Kapitel 14 - Wer ist schuld?

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*Triggerwarnung: Drogenkonsum, Panikattacken*

Auf der Fahrt redeten wir nicht ein Wort. Nach ein paar Minuten schlief Rafe ein. Als wir bei den Camerons ankamen stieg ich aus und holte das Fahrrad aus dem Kofferraum. Er saß immernoch im Auto. Ich ging zu seiner Tür und öffnete sie. „Wir sind da." sagte ich. Er wachte auf und schaute sich um. „Ich will nicht hier sein." sagte er. „Kann ich zu dir?"
Ich schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall, Rafe."
„Geh nach oben und schlaf." sagte ich und nahm seine Hand um ihn aus dem Auto zu ziehen. Er bewegte ich aber keine Stück. „Ich will Dad jetzt nicht sehen."
Ich wurde ungeduldig. „Mach was du willst, ich fahre jetzt nach Hause." sagte ich und ging zu Sarahs Fahrrad. Plötzlich stolperte Rafe hastig aus dem Auto und rannte zu nem Busch ein paar Meter vom Auto entfernt. Er sank auf die Knie und übergab sich. Danach fing er an heftig zu atmen. Das Atmen wurde zu einem hyperventilieren. Er hatte eine Panikattacke. Ich rannte zu ihm und kniete mich neben ihn. Ihm liefen die Tränen über die Wangen und er guckte mich verzweifelt an. „Rafe, alles ist gut, hör mir zu!" sagte ich und legte meine Hand auf seinen Brustkorb. „Atme langsam durch die Nase ein, ok? Atme mir nach"
Ich holte durch die Nase Luft und zählte leise bis 4. „Jetzt Luft anhalten" sagte ich und zählte von 7 runter. Dann atmete ich demonstrativ durch den Mund aus. Für 8 Sekunden.
Das wiederholten wir zwei bis dreimal bis er sich beruhigte.
„Ich will hier nicht sein." sagte er erneut.
„Ok." sagte ich seufzend und half ihm hoch. „Ich fahr dich zu Barry."
Auf dem Weg sagte Rafe irgendwann: „mir gehts nicht gut."
Ich schaute zu ihm, dann wieder auf die Straße. „Du wurdest ja auch eben ziemlich zusammengeschlagen." antwortete ich.
„Nein, y/n, hier geht es mir nicht gut" sagte er und tippte sich auf den Kopf. Er wirkte immernoch vollkommen neben der Spur. „Ich weiß, Rafe." sagte ich.
„Ich versuch es dauernd zu sagen, aber es wird immer ignoriert." sagte er.
„Ich weiß." sagte ich wieder und legte meine Hand auf seinen Oberschenkel. Er platzierte seine Hand auf meiner und drückte zu. „Ich hab Angst, y/n. Ich weiß nicht wie lange ich das noch aushalte."
Seine Hand verkrampfte und zerquetschte regelrecht meine. Ich schaute beunruhigt zu ihm, wachsam ob er nicht gleich wieder eine Panikattacke bekam. „Wir kümmern uns darum, versprochen." sagte ich tröstend.

Bei Barry angekommen klopfte ich an seine Tür. Er öffnete. „Was willst du schon wieder hier, Prinzessin."
„Hör auf mich so zu nennen." sagte ich.
„Kann Rafe bei dir schlafen?"
„Warum?"
Ich nahm das als Ja, ging zum Auto und machte ihm die Tür auf. „Komm." sagte ich zu ihm.

„Er kann auf dem Sofa auf der Veranda schlafen." sagte Barry und führte uns durchs ‚Wohnzimmer' nach draußen auf die Veranda. Rafe setzte sich aufs Sofa und ich und Barry gingen wieder rein. „Was ist passiert?" fragte er.
„Er hätte eben fast seine Schwester umgebracht und hatte danach eine Panikattacke."
„Auch wenn er danach fragt, gib ihm nichts!" sagte ich eindringlich. Barry wusste, dass ich damit sein Koks meinte. Er zuckte mit den Schultern. „Ok?"
„Ich mein es ernst, Barry. Der Kerl ist krank und das Zeug macht ein absolutes Monster aus ihm."
- „OK!" antwortete er und hob schuldabweisend beide Hände hoch.
Wir gingen zu ihm auf die Veranda und ich setzte mich neben ihn auf die Couch. Barry pflanzte sich auf einen Sessel neben uns. Rafe lehnte sich zur Seite, legte seine Beine über die Armlehne des Sofas und seinen Kopf auf meinen Schoß. Ich schaute ihn besorgt an und strich ihm die Haare von der Stirn. Ein paar Minuten später schlief er ein. Barry zündete sich einen Joint an, zog einmal und gab ihn dann mir. „Danke" flüsterte ich leise.

Nach einer Weile ging Barry rein, ich hob Rafes Kopf behutsam hoch, stand auf, legte ein Kissen unter seinen Kopf und folgte Barry.
„Ich weiß nicht was ich tun soll."
„Bro, wenn du mich fragst muss er ins Gefängnis. Der hat nen Cop aufm Gewissen."
„Als wärst du so ein Engel." entgegnete ich ihm.
„Deine Drogen-Apotheke hat keinen kleinen Anteil an der Verantwortung seines Handelns."
„Da hast du wahrscheinlich recht" antwortete er nachdenklich. „Setz dich" sagte er und deutete auf die Couch, auf der ich vor ein paar Tagen schon einmal saß. Er setzte sich neben mich.
„Trotzdem denke ich, wir sollten ihn ausliefern." sagte er nach einer Weile.
„Barry, John B sitzt gerade im Gefängnis für etwas was Rafe getan hat. Die Polizei will nicht verstehen, dass es Rafe war. Wir haben es oft genug versucht."
„hmm." murmelte Barry verständnisvoll.
„Der Junge muss in den Entzug. Deshalb ist es zwar wahrscheinlich keine gute Idee, dass er jetzt bei seinem Dealer schläft, aber er wollte unter keinen Umständen zuhause schlafen."
Barry nickte.
„Weißt du eigentlich was Kokain in mit dem menschlichen Gehirn macht? Es stimuliert das zentrale Nervensystem. Dopamin, Noradrenalin und Seratonin werden verstärkt ausgeschüttet. Das sorgt für eine euphorische Stimmung, ein erhöhtes Selbstwertgefühl, sinkende soziale und sexuelle Hemmungen und gesteigerte Wachheit und Aufmerksamkeit. Diese Wirkung hält aber meist nur 20-60 Minuten an. Danach muss man mehr konsumieren um die Wirkung aufrecht zu halten, ansonsten tritt eine ängstliche und paranoide Stimmung ein mit meist akustischen, aber auch optischen Halluzinationen. Man entwickelt eine immer höher werdende Toleranz gegenüber der Droge. Man muss also immer mehr nehmen um den positiv scheinenden Effekt zu erzielen. Wenn man den Konsum für eine Weile unterbricht, bleibt aber das Toleranzlevel so hoch wie bei der letzten Einnahme. Also müsste man auch nach Jahren ohne Konsum immernoch die gleiche Dosis wie bei der letzten Einnahme nehmen um den Effekt zu spüren. Man wird sehr schnell abhängig. Ich hab mal gelesen, dass abhängige Ratten immer Kokain gegenüber der Nahrung, dem Wasser, dem Schlaf oder dem Leben an sich bevorzugen." sagte ich.
„Aber wem erzähl ich das eigentlich. Du verkaufst es ja schließlich. Und nimmst es selbst."
„Y/n, du hast zu viel Narcos geguckt." antwortete Barry stumpf.
Ohne darauf zu reagieren fuhr ich fort: „Ich kenne Rafe schon ein paar Jahre. Er war immer eine schwierige, impulsive und temperamentvolle Person. Und dadurch hat das Kokain vielleicht eine extremere Auswirkung auf ihn als auf dich. Ich weiß es nicht. Du scheinst mir aber viel besser damit umgehen zu können."
„Du hast recht, Prinzessin. Manchmal macht er mir tatsächlich Angst mit seiner Killer-Attitude. Sein Wesen und diese Droge sind keine gute Kombi. Und ich bewundere dich dafür, dass du so viel für ihn tust, Mann. Ich hab manchmal das Gefühl, dass du die einzige bist, die sich so für ihn einsetzt." sagte er.
„Du glaubst nicht wie nervenzerfetzend das ist. Ich meine er hat meine Freunde so oft bedroht und war kurz davor sie umzubringen. Barry, er hat einen Menschen getötet. Eben hätte er seine Schwester ertränkt, hätte Topper ihn nicht gestoppt. Aber trotzdem helfe ich ihm immer wieder. Ich halte es nicht aus zu sehen wie er unter seinen eigenen Fehlern leidet. Aber ich hasse ihn für die Sachen die er getan hat. Und ich weiß, dass er in seltenen Momenten der Realisierung sich selbst hasst." die ganzen Dinge, die ich niemandem sonst sagen konnte sprudelten einfach so aus mir raus.
„Sein Vater ist auch daran Schuld, dass Rafe so ist wie er ist. Er hat seine Probleme immer gekonnt ignoriert, selbst wenn Rafe sie klar und deutlich angesprochen hat. Anstatt ihm zu helfen hat er ihm das Gefühl gegeben nutzlos zu sein und der Familie im Weg zu stehen. Für ihn war Rafe immer zu aufbrausend, zu ‚rebellisch', zu emotional und zu schwach." ich macht eine kleine Pause.
Barry zündete einen Joint an, gab ihn mir „hier" und zündete sich einen weiteren an. Ich dankte ihm nickend und zog dran.
Dann fuhr ich fort: „Gefängnis würde ihn davon abhalten weitere dumme Dinge zu tun. Aber es würde ihm nicht helfen. Er würde nicht heilen."
„Zeit heilt. Im Gefängnis würde er Zeit gewinnen." sagte Barry und schaute mich an.
„Ich sehe Gefängnis eher als Zeitverlust und nicht als Zeitgewinn an. Außerdem gibt es in North Carolina immernoch die Todesstrafe." sagte ich. Mein Kinn fing an zu zittern und ich musste mich zurückhalten nicht zu weinen. Barry bemerkte das und nahm mich in den Arm. „Komm her, Süße." sagte er.
Durch die Umarmung konnte ich das Weinen jetzt nicht mehr unterdrücken. „Er hat eine Seele wie dich nicht verdient."
Da stimmte ich Barry nicht zu. Rafe verdiente jemanden, der sich um ihn sorgt. Ich wusste nur nicht, ob ich das noch länger konnte. Barry drückte mich fest. Es tat so gut endlich mit jemandem über das was seit Tagen in meinem Kopf rumschwirrte zu sprechen. Naja es war eher ein Monolog meinerseits, als ein Dialog. Aber es war wohltuend sich das alles von der Seele zu reden. Ich löste mich aus der Umarmung und wedelte mit meinen Händen vor meinem Gesicht um die Tränen zu trocknen. Klappte aber nur symbolisch. „Fuck" wimmerte ich leise schluchzend. „Tut mir leid." fügte ich hinzu.
„Du musst dich nicht entschuldigen." sagte Barry. Er legte den Arm um meine Schultern, zog mich an sich, gab mir einen Kuss auf den Kopf und nahm seinen Arm wieder runter. Ich lächelte ihn an. „Danke" sagte ich und knuffte ihm mit dem Ellenbogen an.

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