Kapitel 18: Flynn

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Kapitel 18

Flynn

Etwas zu verdrängen ist die einfachste Lösung, doch auf Dauer tötet es die Seele. Es tötet meine Seele, bevor meine Krankheit mich tötet. Zu verdrängen dass ich krank bin, macht mich kränker. Es vor den Personen zu verheimlichen, die mir so viel bedeuten macht mich krank. Doch es macht mich auch krank zu wissen, dass der Tag kommen wird, wo ich es ihnen sagen muss, weil es nicht mehr verheimlichen kann. Ihre Gesichter zu sehen. Die Trauer, die Angst, die Sorgen. Die Medikamente werden früher oder später den Kampf gegen die Leukämie verlieren. Ich wollte Tara genau aus dem Grund vor mir schützen. Ihr zu beichten, dass ich krank bin - es wird sie runterziehen. Sie ist eine starke Frau, das konnte ich in der kurzen Zeit feststellen. Doch das wird keine starke Frau überstehen können.

Mein Handy klingelt und vibriert, klingelt und vibriert. Es ist nicht Tara die mir schreibt. Es ist Luke der versucht seit einer Woche Kontakt mit mir aufzubauen. Der versucht mich zu erreichen. Der nicht weiß, dass sein bester Kumpel fast tot ist und sich in einer depressiven Stimmung befindet. Ich drücke mein Joint im Aschenbecher aus, schließe mein Fenster und lege mich wieder ins Bett. Ins Bett, wo ich schon seit Wochen drin schimmle. Ich erkenne mich seit Tagen nicht wieder. Ich bin gebrochen. Ich bin ein verdammter Wichser, der sein Kopf in den Sand steckt. Mir steigt alles über den Kopf. Ich erinnere micj gerne an die alten Zeiten zurück. An die Zeiten, als ich Schlampen gefickt habe ohne schlechtes Gewissen. Als ich sie für den Spaß und die Befriedigung gevögelt habe, nicht um mich letztendlich zu verlieben und mir den Kopf ficken zulassen. Ich könnte mich selber dafür schlagen, dass ich mich nicht gut genug dafür angestrengt habe, meine Finger von ihr zulassen. Aber sie hat ihren Teil dazu beigetragen, dass ich meine Finger nicht von ihr halten konnte. Sie hat mich verdammt nochmal um den Finger gewickelt. Sie hat mir meine Sinne geraubt. Sie hat nicht locker gelassen, keineswegs ...

Meine Türe wird plötzlich aufgerissen. Da mein Rücken zur Türe gerichtet ist, kann ich die Person nicht sehen. Doch ich bemühe mich nicht umzudrehen, um zu überprüfen, wer mein Zimmer so aggressiv betritt. Ich warte bis die Person spricht.

„Was ist dein scheiß Problem, Flynn? Wieso antwortest du nicht? Ich muss extra herkommen, nur um das mit dir zu klären, was auch immer es ist, was wir klären müssen." Luke schnaubt. Ich antworte ihm nicht. „Bist du high?", fragt er. Er läuft um mein Bett, sodass er nun zu mir runterblicken kann. Seine Hände sind an seinen Hüften plätziert, während er mich empört anblickt. „Was ist? Wieso antwortest du mir nicht?" Er ist wütend, doch er fragt ruhig. Ich starre ihn bloß an und bekomme kein Wort raus, weil ich weiß, dass ich es ihm gleich sagen muss. „Flynn, fuck mich nicht ab .. ", sagt er warnend, während er mich mit einem Todesanblick anschaut. Wenn Blicke töten könnten, dann genau jetzt. „Bist du etwa high?"
„Ich habe wieder Krebs, Luke.", sage ich kraftlos. Seine Miene verzieht sich. Sein Kiefer klappt auf und seine Lippenpaare stehen nun ein Stück offen. Er ist geschockt und weiß nicht was er sagen soll. Er setzt sich dann schließlich auf den Rand meines Bettes, während er zu Boden starrt.
„Wow", murmelt er erschüttert.
„Fuck.", zischt er leise. Dann schaut er seitlich zu mir. „Du weißt es schon länger, richtig?" Ich nicke boß mit dem Kopf. „Fuck", murmelt er wieder. Er drückt sein Daumen in das linke und den Zeigefinger mit dem Mittelfinger an sein rechts Auge. Mit dieser Geste versucht er sich die Tränen zu unterdrücken. „Fuck", kommt es erneut aus ihm heraus. „Hast du dich deshalb von Tara ferngehalten?", fragt er mich.
„Ich wollte sie nie in mein Leben lassen."
„Du solltest es ihr sagen."
„Nein.", raune ich.
„Doch, Flynn."
„Du verstehst es nicht" Ich setze mich auf.
„Was verstehe ich nicht?", fragt er verwirrrt.
„Ich habe diese Frau in mein Leben gelassen, Luke ... Ich habe sie verdammte scheiße reingelassen. Ich lasse keine Menschen in mein Leben. Du wusstest es, Luke. Also frag mich nicht, wieso du es nicht verstehst!" Ich werde lauter, emotionaler, wütender und trauriger.
Ich bin wütend auf mich, weil ich sie in mein Leben gelassen habe.
Ich bin wütend, weil ich sie in mein Leben gelassen habe.
Ich bin traurig, weil ich sie in mein Leben gelassen habe ...

„Sie ist aber jetzt in deinem Leben. Du solltest es ihr sagen, genauso wie du es mir gesagt hast." Er wird ruhiger. Seine Hand platziert er auf meiner Schulter und drückt kurz zu. Nur sein Handdruck sagt mir, wie verdammt arm ich dran bin. „Es tut mir leid für dich, Flynn ... Es erwischt immer die Guten." Es sollte niemanden erwischen. Niemand hat es verdient. Wirklich niemand.

Luke ist spontan vorbeigekommen. Also sitzen wir jetzt zu dritt am Tisch auf der Terrasse und überlegen, was wir mit unserem heutigen Tag machen können, bevor Taras Schicht in der Bar startet. Ich spüre, wie die Stimmung zwischen uns allen anders ist. Nicht so wie die Stimmung im Urlaub gewesen ist. Einer der Gründe, wieso ich es nicht sagen wollte. Tara verhält sich normal und trotzdem spüre ich, dass sie damit zu kämpfen hat. Ich spüre, wie sie immer wieder mit ihren Tränen kämpfen muss, wenn wir darüber sprechen. Doch für mich ist sie stark. Auch ohne mich ist sie stark. Trotzdem geht es mir beschissen dabei, dass sie dafür stark sein muss. Sie sollte ihr Leben leben. Sie sollte einen Mann finden, der eine Zukunft hat. Ein Mann, der ihr Kinder schenken kann. Ein Mann, der sie für immer lieben kann ...
Luke hingegen ist nicht der aufgedrehte Luke den ich kenne. Der Luke, der einem die Ohren vollplappert. Er hält sich zurück. Er macht sich Sorgen um mich. Er ist ruhiger. Als ich gerade schweige und die beiden beobachte, weil ich an sie denke, bemerke icj wieder, während sie sich unterhalten, wie Luke sie anschaut. Er mag sie. Luke mag Tara. Er mag sie nicht nur. Es ist mehr. Wenn er könnte, würde er. Das weiß ich. Doch seit dem Urlaub, im Bad, als Luke uns gestört hat, hat er sich von ihr distanziert. Doch Blicke sagen genauso viel aus. Sie hingegen bemerkt es nicht. Ich mache ihm dafür keine Ansage, ganz im Gegenteil ... Wenn ich nicht mehr da bin, wäre es schön, wenn er sie so liebt wie ich es tue, wenn sie es zulässt ... Der Gedanke zerstört mich, weil nur ich sie für immer lieben will, aber weil meine Situation sagt, dass ich nicht lange leben werde, selbst wenn ich die Spende bekommen würde, wäre ich fein damit, wenn sie jemanden wie Luke findet. Es ist okay, wenn sie mich ersetzt. Schließlich sind wir nicht zusammen. Wir sind nicht zusammen. Tara und ich - wir sind nicht zusammen. Sie kann jeden haben. Jeden, und nicht diesen kranken Bastard.

Mein Glas platzt mir plötzlich in meiner Hand. Tara und Luke zucken zusammen und drehen ihre Köpfe ruckartig zu mir. Tara schreckt auf und läuft zu mir. „Was tust du?", fragt sie mich.
Ich weiß nicht, was ich tue. Aggressionen jagen plötzlich durch mein Körper. Die ganze Energie hat sich in diesem Glas aufgeladen und plötzlich ist es explodiert. Sie sammelt die Scherben auf und schaut zu mir runter. Ich sehe es vom Augenwinkel aus. Doch ich lecke mir bloß die Lippen, als wäre nichts passiert.
Sie könnte jeden haben ....

„Passt.", raune ich. „Ich räume das weg."
„Ich helfe dir bloß.", wispert sie und sammelt weiter die Scherben ein.
„Ich habe gesagt es passt.", sage ich ein wenig lauter und bestimmender. Sie hört abrupt mit ihren Bewegungen auf, als ich lauter werde. Ich spüre ihren Blick auf mir, doch ich schaue sie nicht an. Im nächsten Moment stehe ich vom Platz auf und laufe rein, hole den Kehrblech, um schließlich den Scheiß vom Tisch zu kehren, den ich veranstaltet habe - unbewusst und unkontrolliert.
„Hey Mann, alles gut?", wirft Luke rüber.
„Was soll sein?", frage ich angepisst, ohne ihn anzusehen. Bewussg schaue keinen der beiden an. Ich weiß genau, was ich in ihren Augen sehen würde.

„Chill.", raunt er. Im nächsten Moment, als ich fertig bin, kehre ich den beiden den Rücken zu und laufe mit dem Kehrblech und den Scherben ins Haus, um den Müll zu entsorgen. Dann steige ich in meine Sneakers, greife nach meinen Autoschlüssel und verlasse das Haus, nur um Abstand von den beiden zu nehmen. Warum weiß ich selber nicht. Warum weiß keiner. Warum ich derjenige bin den es erwischt hat weiß nur der liebe Gott. Vielleicht gibt es einen Grund, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht bin ich einfach geboren nur um so früh zu sterben. Vielleicht..
Vielleicht ...
Vielleicht.

My Beautiful DisasterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt