Kapitel 5

1.4K 72 0
                                    

Mein Herz hämmerte in der Brust, als ich die Fremden um mich herum anstarrte.
Ich war gefangen in einem Meer von Gedanken und Emotionen, meine Seele war voller Angst und meine Gedanken fühlten sich wie ein Wirrwarr aus Zweifeln an.
Wie konnte mein Leben so werden? Was habe ich falsch gemacht? Wieso hat sich mein Leben in so einer schrecklichen Situation wiedergefunden?

Was bedeutete das überhaupt? Das Leben selbst?

Ich war ein Nichts.
Warum hatte man mir mein ganzes Leben lang Demut und Selbsthass beigebracht, nur um mir dann von denen, die ich eigentlich fürchten sollte, gesagt zu hören, ich sei das Leben selbst?
Ich bin in einer großen Leere gefangen. Alles, was meine Existenz ausmacht, wurde von anderen Menschen bestimmt, aber ich hatte keine Kontrolle über meine eigene Existenz gehabt.
Ich muss eine Antwort auf diese ganzen Fragen finden und verstehen, was das Leben ist und was mein Sinn ist.
"Eifersucht", sagte Ethan leise, "wird schnell zu Neid. Neid ist eine gefährliche Sache, weil man am Ende so verzweifelt das haben will, was man nie bekommen hat oder wird. Und die größte Sünde, die ein Unsterblicher begehen kann, ist das Lachen im Angesicht dessen, was wir sind... und wollen.", seine Augen waren traurig, "Er will dich."
"Um mich zu töten?", flüsterte ich heiser.
"Nein."
Ethan umfasste mein Kinn mit seinen sanften Fingern. Sofort kribbelte mein ganzer Körper vor Bewusstsein. Als würde Strom aus seinem Körper in den meinen fließen.
"Er will von dir Besitz ergreifen, und glaub mir, wenn ich dir sage, dass dir jeder Teil dieses Besitzes gefallen wird - bis er dich verlässt. Die Dunklen gehen immer, und du wirst sterben."

Die Dunklen gehen immer.

Aber was bedeutet das für mich?
Was bedeutet das für mich wenn ich verlassen werde, und ich sterbe?
Was für eine Bedeutung hat das für den Sinn meines Lebens, oder für den Grund meiner Existenz?
"Vielleicht ist sie anders.", sagte Stephanie mit leiser Stimme.
„Du wärst bereit, noch einen zu opfern?", brüllte Mason und schlug mit den Fäusten auf den Tisch. Er zerbrach direkt vor meinen Augen in der Mitte.
Seine langen schwarzen Haare die in einem Zopf verweilten, waren nun auf sein ganzes Gesicht  zerstreut. Seine Augen würden so glühend feurig farbend, dass man meinen konnte, sie wären kurz davor zu explodieren.
Keuchend schob ich meinen Stuhl zurück und fiel fast vom Stuhl. Mein Herz war nicht mehr ruhig sondern pumpte so schnell Blut in meine Adern, das ich, dass klopfen meines Herzens sogar hören könnte.
"Wie oft haben wir gesagt, wir würden die Prophezeiung nicht mehr testen?!", brüllte der Werwolf wieder.
Stephanie schaute auf ihre Hände.
"Es ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben."
"Hoffnung", murmelte Alex.
"Was für ein trauriges, erbärmliches kleines Wort.", mischte sich Ethan ein.

Es ist die einzige Hoffnung, die wir haben... Die einzige Hoffnung, die wir haben. Was bedeutet das eigentlich? Wieso spiele ich eine Rolle bei dem ganzen mit? Ich bin nichts.

"Wir werden sie Cassius nicht überlassen.", sagte Ethan entschlossen. Seine Augen schauten mich voller Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit an. Ethan's grüne Augen blitzten auf, als er mein Kinn losließ, und von dem Sessel aufstand.
"Wir werden nicht wiederholen, was letztes Mal passiert ist."
"Was ist beim letzten Mal passiert?", fragte ich ihn und wusste, dass ich die Frage wahrscheinlich bereuen würde.
Mason's ganzes Gesicht verzog sich vor Schmerz, als er einen Heulton ausstieß und aus dem Zimmer rannte.
"Scheiße."
Alex starrte Mason hinterher.
In seinem Gesicht waren Verzweiflung und Wut zu erkennen. Mason stand mit glühenden Augen hinterm Haus.
Niemand sagte was, wir alle starrten nur in Schweigen.
"Es wird Stunden dauern, bis er aus seinem Zustand herauskommt.", sagte Stephanie frustriert.
Ich war überrascht, wie Mason mit diesen glühenden Augen dasteht.
Ich fühlte eine sehr starke Spannung zwischen allen, fast als wäre mir klar, wie Mason in diesem Moment fühlt, und die anderen. Es muss was schreckliches passiert sein.

Aber was war es nur?

"Es tut mir so leid", sagte ich und vergrab meine Hände unter meinem Schoß, "ich hatte ja keine Ahnung-"
"Natürlich nicht", schnauzte Ethan, "du weißt gar nichts."

Ich bin nichts.

Ich ließ den Kopf hängen. Er hatte recht.
Es war alles meine Schuld. Ich hätte niemals diesen Raum betreten dürfen. Ich hatte nicht mit ihm gehen sollen. Meine ganze Anwesenheit war falsch.
"Sei nachsichtig mit ihr", sagte Stephanie mit ruhiger Stimme, "sie hat schon eine ganze Weile eine Gehirnwäsche hinter sich."
"Wird es ihm gut gehen?", fragte ich mit leiser Stimme, "Der Wer-", ich wollte gerade Werwolf sagen, musste mich aber zurückhalten, "Mason? Wird es ihm gut gehen? Nachdem er weggerannt ist?"
Ethan ließ den Kopf hängen.
"Vielleicht, wenn er etwas anderes isst als Beeren und die verdammten Tannenzapfen, die ich immer im oberen Schlafzimmer finde.", erwiderte er grinsend aber sichtlich frustriert.
Stephanies Lippen pressten sich zu einem kleinen Lächeln zusammen.
"Er findet Trost im Freien."
"Ja, aber er ruiniert meine Holzböden", brummte Ethan.
"Ihr lebt zusammen?", platzte ich heraus.
Alle Augen richteten sich auf mich.
"Alle Unsterblichen leben auf die eine oder andere Weise zusammen."
Es war Alex, der meine Fragen weiter beantwortete.
"Und du hast Mason nicht beleidigt, sondern ihn daran erinnert, was hätte sein sollen... was hätte sein können."
"Oh."
Ich schluckte gegen die Trockenheit in meiner Kehle an. Der Schock muss nachgelassen haben, denn zumindest konnte ich meinen Körper wieder spüren, auch wenn das, was ich fühlte, zittrig und schwach war.
"Ethan...", Stephanie blickte zwischen uns hin und her, "Ich weiß, dass dir die Idee nicht gefällt, aber es ist wirklich die einzige Möglichkeit."
Er kaute auf seiner Unterlippe; Reißzähne kamen aus seinem Mundwinkel hervor.
"Ich weiß."
"Es ist das Einzige, was wir noch nicht versucht haben.", meine Alex und legte seinen Arm um Stephanie.
"Es wird doch nicht so schlimm sein, oder?", wendet Stephanie sich an, Ethan.

Worüber sprachen sie? Und warum fühlte ich mich plötzlich wieder zurückgewiesen?

"Es wird nicht so schlimm sein...", wiederholte Ethan abwesend, "Es wird die absolute Folter sein... die Hölle auf Erden... und du bittest mich, das immer noch zu tun? Mit dem Wissen, was du hast?"
Die beiden ließen die Köpfe hängen, sagten aber nichts. Es lag mir auf der Zunge zu fragen, als die gesamte Temperatur im Raum sank.
Es war eiskalt

Ich sah meinen eigenen Atem.

"Er ist nah dran.", fluchte Alex, "Tu es jetzt!"
Ethan's grüne Augen trafen meine; sie blitzten auf und wurden dann ganz schwarz, bevor er mit tiefer, kiesiger Stimme sagte:
"Es tut mir so leid, kleiner Mensch."

Alles, was ich fühlte, war Schmerz.

Dieser Schmerz war so unerträglich und zerrend, dass ich nichtmal eine Stimme hatte um aufzuschreien. Ich fühlte wie meine letzte Kraft aus meinem Körper entglitt, als Schwarz alles überdeckte.

Die Finsterlinge Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt