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[young and sad - Noah Cyrus]

DER FOTOGRAF NICKT mir zu und schaut dann konzentriert durch die Kamera, gibt mir Anweisungen, wie ich mich hinstellen soll, damit er mich perfekt im Bild hat und überprüft mit seinen Assistenten mehrmals die Belichtung.

Ich stehe in einem riesigen Raum, vor einer grünen Leinwand, die später als Green-Screen benutzt wird, und vor mir sind mehrere Softboxen aufgestellt, die helles Licht auf mich strahlen.

Talia steht neben dem Fotograf und lächelt mir aufmunternd zu, wahrscheinlich, weil sie genau sieht, das ich überfordert und aufgeregt bin. »Sei einfach du selbst!«, ruft sie mir zu und ich lächle dankbar, aber gleich darauf verfalle ich wieder in Panik.

Wer bin ich überhaupt? Und wenn ich das nicht weiß, wie soll ich dann ich selbst sein?

»Okay, wir wären soweit«, meint der Fotograf jetzt. Er sieht freundlich aus, hat braune, schon angegraute Haare und ein offenes Lächeln auf den Lippen, ist vielleicht um die achtundvierzig.

Ich schaue an mir herunter und betrachte noch einmal das Outfit, das ich für die erste Runde trage. Es besteht aus einer schwarzen, lockeren Jeans und einem weißen engen Rollkragenshirt, das in die Hose gesteckt ist.

»Wie du weißt, brauchen wir erstmal Fotos von der Hose, auf manchen ist dein Gesicht drauf, auf manchen nicht«, erinnert mich der Fotograf nochmal und ich überlege fieberhaft, wie er heißt, er hat es nämlich schon gesagt, aber ich und Namen-merken sind keine Freunde.

Talia reckt die Daumen in die Höhe und ich bekomme Anweisungen von einer Frau im Blazer, wie ich mich am Besten hinstellen soll.

In den ersten Runden bin ich zurückhaltend und schüchtern und sehr überfordert, aber irgendwann klappt es ganz gut und der Fotograf gibt mir immer mehr Lobe.

Am Ende des ersten Outfitshoots fühle ich mich sogar so sicher, dass ich ganz alleine neue Posen einnehme, ohne die Hilfe der Blazer-Frau.

Talia grinst stolz und ich bin endlich mal wieder glücklich, fühle mich gut mit dem, was ich tue. Es macht wahnsinnig Spaß und ich genieße den Augenblick.

Dann ist es vorbei und der Fotograf, Mac, mir ist der Name wieder eingefallen, zeigt mir seine Favoriten. Zusammen suchen wir auf dem riesigen Monitor die schönsten Fotos heraus und er zeigt mir einen kleinen Einblick davon, wie es später aussehen soll, wenn der Green-Screen gegen eine anderen Hintergrund getauscht wird.

Talia ist dran und ich stehe gegenüber, juble ihr zu. Sie ist wirklich gut und ich habe lang nicht mehr so gelacht, denn manchmal macht sie alberne Spaßposen und Grimassen oder haut dämliche Witze heraus.

Auch Mac und die Blazer-Frau lachen und scheinen es ihr überhaupt nicht übel zu nehmen. Ganz im Gegenteil - es herrscht eine ausgelassene Stimmung.

Mehrmals tauschen wir Outfits, shooten für Hosen, Oberteile und Jacken, und bringen uns gegenseitig zum Lachen. Ich verstehe mich so gut mit Talia, das es mir scheint, als würden wir uns schon ewig kennen. Trotzdem weiß ich auch, das sie eine ziemlich gebrochene und traurige Seite hat, die sie mir selbst schon gezeigt hat. Sie scheint nicht immer der glückliche Mensch zu sein, der sie hier ist. Vielleicht gibt sie das alles gerade auch nur vor, ich habe ja keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich sie wirklich gerne mag und es Spaß macht, mit ihr zusammen zu sein. Und das reicht mir fürs Erste und ihr anscheinend auch.

»Okay, ihr zwei, jetzt brauchen wir noch Bilder mit euch zusammen, wir erstellen einen Banner für die Website, als Titelbild für die Damenjeansabteilung«, sagt Mac schließlich und Talia und ich grinsen uns gegenseitig an, verschwinden dann in der Umkleide, für das neue Outfit. Dabei unterhalten wir uns über unsere Lieblingssüßigkeiten und ich muss so heftig lachen, dass ich einen Schluckauf bekomme, weil sie mir von ihren abgefahrenen Eissorten-Kombinationen erzählt.

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