Kapitel 58

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Einen Moment lang war da noch das Gefühl ihrer Lippen auf seinen und dann plötzlich Leere. Hermine war zurückgewichen und sah ihn entsetzt an. Mit zwei Fingern berührte sie ihren Mund, als könne sie es nicht fassen, was sie sich soeben erlaubt hatte zu tun. Fast hätte Draco die Hand nach ihr ausgestreckt, doch der Ausdruck ihres Gesichts hielt ihn davon ab.

Das konnte doch jetzt nicht alles gewesen sein! Sein Körper protestierte gegen den Entzug der vielversprechenden Berührung, aber mehr noch traf ihn ihre unerwartete Reaktion in seinem Inneren. Denn dass Hermine den Kuss genossen und aktiv erwidert hatte, war nicht zu bestreiten und hatte eine Woge an Endorphinen in ihm ausgelöst. Nicht Befriedigung darüber, dass er seinem Ziel endlich näher kam, sondern simple und pure Freude darüber, dass sie anscheinend genauso empfand wie er.

„Hermine..."

Doch der Zauber des Augenblicks war vorbei. Hermine rutschte wortlos vom Bett und fuhr hastig in ihre Stiefel. Gleich zwei Mal entglitt ihren unruhigen Fingern das Schuhband, bis es ihr beim dritten Mal endlich gelang, den Stiefel zuzuschnüren. Ein Gewicht schien sich auf Dracos Brust zu legen, als er das Offensichtliche feststellte:

„Du willst schon gehen." Er drehte sich zur Seite und zog seinen Zauberstab zu sich. „Lumos."

Im Lichte der Kerzen richtete Hermine sich auf und warf ihm einen entschlossenen Blick zu.

„Es war ein Fehler."

Was sollte das? Verschiedene Emotionen in Draco rangen miteinander und alles, was er daher im Moment herausbrachte, war ein knappes „Was war ein Fehler?"

Er verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich gegen das Polster und starrte Hermine mit einer Mischung aus Bitterkeit und Kränkung an.

„Dass ich mich intellektuell und ...", ihre Gesichtsfarbe schien sich unversehens ein wenig zu verändern, „... und körperlich auf dich eingelassen habe."

Es klang unwahrscheinlich gestelzt, aber es war der Inhalt, der Draco hörbar mit den Zähnen knirschen ließ. Was, bei Merlin, war ihr Problem? Es war unverkennbar gewesen, dass sie den Austausch über Literatur genossen hatte. Und auch den Kuss, der danach kam.

„Kann darin keinen Fehler finden", widersprach er und der Ärger, den er spürte, ließ seine Stimme unwahrscheinlich kühl klingen. Den Bruchteil einer Sekunde zu spät realisierte er, dass er vielleicht einen anderen Ton hätte anschlagen sollen. Hermine blickte ihn einen Moment lang schweigend an, als wolle sie ergründen, was in ihm vorging. Es bot die Gelegenheit, Hermine daran zu erinnern, warum sie überhaupt auf Malfoy Manor geblieben war, doch er würde definitiv nicht um ihre Zuneigung betteln.

„Ich bin zu der Einsicht gelangt, dass es nicht weise ist, mich näher auf einen Malfoy einzulassen", erklärte Hermine schließlich tonlos. Das Kerzenlicht warf flackernde Schatten auf ihre geschlossenen Lippen und die zerzausten Haare und ihre Augen ließen jede Emotion vermissen. Lediglich ihre förmliche Ausdrucksweise ließ vermuten, dass sich mehr hinter ihrer Distanz verbarg als es den Anschein hatte. Alles, was Draco jedoch im Moment verspürte, war Wut. Wut, die viel leichter zu ertragen war als der Schmerz, der sich angesichts ihrer Worte in ihm ausgebreitet hatte und den er sich nicht zugestand.

„Frag mich mal!", zischte er unter zusammenpressten Zähnen. Ungebeten stahl sich das Wort Schlammblut in seine Gedanken, ohne dass es den Weg über seine Lippen fand. Wenn seine Mutter wüsste, was zwischen ihnen passiert war... Er hätte es verstanden, wenn Granger nun Weasley als Grund genannte hätte. Aber dass sie ihre plötzliche Abkühlung mit seinem Familiennamen begründete... hatte er nicht vorhin mehr als deutlich gemacht, dass er sich von der Vergangenheit distanzierte?

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