uns werden einige Stimmen immer lauter, die Stille bricht. »Das ist Sydney?«, »Oh mein Gott, das ist Sydney Johnson, ich habe ein paar Kurse mit ihr.«, »Aber warum sieht sie plötzlich so wahnsinnig gut aus?«

Ich nehme allerdings die Stimmen alle gar nicht so richtig wahr, bin ganz auf Clary fokussiert.

Vorsichtig strecke ich meinen Arm aus, um sie zu berühren.

Doch sie dreht sich um und wispert atemlos: »Fass mich nicht an.«

Ich schlucke. »Clary...«

»Fass mich nicht an!«, brüllt sie jetzt aufgelöst und schaut mich aufgebracht, richtig wütend an.

Ich weiß, das ich ein Feigling bin, denn ich wende meinen Blick ab, kann ihrem einfach nicht standhalten.

»Was ist denn hier los?«, meldet sich eine Stimme, die einem Lehrer gehört, der jetzt auf uns zukommt, den Blick erst auf die Scherben auf dem Boden gerichtet, dann auf uns.

»Nichts«, sagt Clary bestimmt und eilt an ihm vorbei, würdigt mir keines Blickes mehr.

Das letzte was ich sehe, sind die Tränen, die ihre Wangen hinunterlaufen.





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Authors Note:

Wow, das war ein ganz schön krasses Kapitel.

War ziemlich schwer die ganzen Gefühle so gut es gut unter zu bekommen, aber ich denke, es ist mir ganz gut gelungen. Hoffe ich zumindest...

Was haltet ihr von Clarys Reaktion? Berechtigt oder zu übertrieben?

Und was von Syds Umgang mit der Situation?

Denkt ihr sie vertragen sich wieder?

Und, o mein Gott, danke für die 300 reads nach so kurzer Zeit, das bedeutet mir so viel! Ich kann's noch gar nicht fassen <3

Love u all

Wir lesen uns, bis dann <3

the societyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt