New York City, Innenstadt, 15:34 Uhr
Ich kaue nervös auf meinen Fingernägeln herum als ich vor dem Friseursalon stehe. Meine mit einzige Hoffnung, noch irgendwelche Informationen von dem Toten zu bekommen. Natürlich bin ich alleine hier hingefahren, ohne Begleitung. Ohne Sam
Immer noch ist er mir ein Dorn im Auge und ich kann keinen meiner Kollegen vertrauen. Der einzige, der mir in diesem Fall hilft, ist ein toter Detective, der aus einem alten muffigen Walkie-Talkie zu mir redet. Beschweren kann ich mich da aber auch nicht, schließlich ist es seine Idee gewesen, zu der alten Arbeitsstelle des Toten zu fahren.
Jetzt stehe ich hier. Alleine. Auch wenn mir Wayne während der Fahrt aufmunternde Worte zugerufen hat, so bin ich leicht nervös. Meine erste Befragung, ohne Hilfe. Ich atme tief durch, straffe noch einmal meine schwarze Lederjacke und drücke dann die Glastüre vor mir auf.
Im Friseursalon werde ich sogleich von einer markanten Duftnote und lautem Trubel erschlagen. Der Laden quillt schon fast vor Kundschaft über und die Mitarbeiter laufen kreuz und quer, nur um von einem zum nächsten Kunden zu wechseln. Ich ergreife meine Chance als sich eine Frau am Tresen mit einem Kaffe gemütlich macht. Schnellen Schrittes laufe ich auf sie zu und bleibe vor ihr stehen.
„Guten Tag. Detective Lynley mein Name. Ich hätte da ein paar Fragen.", den Satz habe ich im Auto bereits ein paar mal geübt und bin froh, dass ich selbstbewusst rüber schaut. Der Blick der Frau hebt sich und sie antwortet mit einem stumpfen „Hallo.". Danach nimmt sie genüßlich einen Schluck aus dem Kaffee. „Ich bin wegen ihrem Kollegen Miles Gold hier.", ich strecke ihr lieber mal meinen Ausweis entgegen.
Ihre Augen weiten sich bei den Namen und sie steht auf. „Kommen Sie mit. Ist zwar meine Pause, aber...", sie lässt den Satz unausgesprochen und führt mich aus dem Laden heraus. Sie zieht eine Zigarette aus ihrer Schachtel und zündet diese an. „Wer sind Sie und welche Verbindung haben sie zu Herrn Gold?", ich zücke meinen Block aus meiner Hosentasche. Die Feder glitzert und ich bin bereit jedes Wort, dass meine Gegenüber mir sagt, zu notieren.
„Maesi ist mein Name, Maesi Williams.", eifrig kritzele ich ihren Namen auf das Blatt, während sie einen tiefen Zug von ihrer Zigarette nimmt. „Kannst du mir etwas über Herrn Gold erzählen? Hatte er mit irgendwem Stress? Irgendwelche Beziehungen? Egal was, alles ist wichtig!", fordere ich sie auf. Maesis blonder Lockenkopf wippte auf und ab, als sie bedrückt den Kopf senkt.
„Miles war ein guter Mann. Sehr fleißig. Wahrscheinlich der beste.", sie seufzte leise und auch ich stocke in meiner Bewegung. „Tut mir echt leid für ihren Verlust...", nach meiner versuchten Aufmunterung, tritt Stille ein. „Schon gut. Finden Sie nur bitte den Mörder.", in ihren Augen konnte ich leichte Tränen sehen, welche sie aber sofort mit ihrer freien Hand wegwischt.
„Ich verspreche es.", noch klingt es eher wie eine Lüge, aber ich werde alles darum geben, dass es in dieser nicht enden wird. Ein leichtes Zucken ihrer Mundwinkel deutet jedoch daraufhin, dass sie mein leichtes Zittern nicht bemerkt hat. „Miles war hier mit keinem wirklich sehr eng befreundet. Wir waren halt Arbeitskollegen, aber gute.", zur Bestätigung nickt sie einmal kräftig.
„Niemand weiß viel über ihn. Er hat sich immer aus allem zurückgezogen.", in mir verkrampft sich alles. Wieder eine Sackgasse. „Keine Freunde, keine Familie, irgendwie war da nie etwas.", diesen Satz kann ich nur tatkräftig unterstützen. Ihre blauen Augen sind so verzweifelt. „Ich habe ihnen keine weitere Informationen bringen können...oder?", ohne auf eine weitere Antwort zu warten, fängt sie an zu schluchzen.
Stock steif bliebe ich stehen. Maesi wusste bereits, dass sie mir nichts Neues für meine Ermittlungen erbracht hat, aber ich konnte es nicht laut aussprechen. Aus meiner Hosentasche zupfe ich nur stumpf ein Taschentuch und reiche es ihr. Mit einem leisen „Danke", nimmt sie es entgegen und tupft sich die Nase ab.
Ich warte einige Sekunde, bis sie sich wieder gefasst hat. „Ich werde alles daran geben den Fall zu lösen.", tröstend streiche ich ihre Schultern, doch sie reagiert nicht. Kein leise gehauchtes Danke, kein Nicken, kein Zucken. Nichts.
„Ich danke Ihnen Frau Williams.", ich will mich abwenden und gehen, als sie auf einmal „Warte" schreit. Sofort drehe ich mich um. „Ich-Ich habe doch etwas.", sie lacht beinahe bei ihrem Satz. Auch wenn ihre bebende Stimme nur so zittert, kann ich ihr kleines Lächeln im Gesicht erkennen.
„Miles war echt reich. Wirklich reich. Er ist zwar der Beste von uns gewesen, aber er hat wahrscheinlich dreimal so viel auf dem Konto wie wir alle zusammen."
New York City, Apartment, 16:09 Uhr
Maesi ist nicht im Unrecht. Miles Gold ist, wie sein Nachname eigentlich auch verrät, Steinreich. Seine Bankdaten sind mir vorher nicht aufgefallen, aber die Zahlen auf seinem Konto sprechen Bände. Ein Frisör kann unmöglich solche Summen an Geld verdient haben. Nicht 5.000 $ im Monat. Ein leichtes Grinsen bildet sich auf meinen Lippen ab. Endlich habe ich einen Anhaltspunkt. Irgendwelche krummen Dinge muss er sicherlich gedreht haben.
Als Polizisten bin ich den Eid der Schweigepflicht eingegangen und dennoch habe ich die Akte samt meines Arbeitslaptops mit nach Hause genommen. Es ist kein indirektes Verbrechen gegen den Eid, aber trotzdem ist es nicht gerne gesehen. Uns Polizisten ist es streng untersagt, Arbeitsmaterialien mit nach Hause zu nehmen, wenn andere mit im Haus leben.
Dennoch habe ich den gesamten Aktenkoffer zum wiederholten Male mit nach Hause genommen. Nicht so wie beim letzten Mal verspüre ich keine Nervosität oder werde vom schlechten Gewissen geplagt. Wahrscheinlich bin ich von Paranoia verfolgt, aber das Vertrauen gegenüber meines Partners, dass er meine Akten nicht mal anschaut, ist größer als die zu meinen Kollegen. So oder so kann ich mich nicht den neugierigen Blicken der Anderen aussetzten. So hat sich Sam und meine kleine Auseinandersetzung sofort rumgesprochen und mittlerweile wissen alle über meinen Auftritt bescheid
Leider kann ich nicht sehen woher er dieses Geld erhalten hat, da er dies immer selbst auf sein Konto einzahlte. Er muss es dementsprechend Bar erhalten haben. Der Entschluss steht fest: Morgen gehe ich zu seiner Wohnung. Auch wenn dort keine Spuren gefunden wurden, kann ich vielleicht weitere Hinweise bekommen. Zufrieden mit den heutigen Ergebnis, räume ich alles zusammen und verschließe meine Waffe, sowie die Fallakten in meinem Safe.
„Hallo Schatz.", das Schließen der Türe und die raue Stimme, zeichnet eindeutig meinen Freund, Clyde aus. Freudig drehe ich mich um und stürme auf ihn zu. Der, wie immer braune Anzug, schmiegt sich eng an seine Haut und seine Muskeln kommen zum Vorschein. Gierig verlange ich einen Kuss, welcher er rau lachend erwidert.
„Haben wir jetzt Zeit für uns?", meine Hand wandert an seinem Arm auf und ab. Enttäuschender Weise schüttelt er mich ab. „Ich bin extra zum Essen hierher geeilt.", ich schnaufe laut aus. Wieder einmal kann ich mir einen Abend auf der Couch mit Eis und einem Krimi gemütlich machen. Auch wenn ich gerne meine Prime Time genieße, so habe ich das Gefühl mit Clyde im Moment keine Zweisamkeit zu haben.
„Schatz du weißt wie wichtig das für mich ist.", sein strenger Ton erlaubt keinen Widerstand. Meine Hand ballt sich zitternd zusammen. „Hier, ich habe dir Sushi mitgebracht.", er streckt eine Tüte, die verdächtig nach Fisch riecht, nach oben. Selbst diese kleine Aufmerksamkeit kann meine Stimmung nicht heben.
Das laute Klingeln des Telefons unterbricht die unangenehme Stille. „Noah?", keine Sekunde später ist Clyde am Hörer. Ich spitze dir Ohren und versuche unauffällig einen Laut zu hören, jedoch fängt er an seine Jacke wieder anzuziehen. Das laute Rascheln bedeckte allerdings die Stimme an der anderen Leitung. „Ja, ja, ich komme sofort.", stolpernd läuft er zur Türe, will ohne ein weiteres Wort gehen, bemerkt dann aber die Tüte, die er noch in der Hand hält.
Diese drückt er mir in die Hand, winkt mir zu und verlässt mich. Ohne einen Kuss, ohne ein „Tschüss" oder einem leise geflüsterten „Ich liebe dich". Ich bin enttäuscht und schlurfend stelle ich das Sushi, samt Tüte in den Kühlschrank. Zur Entspannung lasse ich mir ein Bad ein. In der Badewanne kann ich am besten nachdenken.
DU LIEST GERADE
Whispers from the past
Misteri / ThrillerA B G E S C H L O S S E N ☽ ONC 2023 - Beitrag ☾ In den pulsierenden Straßen von New York City lebt die junge Polizistin Bonnie ihren Traum als Detective. Doch ihr erster Fall stellt sie vor eine unerwartete und furchterregende Herausforderung: Eine...