Kapitel 27

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Die unerwartete Stimme von Longbottom ließ Draco sichtbar zusammenzucken und das schmale Gefäß entglitt seinen Fingern und fiel lautlos auf das Sofa, wo es der Rückenlehne entgegenrollte und dann liegen blieb. Es war zu spät, die Ampulle unauffällig an sich zu nehmen. Langsam drehte sich Draco um und sorgte dann dafür, dass er das Sofa verdeckte. Ihm gegenüber stand Neville Longbottom und blickte ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Misstrauen an. Er sah genauso aus, wie Draco ihn vom vorletzten Jahr in Erinnerung hatte. Groß, mit kantigen Gesichtszügen und einer Entschlossenheit im Gesicht, die deutlich machte, dass er eine plausible Antwort erwartete.

Draco setzte daher ein einnehmendes Lächeln auf und erwiderte gedehnt:

„Ich war heute in der Gegend und wollte dir einen kurzen Besuch abstatten. Da auf mein Klopfen keiner reagiert hat und die Tür nur angelehnt war, war ich so frei, in wärmerer Umgebung auf deine Rückkehr zu warten."

Longbottom zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er gelassen entgegnete:

„Auch wenn ich keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen an den Tag lege, – denn hier ist ohnehin nichts, was jemanden interessieren könnte – die Türen waren definitiv geschlossen."

Draco ließ eine Hand hinter seinen Rücken gleiten und zog unauffällig den Zauberstab aus seiner Hosentasche, während er ein wenig von oben herab widersprach:

„Dann musst du dich eben geirrt haben. Sonst hätte ich ja wohl nicht hereinkommen können."

Longbottom zog die dunklen Augenbrauen zusammen und seine Stimme nahm eine eisige Tönung an.

„Ich bin nicht mehr der kleine Junge, den du herumschubsen kannst, Draco. Das, was du getan hast, nennt man unbefugtes Eindringen. Ich glaube nicht, dass sich dies gut in deiner Akte machen würde."

Darauf gab es für Draco nichts zu erwidern und er biss die Zähne zusammen. Er war von einer Verurteilung freigesprochen worden, aber sein damaliges Vergehen würde erst in sieben Jahren gelöscht werden. Vermutlich kam er in der Tat nicht drumherum, nachher erst den Gedächtniszauber anwenden und dann die unproblematischen Erinnerungen mit seinem Zauberspruch wieder aufheben zu müssen. Seine Hand krallte sich um den Zauberstab. Neville erwartete offenbar keine Antwort und fuhr stattdessen knapp fort:

„Also, was willst du von mir?"

„Wie ich schon sagte, einfach mal Hallo sagen", hielt Draco entschlossen an seiner Lüge fest. Ungeachtet der Gedanken, die durch seinen Kopf zogen, gelang ihm sogar ein freundliches Lächeln.

„Wir sind zwar im Guten auseinandergegangen, als du hier bei Slughorn warst. Aber dennoch fällt es mir irgendwie schwer, das zu glauben." Longbottom verschränkte die Arme vor der Brust und ohne Anstalten zu machen, seinen Zauberstab zu zücken, fuhr er gelassen fort:

„Was ist der wahre Grund für dein überraschendes Auftauchen hier? Und erzähl mir nicht, du seiest lediglich gekommen, um Minerva zum Geburtstag zu gratulieren."

Während Draco noch nach einer Möglichkeit sann, seiner Antwort den Anschein von Plausibilität zu vermitteln, trat Longbottom einen Schritt zur Seite, so dass seine Augen auf das Sofa fallen konnten. Mit zwei raschen Schritten war er am Polster, griff nach der Ampulle und öffnete den Deckel, um daran zu schnuppern. Draco spürte ein Zucken in seiner Zauberstabhand, doch ihm war klar, dass jegliche unüberlegte Aktion die Situation noch weiter zu seinen Ungunsten verändern würde.

Die nachfolgende Stille dehnte sich aus und kam Draco viel länger vor als die paar Sekunden, die sie tatsächlich dauerte. Schließlich drehte Longbottom sich um und stellte die Ampulle mit einem Ruck auf den Tisch, wo sie wie eine stumme Anklage wirkte.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt