Achtung, Triggerwarnung. Siehe letztes Kapitel dieses Buches.
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Mit einem lauten Scheppern fiel die Tür ins Schloss, während das fröhliche Kinderlachen noch in den Räumen nachhallte. Kekskrümel zierten das dunkle Ledersofa und den hellen Teppich auf dem Holzfußboden, den die Nachmittagssonne so angewärmt hatte, dass man gemütlich auf dem Boden hatte sitzen können. Wie viel Spaß der Junge mit dem Spielzeugbesen gehabt hatte, der ein paar Zentimeter vom Boden abhob, kaum dass der Kleine sich mit aller Kraft, derer er fähig war, vom Boden abgedrückt hatte.
In Folge seiner verschiedenen Emotionen - Freude, Angst, Neugier, Entzücken - hatten sich seine Haarsträhnen im Minutentakt verfärbt, so dass sein Haarschopf einem Potpourri aus verschiedenen Farben glich. Nicht selten hatte sein fröhliches Kreischen die Stille der Erwachsenen, die zwischendurch eintrat, übertönt. Sie kannten sich kaum, waren aber über den kleinen Jungen miteinander verbunden, und Harry rechnete es der Großmutter von Teddy hoch an, dass sie zu einem Besuch vorbei gekommen waren, da er auf Teddys drittem Geburtstag mit Abwesenheit geglänzt hatte. Wieder einmal.
Eine Eule hatte ihr Kommen angekündigt und mit einer Mischung aus Resignation und schlechtem Gewissen hatte er ihrem Besuch zugestimmt und mithilfe einiger magischer Sprüche ein wenig Ordnung in sein vernachlässigtes Zuhause gebracht.
Seine Qualitäten als Patenonkel waren definitiv ausbaufähig. Die Male, die Harry den kleinen Teddy gesehen hatte, ließen sich an zwei Händen abzählen. Dennoch war der kleine Junge von einer Offenheit gewesen, die Harry erstaunte. Mit einem heiteren Grinsen auf dem Gesicht war er vom Sofa auf den Boden gehüpft, in die Küche gestromert, hatte neugierig Schränke und Truhen geöffnet und nach einem Tadel seiner Großmutter zwar schuldbewusst geguckt, aber nur Sekunden später einen spitzbübischen Ausdruck nicht verhehlen können.
Harry konnte sich nicht daran erinnern, in seinem Alter so zugänglich gewesen zu sein. Vermutlich, weil er es nie gewesen war. Oder man ihn nie gelassen hatte. Seine erste Erinnerung, soweit er zurückdenken konnte, war sein Cousin Dudley gewesen, schon damals ein wohlgenährter kleiner Kerl, der früh gelernt hatte, dass er mit Tobsuchtsanfällen alles von seinen Eltern bekommen konnte. Und einst eine liebevolle Umarmung von seiner Mutter erhalten hatte, weil er es geschafft hatte, Harry einen alten Stoffhasen zu entreißen, indem er sich mit seinem Gewicht einfach auf den schmächtigen Cousin gesetzt hatte. Harrys Tränen waren ignoriert worden.
Beim jetzigen Gedanken daran verspürte Harry nur noch Wut. Weniger auf seinen Cousin als vielmehr auf dessen Eltern, die Dudley zum dem gemacht hatten, was er nun war. Vielleicht sollte er froh darüber sein, dass er selbst bestenfalls von seinen Verwandten ignoriert worden war, sonst wäre er womöglich ebenso ein Tyrann wie Dudley geworden. Harry ließ sich in die Kissen fallen und schob seine Füße auf den Couchtisch und ohne dass er es verhindern konnte, durchfuhr ihn plötzlich ein Gefühl von Wehmut.
So wenig er Tante Petunia, Onkel Vernon und Dudley leiden konnte, so waren sie dennoch die einzigen Verwandten, die er besaß. Er hatte seit dem Abschied vor vier Jahren keine Ahnung, wo sie sich befanden. Der Auror MadEye Moody hatte den sicheren Ort, an den er sie hatte bringen lassen, mit ins Grab genommen. Was mochte Dudley nun wohl tun? Seitdem Harry ihn vor den Dementoren gerettet hatte, war er ihm gegenüber deutlich zurückhaltender, ja, beim Abschied sogar fast freundlich zu nennen gewesen...
Ein plötzlicher Gedanke ließ Harry zusammenzucken, und unwillkürlich spürte er die Anspannung im Nacken. Hatte er nicht vielleicht noch Verwandte von der Seite seines Vaters? Andererseits musste er sich eingestehen, dass sich bei ihm nie jemand gemeldet hatte, obwohl bei Kriegsende seine Story in aller Munde gewesen war. Was wohl hieß, dass es da niemanden gab. Beinahe hätte er vor Erleichterung laut gelacht. Keine weiteren Personen, denen er etwas vorspielen musste. Denen er eine Seite zeigen musste, die es einfach nicht mehr gab: sein enthusiastisches, beharrliches, entschlossenes Selbst.
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Harry Potter und das süße Gift der Hoffnung
Hayran KurguDrei Jahre nach dem Sieg über Lord Voldemort hat sich Harry Potter vor der Welt zurückgezogen. Während seine Freunde Hermine, Ron und Ginny neue Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen haben, versucht Harry seine schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten...