4.4 Schwestern und Brüder

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Carsten drehte seinen Kopf seltsam geneigt in meine Richtung. »Ich glaube, wir müssen hier raus.«

»Wenn du mir einen bedeutungsvollen Blick zuwerfen willst, solltest du vorher deine Brille abnehmen«, sagte ich. »Sonst kann ich ihn nämlich nicht sehen.« Ich hatte jetzt genug von dem Agententheater. Wir waren doch nicht im Kindergarten.

Carsten räusperte sich. »Finny.« Er sprach langsam und betonte jedes Wort, als würde er mit einer Minderbemittelten reden. »Wir wollten doch hier aussteigen

»Nein«, sagte ich und schlug mit der Faust auf den Knopf für die letzte Etage. »Wir wollen offensichtlich alle in den obersten Stock.«

Als hätte man einem wedelnden Hund sein Stöckchen geworfen, zog der Aufzug scheinbar erfreut seine Türen zu. Augenblicklich pressten sich alle an die Aufzugwände. Die Rothaarige riss die Augen auf, als könnte jeden Moment etwas explodieren. Eine Sekunde lang verharrten alle still. Der Aufzug begann, sich unschuldig nach oben zu saugen. Mein Blick blieb an dem älteren Herrn hängen, er hatte seine Lippen seltsam zusammengekniffen. Lachte der etwa?

»Reich mir die Flosse, Schwester. Du gefällst mir.« Ich schüttelte seine schwielige Hand, die er mir hinhielt. Er roch nach altem Schweiß, aber das machte mir nichts aus.

Auch die Rothaarige lächelte mich nun an. Schwester. Ich hatte mir insgeheim immer eine gewünscht. Ich lächelte zurück. Oder einen Bruder.

Ich sah Carsten, wie er sich grinsend die Schweißbahnen mit dem Ärmel abwischte. Seine Brille hatte er abgenommen, als würde er die Maskerade nicht mehr brauchen.

Meine Muskeln entspannten sich. Zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich geborgen.

Oben angekommen, hatten wir uns eigenartig schnell angefreundet. Der Mann mit der Hornbrille hieß Georg und die Rothaarige Yvonne.

Die Aufzugstüren schoben sich auf.

»Hey!«, rief uns eine Menge von Leuten entgegen, die auf dem Gang standen und so etwas wie eine La-Ola-Welle aufführten.

»Willkommen!«

Nosferatu. Vom Vollmond geweckt.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt