Ich blickte in dunkles undurchdringliches graublau. Ich war völlig daneben durchnässt. Ich bekam Panik. Seit ich Unterwasser fast umgekommen war, hatte ich fürchterliche Angst zu tauchen. Ich strampelte mit den Beinen und Armen, doch ich bewegte mich nicht vom Fleck. Ich konnte spüren, wie langsam der Sauerstoff in meinen Lungen immer mehr verbraucht wurde. Ich hatte Angst. Todesangst. Ich hatte kaum noch Sauerstoff, als eine Gestalt vor mir erschien. Eine Art Wassergeist. Er sah aus, als wäre er aus Wasserströmungen zusammengesetzt. Er starrte mich an. Ich hatte nicht fiel Zeit. Dann schloss ich die Augen. Ich ließ mich hinab sinken. Zeigte dem Geist, dass ich in Not war, dadurch, dass ich mich meinem Schicksal hingab. Es funktionierte er ließ mich langsam nach Oben schweben. Doch es war zu langsam. Bevor ich an die Oberfläche trat. Bekam ich einen Panikanfall und schlug um mich. Seine Strömungen versuchten mich weiterhin nach oben zu treiben, doch ich hörte nicht auf. Er nahm mein Gesicht in seine kalten Hände und sah mich an, als wollte er mir sagen, dass alles okay war. Dann schloss er meine Augen vorsichtig und ließ mich weiter nach oben treiben. Ich durchtrat die Wasseroberfläche und schnappte panisch nach Luft.
Ich war am Waldrand. Mark lag bewusstlos neben mir. Er rang panisch nach Atem. Dann wusste ich: Es war eine Aufgabe, irgendwie hatten sie es geschafft uns weiterhin zu prüfen. Vielleicht ging es aber auch automatisch los, wenn wir weit genug von der Anstalt entfernt waren. Das musste es sein. In uns war wohl ein Timer oder so etwas eingebaut, der nach einer bestimmten Zeit Aufgaben auf uns hetzte. Ich wollte gar nicht wissen, wie sie es machten. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, so wie es der Wassergeist bei mir getan hatte. Ich flüsterte ihm beruhigende Worte zu und er entspannte sich. Ich hoffte bloß, dass das hieß er hatte sich beruhigt und war nicht gestorben.
Minuten verstrichen. Verzweiflung machte sich in mir breit. Zu allem Unglück hörte ich über uns auch noch Hubschrauber. Ich legte mich neben ihn und verteilte etwas Laub über uns, falls sie durch die schon langsam grünenden, aber doch noch kahlen Baumkronen hindurch blicken konnten. Mir war kalt. Ich schmiegte mich an ihn. Es brachte nichts. Auch er war eiskalt. Ich suchte nach seinem Herzschlag und lauschte gleichzeitig den Hubschraubern. Da war nichts. Da war nichts! Kein Herzschlag! Das dürfte nicht sein. Nein. Nein. Nein. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht er!
Ich schloss die Augen. Ich sah es ein, Panik brachte nichts. Ich würde nicht mehr weinen, nie wieder. Ich würde nie wieder weinen. Denn nur sein Gesicht würde mich wieder trösten. Ruhig versicherte ich mich nochmal, dass er wirklich nicht mehr da war. Ich versuchte nochmal alles. Doch da war kein Zeichen, kein Zeichen, dass er noch lebte. Ich ließ nicht zu, dass ich zerbrach. Ich klammerte mich an all meine Teile und verklebte sie miteinander.
Auch wenn ich kurz vor einem verzweifelten Panikanfall stand, Zwang ich mich, das Gefühl zu unterdrücken. Ich durfte nicht zerfallen.
Ich Strich seine Haare glatt, küsste ihn ein letztes Mal auf die Lippen, dann auf die Stirn, streifte seine Schuhe ab. Ich konnte sie noch gebrauchen. Eine Kette war an seinem Hals verrutscht. Ich zog sie heraus. Es war ein Medaillon. Ich öffnete es. Das war wohl seine Familie. Er hatte mir in der Vorbereitung von ihnen erzählt. Ich nahm es ihm vorsichtig ab und legte es mir um den Hals. Ich würde sie suchen, sie finden und dann... dann... dann würde ich das tun, was er nicht mehr konnte.
Ich stand auf, blickte auf ihn herunter, drehte mich um und begann zu singen. Ich steckte all meine Sorgen in das Lied und ließ sie gehen. Ich sang für ihn. Ich sang für ihn Hanging Tree, als wäre es immer nur für ihn gewesen und ich war mir sicher, das war es...Ich marschierte los. Ich hatte eigentlich keine Chance bis in irgendeine Stadt zu kommen, fiel mir da auf. Ich hatte ja nicht mal Proviant, nichtmal eine Jacke oder für dieses Wetter taugliche Klamotten. Entweder würde ich erfrieren oder verhungern. Mir musste vor der Nacht noch etwas einfallen lassen.
Immer wieder hörte ich Hubschrauber. Nahte einer von ihnen, versteckte ich mich im tiefen Geäst.
Ich verbannte Mark vollständig aus meinen Gedanken. Ich durfte nicht an ihn denken, sonst war ich so gut wie tot. So wie er...Ich konnte nicht weiterlaufen. Es war zu kalt. Ich hatte zu viel Durst, zu viel Hunger. Ich hatte nichts, das mich retten konnte. Nichts. Ich hatte lange keinen Hunger mehr. Die ganze Zeit in der Anstalt nicht. Kein einziges Mal.
Ein weiterer Fakt, der meinen Marsch erheblich verschlechterte war, dass ich mich immer wieder daran erinnern musste, dass mein Vater böse war und mir rein gar nichts gutes wollte, dass ich nur wegen ihm in der Klinik war, dass er wollte, dass man mir in den Gedanken rumfuschte, dass er Mark umgebracht hatte. Das trieb mich an. Diese Schuldzuweisungen. Diese Wut. Ich verschanzte mich in meinem Körper und ließ nur die Kraft des Zorns an mich heran, die mich von innen antrieb und mich wärmte.
Zu allem Übel schmerzte nun auch noch das Bein, dass mir fast den Tod gebracht hatte.
Doch ich versuchte durchzuhalten.Irgendwann war es aber zu viel. Irgendwann hielt diese Fassade nicht mehr. Irgendwann konnte ich die Kälte und den Schmerz nicht mehr aushalten. So sehr ich mich auch immer aufraffte, ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich langsamer wurde und schließlich stehen blieb. Meine Augen fielen mir im Laufen immer wieder zu. Ich hatte schon lange meine Arme in das Kleid gezwängt und vor meiner Brust verschränkt, damit sie nicht abfroren. Denn das waren meine Zehen, Finger und Ohren bestimmt schon bereits.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich noch lange durchhielt. Es fing an zu schneien. Ich blieb stehen sah mich um, bestaunte das Schauspiel, das das letzte sein würde, das ich je sehen würde. Der erste Schnee, den ich berührte. Er war so kalt und nass. Anders als alles andere und so todbringend.
Mein müder Blick schweifte über die Langschaft. Ich blinzelte einige Male. Ich nahm meine Hände und zog sie aus meinem Kleid. Rieb mir die Augen...
Keine hundert Meter vom Wald entfernt stand sie. Meine Rettung. Ein winziges Bauernhaus. Es brannte Licht. Ich spürte förmlich die Wärme des Feuers auf meiner Haut. Neu angetrieben stiefelt ich nun durch die anwachsende Schneemasse.
Ich schwankte leicht, konnte mich kaum auf den Füßen halten, taumelte mit geschlossenen Augen, stolperte über alles mögliche, öffnete wieder die Augen und hielt mir mein Ziel vor Augen, dann wieder alles von vorne, bis ich gegen etwas hartes prallte und umfiel. Ich tat mich schwer mit dem Aufstehen, doch ich schaffte es. Ich erkannte das Haus. Ich ging zur Tür. Klopfte. Kippte zur Seite. Alles schwarz.~*~
Hier ist das zweite Kapitel für heute ☺️.
Ich hoffe sie gefallen euch beide.
Ich glaube... Ich glaube ich mache in diesem Teil des Buches noch drei/vier Kapitel oder so und beende es dann... Ich weiß nämlich jetzt gerade ein ganz gutes Ende für den Teil.
Ach so, immer schön voten und kommentieren, ne. :)
Bis bald
Julia
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Gezüchtet - Die Veränderung
Science FictionWas wäre wenn euer Leben eine Lüge wäre? Was wäre wenn ihr gezüchtet und nicht geboren wärt? Was wäre wenn ihr deswegen um euer Überleben kämpfen müsstet? Marmoria wird sich verändern, das weiß Harmonia ganz sicher, seit sie wieder zurück in der "...