Kapitel 35

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Das Glas mit der dunkelroten Flüssigkeit verharrte noch einen Moment in der Luft, bevor es dann behutsam auf den Tresen vor ihr sank. Ein Lächeln stahl sich auf Ginnys Züge, sie schnupperte kurz an dem Getränk und blickte sich dann suchend um. Im Leaky Cauldron war es wie immer etwas düster, die hohen Fenster ließen nur wenig Licht hinein und selbst dieses war inzwischen schon im Verschwinden begriffen.

Wie meist in den späten Abendstunden unter der Woche war der Leaky Cauldron nur spärlich besucht. Die meist älteren Hexen und Zauberer, die hier die Mittagszeit oder den Feierabend verbrachten, waren längst verschwunden. Der bereits seit über hundert Jahren existierende Pub erfreute sich nur geringer Beliebtheit bei den jungen Magiern, da er nicht viele der derzeit angesagten Getränke im Angebot hatte.

Ginny jedoch liebte die etwas in die Jahre gekommene Einrichtung, die fern davor war, beeindrucken zu wollen. Das Interieur bestand aus einfachen Tischen und Bänken samt einem schmalen Tresen, wuchtige Bögen aus Stein stützten die Decke. Unzählige Bilder verschiedener Größe an den weiß gekalkten Wänden gaben dem großzügig angelegten Raum dennoch eine gewisse Gemütlichkeit, die die Gäste des Leaky Cauldron zu schätzen wussten.

Mitten in London gelegen war der Leaky Cauldron eines der Tore zwischen der magischen und der nichtmagischen Welt. Der Pub befand sich außerdem so nah an der Winkelgasse mit ihren ganzen Läden, der Bank Gringotts und den Menagerien, dass er stets kurz vor Ende der Schulferien zum Fixpunkt für Familien wurde. Sie versorgten sich in der Winkelgasse mit dem für die Schule benötigten Material und ließen sich anschließend zur Stärkung im Leaky Cauldron nieder.

Es dauerte nicht lange, bis Ginny den langhaarigen blonden Zauberer ausmachte, der ihr aus einer Ecke des Raumes zuzwinkerte und dann den Bruchteil einer Sekunde später mit einem leisen Plopp neben ihr am Tresen auftauchte.

„Danke für die großzügige Einladung", Ginny nickte zum Getränk hinüber. „Aber..."

„Gern geschehen. Wenn so eine schöne Hexe da abends allein sitzt, muss man einfach etwas tun."

Erneut zwinkerte er ihr auf eine Art und Weise zu, die seine Absicht deutlich werden ließ. Obwohl Ginny nichts weniger als einen Flirt im Sinn hatte, fühlte sie sich durch sein Kompliment geschmeichelt. Herausfordernd fragte sie:

„Und dann orderst du gleich einen Feuerwhisky?"

Sie kannte keine Hexe, die Feuerwhisky trank, ausgenommen sie selbst. Seine Bestellung sprach daher von einer gewissen Risikobereitschaft.

„Ich habe es an der Haarfarbe gesehen, dass du Feuer im Blut hast und daher bestimmt auch diesen Whisky magst. Und – habe ich Recht?"

Es war nicht der originellste Spruch. Ginny zog es vor, seine Implikationen zu überhören und antwortete daher lediglich:

„Ich mag tatsächlich Feuerwhisky. Allerdings..."

Erneut fiel er ihr ins Wort: „Peter Macmillan, freut mich."

Mit einem strahlenden Lächeln streckte er Ginny die Hand entgegen. Seine offene Art entschädigte für den Mangel an Höflichkeit, so dass Ginny seinen Händedruck in einer Mischung aus Freundlichkeit und Neugier erwiderte.

„Ginny Weasley."

„Hey, du bist Rons Schwester!"

Die Freude auf Peters Gesicht vertiefte sich noch um eine Nuance, während Ginny ihn mit erwachendem Interesse beäugte. Doch das schmale Gesicht mit dem blondgelockten Zopf im Nacken weckte keine Erinnerung.

„Du kennst Ron?"

„Kennen ist zu viel gesagt..." Peter machte eine vage Bewegung mit der Hand. „Mein Bruder Ernest war im selben Jahrgang wie er. Und wie Harry und Hermine."

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt