Kurzschlussreaktion

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Lea POV

Ich hatte schweißnasse Hände. Mir wurde warm aber auch gleichzeitig total kalt. Meine beste Freundin war kurz davor ihr erstes Kind zu verlieren. Die unzähligen Shopping Tage konnten doch nicht umsonst gewesen sein. Wir haben uns so sehr darüber gefreut, dass wir in dem gleichen Zeitfenster waren. Unsere Kinder würden gemeinsam in den Kindergarten, Schule und sogar Hort gehen. Vielleicht sogar die gleiche Uni besuchen oder die gleiche Ausbildung machen. Doch jetzt stand alles auf der Kippe und nur wenn ich daran dachte wurde mir schlecht. "Geht es dir gut?" fragte Marco der genau vor im Fahrstuhl stand. Ich nickte und massierte meinen Nacken. Die Fahrstuhltüren öffneten sich und schon stürmten wir raus, die Gänge entlang und zu dem Zimmer welches uns die Schwester am Infoschalte nannte. Schwer atmend standen wir vor der Tür. Ich wollte einen Schritt darauf zu machen wurde jedoch von Marco aufgehalten der mich ernst ansah. "Ich geh als erstes. Nicht das du was siehst was dich und der kleinen Schaden könnte." lange sah ich ihn einfach nur an und nickte. Er legte eine Hand auf meinen Bauch. "Bitte versprech mir, dass du mir sofort sagst wenn irgendwas mit dir ist!" wieder nickte ich nur und beobachtete wie er zögerlich auf die Tür zuging, klopfte und diese öffnete. Bereits beim ersten Schritt in das Zimmer hinein wurde er schon wild von Melanie umarmt. Sie schluchzte laut auf. Ich legte geschockt beide Hände an meinen Mund. Marco hob sie hoch und trug sie langsam in das Zimmer. Melanie wollte den Druck um Marcos Hals nicht verringern und blieb mit ihm weiterhin an der Wand gelehnt. Langsam ging ich ihnen hinterher. Manuela saß schluchzend auf einem Bett in der Ecke. Johannes, Yvonnes Ehemann, saß mit großen Augen auf einen Stuhl und starrte gerade aus. Der Raum war groß und ich bemerkte sofort, dass hier noch ein Bett fehlte auf dem Yvonne eigentlich liegen sollte. Mit kamen die verschiedensten schrecklichen Gedanken in den Sinn. Einer davon war, dass sie nicht nur das Leben ihrer Tochter sonder auch ihr eigenes verloren hatte. Geschockt darüber lehnte ich mich gegen die Wand und starrte auf die Fläche wo sich eigentlich das Bett befinden sollte. "Lea! Setz dich!" flüsterte Marco und führte mich, immer noch Melanie in den Arm, auf das Bett wo bereits Manuela saß. Sie nahm mich sofort in den Arm und weinte. Immer noch starr den Blick auf den Boden gerichtet vergingen die Minuten oder waren es Stunden? Marco legte Melanie nach einer Weile auf das Bett die erschöpft eingeschlafen war. Er streichelte mir beruhigend über den Rücken bis er sich endlich Johannes widmete und sich neben ihm hockte. Sie redeten doch die Stimmen kamen stumpf und ohne jeglichen Klang bei mir an. Nach weiteren Minuten wurde die Zimmertür aufgestoßen und ein Bett wurde von 2 Schwestern hinein gerollt. Yvonne hatte Farbe im Gesicht woraus ich schließen konnte, dass sie lebte. Sie schlief. Ein Stein fiel mir vom Herz und ich drückte meine Augen zu, Tränen rannten über meine Wange. Ich vergrub mein Gesicht in beide Hände und weinte. Ich war froh darüber sie nicht verloren zu haben. Auch Manuela neben mir empfand das gleich. Sie stand auf und nahm die Hand ihrer Tochter die nur reglos herunterhing. Marco setzte sich auf den freigewordenen Platz neben mir und nahm mich in den Arm. "Herr Katzun?" Johannes, der bereits aufgestanden war um seine Frau besser zu sehen, sah zögerlich zu dem Arzt der vor dem Bett stand und eine Mappe in der Hand hielt. "Ich bin Herr Dr. Klanschinsky, der behandelnde Arzt ihrer Frau. Frau Katzun geht es gut. Auch ihrem Kind." alle atmen beruhigt aus und sahen wieder zum Arzt. "Ihre Frau war erst in der 26. Schwangerschaftswoche. Normalerweise versuchen wir eine Frühgeburt in dem Stadium hinauszuzögern, da es zwar hohe Überlebenschancen gibt aber auch Folgeschäden erleiden kann. Jedoch ging dies bei Ihrer Frau nicht da sie und das Baby sonst gestorben wären." Ich schluckte und hielt mir eine Hand vor dem Mund. Marco drückte meinen Kopf auf seine Schulter und wippte beruhigend hin und her. "Wir haben ihr Kind in eine sogenannte Inkubator gelegt und intubieren müssen da die Lunge noch nicht selbstständig arbeiten kann. Die nächsten Stunden können wir ihnen weitere Informationen geben." Johannes nickte und sah wieder zu Yvonne die regungslos im Bett lag. "W-Wissen sie welcher Grund diese plötzlichen Schmerzen und Blutungen ausgelöst haben?" Der Arzt sah zu Yvonne und klemmte die Mappe unter seinem Arm. "Dies kann mehrere Gründe haben. Ein Unfall, tritt gegen den Bauch, Stress, Streits oder auch Ängste oder Aufregung. Genau kann ich ihnen das nicht sagen." Johannes schüttelte mit dem Kopf. "Das kann nicht sein. Wir waren immer glücklich. Ich hatte sie sogar aus jedem Stress über dem Hausbau rausgehalten." Der Arzt nickte den Schwestern zu. "Frau Katzun wird in den nächsten Stunden aufwachen. Ihre Tochter können sie bereits in der Frühchenaetage sehen." Johannes nickte, strich Yvonne noch einmal über dem Kopf, küsste ihre Stirn und lief dem Arzt hinterher. "Wie geht es dir meine Liebe?" Manuelas Stimmte drang nicht bis zu mir. Ich starrte immer noch gedankenverloren nach vorn ohne Ziel. Mein Kopf lag weiterhin auf Marcos Schultern und seine Hand beruhigte mich mit leichten Bewegungen an der Seite. Sein Duft beruhigte mich so wie es früher schon immer war. "Babe?" ich blinzelte als ich meinen Kosenamen hörte, hob meinen Kopf und sah in Marcos blasses Gesicht. Er realisierte erst jetzt was er zu mir gesagt hatte und sah mich mit großen Augen an. "E-Es tut m-mir leid." sagte er leise und sah nach unten. Ich folgte seinem Blick und stoppte an seiner Hand die nervös an seiner Jacke herum spielte. Es wäre nicht der richtige Zeitpunkt ihn abzuweisen. Er braucht eine starke Hand so wie ich sie brauchte. "Es ist ok Marco." ich lächelte leicht als er in mein Gesicht sah. Ich atmete noch einmal durch, ging mir durch die Haare und sah zu Yvonne. Manuela, die eigentlich auf dem Rand des Bettes lag, war aus dem Zimmer verschwunden. Auch Melanie war verschwunden die noch vor ein paar Minuten auf dem Bett lag und schlief. "Wo sind alle hin?" fragte ich und ließ Yvonne nicht aus den Augen. Als ich jedoch keine Antwort von Marco bekam, sah ich zu ihm. Er beobachtete mich leicht lächelnd von der Seite. Auch ich musste schmunzeln und sah in meinem Schoß wo ich wieder meine Hände knetete. "Wie geht es dir?" seine Stimme war leise und rau aber kräftig. Zögerlich sah ich wieder zu ihm und nickte. "Und dir?" er zuckte mit den Schultern. Marco schien nervös und aufgeregt aber dies lag nicht an seiner Schwester die immer noch leise in dem Bett vor uns schlief. "Es ist schrecklich was passiert ist und ich habe Angst, große Angst das ich sie verliere." er schluckte und kratzte mit zittrigen Fingern seine Stirn. Ich rückte etwas näher an ihn und legte meinen Arm um ihn. "Sie wird es schaffen so wie deine Nichte." Marco lächelte bei dem letzten Wort. Eine Träne kullerte über seine Wange die ich ihm sofort mit meiner Hand wegwischte. "Ich habe eine Nichte." ich nickte und lächelte. "Ja das hast du." ich legte meine Hand auf seine die er auf seinem Oberschenkel flach abgesetzt hatte. "Und bald eine Tochter." er sagte es so leise das ich es fast nicht richtig hören konnte. "Lea?" Mein Blick ging wieder in seine Augen die so viel Traurigkeit ausstrahlten. "Es tut mir leid." sagte er nach kurzer Pause. Ich wusste nicht was er meinte, holte Luft und wollte fragen doch soweit kam es nicht. Seine Lippen versiegelten meine miteinander. Erst war ich geschockt, dann genoss ich es. Mehrere Explosionen löste dieser gefühlvolle Kuss in mir aus. Ein kribbeln, welchen in vollkommen nach der Zeit vergessen habe, ging durch meinen ganzen Körper. Sehnsucht, Liebe aber auch Schmerz und Ängste der letzten Wochen drückte dieser Kuss aus. Bilder von unserer glücklichen Familie tauchten vor meinen Augen auf. Eine Träne rollte meine Wange herunter da ich diese Einflüsse einfach nicht mehr verarbeiten konnte. Ich ließ seine Zunge langsam meinen Mund erkunden. Zögerlich suchte sie meine und als sie sich fanden war es einfach nur das wunderbarste was ich seit längerem wieder Gefühlt habe. Es war alles wieder so wie früher. Jede einzelne Minute die ich mit ihm verpasste habe, die ich ihn nicht küssen konnte, holte ich nach. Doch dann kamen die Bilder aus den Zeitungen. Die Strafanzeigen gegen ihn, die Lügen die er mir immer wieder auftischte und dann das, was mein komplettes Leben umkrempelte. Das Gefühl von Unsicherheit und Verrat zerstörten diesen schönen Moment und er jetzt schaltete ich wieder mein Gehirn ein. Das hier ist falsch. Diese Gefühle und Liebkosung waren falsch. Ich schreckte abrupt zurück, sah ihn mit großen Augen an. Meine Finger gingen zu meiner Lippe die mir immer noch das Gefühl gab ihn zu küssen. "Es tut mir leid. D-Das hätte ich nicht tun sollen." Ich schüttelte mit dem Kopf, stand auf und wischte mit meinem Handrücken die Tränen von meiner Wange. Marco stand ebenfalls auf und wollte mir meine Tasche geben doch ich riss sie ihm schnell aus der Hand. "Lass es einfach." Ich wollte einfach schnell weg. Egal wie schlimm das für ihn war, dass seine Schwester hier liegt und eine Frühgeburt hatte, dass sie und das Kind fast gestorben wären. Es rechtfertigte ihn nicht, dass er dies getan hat. "Lea. Bitte renn nicht weg." Er lief mir hinterher und nahm mein Handgelenk bevor ich die Tür aufmachen konnte. Ich riss sie ihm weg und drehte mich um. "Lass mich in Ruhe. Wieso hast du das gemacht?" Marco sah mich geschockt an und schüttelte die ganze Zeit mit dem Kopf. "Lea. Es tut mir leid." ich drückte ihn weg von mir und drehte mich um. "Du hast diese Situation ausgenutzt. Du hast es einfach schamlos ausgenutzt, Marco." "Das stimmt nicht. Unterstell mir so etwas nicht. Es ist schlimm, dass Yvonne hier liegt. Es ist verdammt noch einmal schlimm, dass meine Nichte in so einem Kasten für mehrere Wochen liegen muss. Es ist schlimm nicht zu wissen wie sich ihr Gesundheitszustand noch verändert wird. Und es ist schlimm dich jede Minute und Sekunde zu sehen ohne dich zu Berühren und zu Spüren. Das gerade war einfach eine Kurzschlussreaktion. Es war nicht richtig. Das weiß ich. Aber es zerreißt mich immer solch einen Abstand zu dir zu halten. Gestern Abend, da war diese Hoffnung un..." "Hör auf! Hör einfach auf." ich drückte die Klinke herunter und sah noch einmal über meine Schulter zu ihm. "Du müsstest nicht dadurch wenn du dich zusammen gerissen hättest. Fahr zur Hölle, Marco!" und mit diesen Worten lief ich mit schnellen Schritten aus dem Zimmer, an Manuela und Melanie vorbei die mich erst lächelnd dann verwirrt und erschrocken ansahen. Sie redeten auf mich ein doch ich hörte sie nicht mehr. Keine einzige Träne lief über meine Wange. Ich war wütend. Wütend über Marco und über meine eigene Dummheit. Wie konnte ich das nur zulassen? Am Auto stieg ich schnell ein und fuhr vom Gelände. Ich schaltete komplett meine Gedanken aus damit ich einfach nicht daran dachte was passiert war. Ich steuerte das Auto außerhalb Dortmunds und blieb vor einem schönen großen Haus stehen. An der Tür angekommen drückte ich die Klingel durch. Es dämmerte bereits. Die Vögel zwitscherten in den hohen Bäumen hinter mir. Ich sah in der verzerrten Scheibe eine Person die der Tür immer näher kam. Das Schloss drehte sich einmal und die Tür wurde kurze Zeit später geöffnet. "Lea? Was ist denn los?" Ich biss mir auf meine Unterlippe und sah Marcel lange an. "I-Ich... h-hab scheiße g-gebaut." ich wippte nervös mit meinem rechten Bein, legte meinen Kopf für eine kurze Zeit in den Nacken, schloss meine Augen und schon liefen mir vereinzelte Tränen über die Schläfe. "Komm rein!" Marcel legte einen Arm um mich und zog mich in sein Haus. Sofort fühlte ich mich geborgen und gut aufgehoben. Er war der einzige Mensch der mich bei den Schuldgefühlen und die Schmerzen im Herzen helfen konnte.

Der Kampf um die große Liebe [Marco Reus  FF] -Band 3-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt