New York City, Restaurant, 23:01 Uhr
Leicht schwankend verabschiede ich mich von Christian. An seiner Fahne deutlich zu erkennen, ist er ebenfalls leicht angetrunken. Nachdem sich unsere Wege trennen, hacke ich mich lachend bei Clyde ein, welcher den restlichen Abend mit Schweigen vor sich hin verbracht hat. Gewundert hat mich sein Verhalten nicht. Einen Blick auf meine Finger, an denen mein Verlobungsring prangt, muss ich lächeln.
Den restlichen Weg zu unserem Apartment verbringen wir in Stille, nur das Klackern meiner Schule auf dem Asphalt ist zu hören. Clyde öffnet die Türe und drückt mich sanft in den Flur, folgt jedoch nicht. „Wohin, willst du?", frage ich mich umdrehend. Der Wunsch, noch einen romantischen Abend haben zu können, verfliegt. „Ic-Ich muss noch wohin", stottert er.
Mein lautes „Was?", überhört er doch, da er sofort die Türe vor meiner Nase zu wirft. Wütend über seine Reaktion reiße ich mir meine Schuhe von den Füßen und werfe sie gegen die Türe. „Du brauchst mir heute gar nicht mehr nach Hause kommen", in mir bahnen sich die Tränen an und ich stampfe enttäuscht ins Badezimmer, wo ich mich abschminke.
Meine Haare zu einem unordentlichen Dutt hochgesteckt, werfe ich mich mit Kleid auf das Bett. Auch wenn dieses Bett frischbezogen ist, so bin ich schlichtweg zu faul, mich in einem Pyjama umzuziehen. Auch wenn es wahrscheinlich die beste Lösung ist. Ich bin schlichtweg zu müde.
In dem Moment, als ich meinen erschöpften Körper in die weiche Matratze fallen lasse, überfällt mich das gewaltige Gefühl der Einsamkeit. Von der Welt zurückgelassen, von meiner Mutter verlassen und von Clyde stehengelassen, fange ich an zu weinen. Die letzten Wochen und Monate, die ich in New York verbracht habe, bin ich sehr darauf fixiert auf meine Arbeit und Clyde gewesen.
In Brooklyn war ich jederzeit von meiner Familie umgeben oder Kollegen, die gleichzeitig meine Freunde waren. Aus diesem Grund bin ich schon im Vorhinein davon ausgegangen, dass sich auch hier das gleiche Phänomen abspielt. Jetzt muss ich aber mit einer Enttäuschung leben, dass sich meine Kollegen von mir distanzieren und sich über mich lustig machen. Auch nach unserem Zusammenzug mit Clyde hat sich seine Verhaltensweise geändert.
Seither ist er komisch distanziert, was ich nicht von ihm erwartet habe. Mein Traum, des perfekten Lebens in New York scheint zu zerplatzen. Schluchzend vergrabe ich meinen Kopf in das Kissen uns schreie einmal laut aus. „Bonnie", die sanfte, mir mittlerweile sanfte Stimme von Wayne ertönt. Nicht einmal Kraft kann ich aufbringen und ihm antworten.
Ein weiteres mal ruft er laut „Bonnie" aus. „Wayne, ich habe jetzt keinen Nerv mich um den Fall zu kümmern", langsam bin ich auch genervt von seiner Art. Ich habe ihm zwar gesagt ich würde diesen Fall lösen, jedoch bin ich in diesem Moment nicht in der Lage, weitere Ermittlungen vorzunehmen. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob ich an diesem Punkt überhaupt weiter machen möchte. Vielleicht ist es eine voreilige Entscheidung gewesen nach New York zu ziehen, auch wenn es immer mein Traum gewesen ist. In Brooklyn war ich glücklich, ich hatte einen tollen Job und eine bessere Beziehung.
„Bonnie, ich will nicht über den Fall reden, ich will dir helfen", weiterhin hackt Wayne auf mir herum. „Ich möchte aber nicht", zicke ich zurück, Wayne jedoch gibt nicht nach. „Ich bin hier Bonnie, um dir zu helfen", für eine Sekunde bin ich bereit, das Gespräch mit ihm zu suchen, meine Gefühle sind aber anderer Meinung.
„Mir ist nicht mehr zu helfen. Ich will doch nur glücklich sein. Ich will mein Glück mit Clyde", laut schluchzend vergrabe ich mich noch tiefer in das Kissen. „Denkst du allen ernstes, dass Clyde dir die Liebe geben kann, die du verdient hast?", dieser Satz von ihm, lässt mich unfassbar wütend machen. „Spinnst du? Ein toter Fremder, wie du hat kein Recht dazu, sich ein Urteil über meine Beziehung zu machen".
„Natürlich, aber ich mache kein Urteil, sondern sehe die Fakten", meine Beleidigung schient bei ihm keine Auswirkung zu haben, er bleibt wie immer ruhig und nicht mal mit Ironie redet er zu mir. Vielleicht bin ich doch ein Stück zu hart gewesen. „Es tut mir leid, Wayne. Ich wollte dich nicht beleidigen. Ich bin nur so verzweifelt", ich weine lauter, verzweifelt aus.
„Shhh, Bonnie. Es ist alles in Ordnung. Atme tief durch", ich folge seiner Aufforderung. Das tiefe Durchatmen, bringt mich dazu, wieder rational zu denken. Ich versuche meine Gefühle beiseite zu stellen. „Welche Fakten überhaupt?", ein Glück befindet sich auf dem Nachtisch, eine Taschentücherverpackung und ich kann mir die Nase abputzen. „Immer wenn du versuchst auf Annäherung zu gehen, ist er der Erste, der sich aus der Situation schleicht".
Ich merke aber sofort anhand des kurzen Kusses, dass er heute nicht bereit ist, unsere Zweisamkeit zu vertiefen. Ein unzufriedenes Grummeln meinerseits und er seufzt. „Ich habe noch einen Termin".
„Haben wir jetzt Zeit für uns?", meine Hand wandert an seinem Arm auf und ab. Enttäuschender Weise schüttelt er mich ab. „Ich bin extra zum Essen hierher geeilt.", ich schnaufe laut aus. Wieder einmal kann ich mir einen Abend auf der Couch mit Eis und einem Krimi gemütlich machen. Auch wenn ich gerne meine Prime Time genieße, so habe ich das Gefühl mit Clyde im Moment keine Zweisamkeit zu haben.
In meinem Kopf spielen sich die vergangen Situationen ab, bei denen sich Clyde immer rausgeredet hat. „A-Aber das sind doch Geschäftsessen. Er liebt mich. Schließlich hat er mir einen Antrag gemacht!", hauche ich leise. Die Wahrheit schmerzt. „Bist du dir da sicher? Alleine das Essen mit seinem Vater...", Wayne braucht nicht weiter zu reden. Mir fallen sofort die Kleinigkeiten auf.
„Manchmal habe ich das Gefühl gehabt, dass es dich nicht gibt". Christian hat es mir so einfach gemacht und trotzdem habe ich es nicht wahrnehmen wollen. Genauso wie die Verlobung. Vor lauter Freude überhöre ich glatt sein „Bitte?". Es ist eindeutig eingefädelt worden von seinem Vater, nicht von ihm selbst. „Den hat Clyde für dich bestellt, weil er genau weiß, wie sehr du Eis liebst". Clyde weiß das zwar, aber er hasste es, wenn ich Eis esse. Schließlich ist es eine Süßigkeit, die meine Figur schaden könnte.
„Du Lügner!", ich springe auf dem Bett aus. Wütend reiße ich mir den Ring von meinem Finger, sodass dieser durch meinen hektischen Griff, leicht anfängt zu bluten. Dies ignorierend überrollt mich die Wut ausnahmslos. Das ganze Zimmer zusammenschreiend, werfe ich wehrlos Gegenstände herum. Alleine durch meine Lautstärke gehe ich davon aus, dass sich die Nachbarn jeden Moment beschweren.
In Rage schmeiße ich ausersehen das Bild von meiner Mutter auf den Boden, welches auf meinem Nachtisch liegt. Sie ist das Einzige, welches mir noch wichtig erscheint und so spüre ich sofort die Reue. „Entschuldige Mom!". Mich bückend muss ich unter das Bett greifen, meine Hand aber trifft nicht auf ein Bild, sondern auf Papier.
Ich muss stutzen. Seit wann lagern wir Papier unter unserem Bett. Ich angele das Bild und die Papierstapel. Da bemerke ich, dass es sich um ein Stapel Zeitschriften handelt. Schockiert weiten sich meine Augen. Die Zeitschriften sind keine normalen, es sind Hefte mit Männer. Ich blättere kurz durch die Seiten und überall sind nackte Männer in verschiedenen Posen zu sehen.
„Weißt du manchmal, da dachte ich echt er sei schwul. Du bist seine erste Freundin", Christians Worte sind nicht einfach so gesagt, es ist die Wahrheit. Clyde ist schwul und er hat mich benutzt. Benutzt, um vor seinem Vater das Geschäft zu bekommen. „Rache", höre ich Wayne flüstern. „Rache", lache ich zustimmend. Er wird bluten für das, was er mir angetan hat.
DU LIEST GERADE
Whispers from the past
Mystery / ThrillerA B G E S C H L O S S E N ☽ ONC 2023 - Beitrag ☾ In den pulsierenden Straßen von New York City lebt die junge Polizistin Bonnie ihren Traum als Detective. Doch ihr erster Fall stellt sie vor eine unerwartete und furchterregende Herausforderung: Eine...