Kapitel 94

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Nach einer gefühlten Ewigkeit kehrte sie mit einem der Dekane zurück. Keinen Augenblick zu früh, wie sich rasch zeigte. Hermine vernahm aggressive Sätze beider Zauberer – offenbar hatte Draco seine Stimme zurückerlangt – , wenngleich die genauen Worte im ohrenbetäubenden Donnergrollen untergingen. Dracos Wange zierte eine tiefrote Schramme und das durch den strömenden Regen mittlerweile pitschnasse Haar umschloss seinen Kopf wie einen glänzenden Helm. Zielsicher verpasste er Ron einen Fluch, der dem Weasley das Blut aus der Nase rinnen ließ, wo es sich mit dem Regen zu einem wahren Lauf verband, der dramatisch aussehende Spuren auf Rons nassem T-Shirt hinterließ.

Kurz abgelenkt von dem Auftauchen des Dekans vergaß Ron seine Deckung und bekam daher Dracos laut ausgestoßenen „Expelliarmus!" frontal ab – der Zauberstab entwand sich Rons Hand und flog über die zwei verbliebenen Zuschauer hinweg in die nächste Böschung. Auf Dracos Gesicht erschien ein überhebliches, schadenfrohes Grinsen.

„Damit ist es wohl ent..."

Er kam jedoch nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Gleichzeitig mit einem Blitz, der die Szene in gespenstische Helligkeit tauchte, stürzte Ron auf Draco zu und verpasste ihm einen Faustschlag mitten ins Gesicht, der die Haut um Dracos Auge herum sofort aufplatzen ließ.

„Finite!", brüllte der Dekan mit einer Stimme, die den Naturgewalten zu trotzen vermochte, offenbar hatte er sie vorher selbst verstärkt. Mit grimmigem Gesichtsausdruck wandte er sich sogleich Draco zu.

„Das gibt eine Strafarbeit, die sich gewaschen hat, Mr. Malfoy. Sie glauben wohl, sie können sich hier an der Hochschule über alle Regeln hinwegsetzen. In mein Büro. Jetzt!"

Draco machte Anstalten, etwas zu erwidern, doch angesichts des ihm drohend entgegengehaltenen Zauberstabes schloss er seinen Mund wieder und biss sichtbar die Zähne zusammen. Der Bereich um sein Auge hatte sich längst schon dunkel verfärbt, doch der Dekan verlor kein Wort darüber. Wortlos, aber unmissverständlich deutete er auf Dracos Zauberstab, den Draco daraufhin unter seinen triefenden Umhang schob. In betont aufrechter Haltung folgte er dem Dekan in Richtung der Zentralverwaltung. Seine Miene gab nichts von seinen Gedanken preis, doch als er Hermine passierte, wandte er kurz den Kopf und zischte leise:

„Besten Dank auch, Hermine."

Selbst schuld, warum hast du mitgemacht?, dachte Hermine irritiert und sah ihm einen Augenblick lang hinterher, während sie spürte, wie ihr die Regentropfen über die Stirn liefen und wie die triefenden Haare die Rückseite ihrer Bluse in ein nasses Stück Stoff verwandelten. Dann wandte sie sich Ron zu.

„Willst du dem Dekan nicht sagen, dass du deinen Teil dazu beigetragen hast?" Sie deutete mit einem Kopfnicken auf den sich rasch entfernenden Repräsentant der Hochschule.

„Nö!", gab Ron ungerührt zurück, während auch ihm das feuchte Haar im Gesicht klebte und seine Kleidung längst dunkel vor lauter Nässe war.

„Geschieht ihm recht. Dieser Arsch hat das so was von verdient! In Zukunft wird er es sich drei Mal überlegen, dir auf die Pelle zu rücken."

Erfreut nahm er seinen Zauberstab entgegen, den Dean ihm hilfsbereit reichte. Genervt schloss Hermine für einen Moment ihre Augen. Dann sorgte sie mit einem kurzen Schlenker ihres Handgelenkes dafür, dass sich Rons blutverschmiertes Äußeres wieder in etwas verwandelte, das mehr einem Gesicht als einer barbarischen Maske glich.

„Habt ihr gesehen, wie lächerlich der Reinblutschnösel mit seinen Gummibeinen ausgesehen hat, als er hin- und hergetaumelt ist?", wandte sich Ron nach einem dankbaren Blick auf Hermine grinsend an Dean und Richie Coote, die trotz des strömenden Regens noch geblieben waren. „Und wie ich ihm am Ende noch ein blaues Auge verpasst habe? Diese herrlichen Anblicke werde ich nie vergessen."

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt