1.3 Bist du krank oder so?

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Statt vor dem Regal mit den Essiggurken zu knien, hätte ich jetzt gerne mit der aufgetakelten Petra an der Kasse getauscht. Die hackte mit ihren rosa lackierten Krallen unbeeindruckt eine heimliche SMS in ihr Handy unter dem Tisch. Sie unterbrach nur kurz, ohne den Jungen eines Blickes zu würdigen, und zog gelangweilt seine Kaugummipackung über den piepsenden Scanner.

Langsamer als sonst steckte er das Wechselgeld ein. Plötzlich wandte er den Kopf in meine Richtung. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke. Hastig sah ich auf meinen Inventurblock. Aus dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie in seinen Turnschuhen den Regalgang entlang schlenderte. Ich konzentrierte mich darauf, sinnlose Haken auf das Blatt zu setzen. Zwei Schnürsenkel kamen in mein Blickfeld, links ein neongelber, rechts ein blauer. Ich schluckte.

Er hockte sich vor mir nieder. Das schwarze Skateboard hielt er wie einen Ritterschild vor seiner Brust umklammert.

»Ich hätte eine Frage.« Seine Stimme klang überraschend dunkel.

Mein unsichtbarer Regler hatte den Puls mittlerweile auf einen schmerzhaften Takt hochgedreht. Jetzt bloß nicht das Atmen vergessen. Um nicht eifrig zu erscheinen, zögerte ich einen Moment, bevor ich reagierte. Ich schrieb ein paar Zahlen ins Nichts, dann blickte ich auf - und versank. In blauen Augen. Blau, wie das Meer auf Postkarten.

Pazifikblau.

Umrahmt von schwarzen Wimpern - was für eine Mischung.

Ein paar Muttermale zogen sich, auf die Haut getröpfelt, von einem Auge bis zum Mundwinkel.

Er holte Luft. Sein Brustkorb hob sich unter dem karierten Hemd. »Sind die Essiggurken im Angebot?«

Was? Ich blinzelte und hätte den Stift um ein Haar fallen lassen. Das war seine Frage? Sollte das ein Witz sein? Ich starrte durch ihn hindurch. Na gut, was hatte ich erwartet? Ich war eine Aushilfe im Supermarkt und er nichts weiter als ein Kunde. Sollte er wie ein Prinz hereinschneien und mich abholen? Mein Gott, was war ich für ein Volltrottel.

Statt einer Antwort wandte ich mich meinem Block zu, um zu verbergen, wie mir die Enttäuschung die Röte ins Gesicht trieb. Ich beschloss, ihm keinesfalls mehr in seine Ozean-Augen zu sehen.

Wie durch Watte hörte ich ihn seufzen. »Tut mir leid. Ich wollte etwas anderes sagen.« Er klang frustriert. »Hattest du schon mal das Gefühl, dass du nicht mehr genug Zeit haben könntest, Dinge zu tun, die dir wichtig sind?«

Worauf wollte er denn jetzt hinaus? Was für ein abgedrehtes Gespräch.

»Bist du krank oder so?« Um ein Haar hätte ich aufgeblickt.

»Ich? Nein, ich bin nicht krank. Ich bin topfit.« Er lachte auf, als hätte ich etwas wahnsinnig Witziges gesagt.

»Sicher«, murmelte ich und kritzelte ein Muster auf den Block.

Er schwieg. Was für ein eingebildeter Idiot. Der Typ hatte ohne Zweifel einen an der Waffel.

In die peinliche Stille hinein hörte ich meinen Chef ein Regal weiter eine Kollegin anschnauzen. Plötzlich erklang Musik direkt in meiner Nähe. Ich blickte auf, als ich das Lied beim ersten Ton erkannte:

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Argh. Zu Ende hier. Keine Panik, schon am Wochenende bekommt ihr den nächsten Teil ;)

Nosferatu. Vom Vollmond geweckt.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt