Letzte Vorbereitungen Teil 2

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»Wow! So einen großen Garten habe ich bisher nur in Parks gesehen«, bewunderte auch ich die Umgebung. Woher hatten sie nur das Geld, um so etwas zu finanzieren? Selbst wenn das Haus nicht mehr ganz so gut in Schuss war, Platz musste man auf der Erde teuer bezahlen.

»Freut mich, dass er euch gefällt«, fing Tanja unsere Aufmerksamkeit wieder ein. »Aber jetzt lasst uns erst mal drinnen alles anschauen, es gibt hier nämlich noch mehr zu sehen. Ich schlage vor, dass wir oben weitermachen.«

Also gingen wir ins Haus zurück.

»Habt ihr vorab schon Fragen, oder soll ich erst mal erzählen, was euch hier erwartet?«

»Schieß los«, forderte ich sie auf.

»Frank?«

»Ich schließe mich Mia an. Die Fragen kommen bestimmt beim Gespräch.«

»Also«, begann sie, »eure Arbeitszeit ginge von vier Uhr nachmittags bis sieben am Abend. An den Wochenenden ist es euch freigestellt, ob und wie lange ihr kommen könnt.« Während Tanja uns in den ersten Stock führte, erklärte sie uns, in diesem Haus würden zunächst sechs und später acht Kinder untergebracht werden. Sie betrat den ersten Raum rechts und deutete auf ein Stockbett. »Zwei bis drei Kinder teilen sich ein Zimmer.«

»Was sind das für Kinder? Und woher kommen sie?«, wollte ich wissen.

»Man hat uns vom Raumschiff aus darüber informiert, dass manche von ihnen aus einem Gefangenenlager in Ostloduun kommen, das Rebellen aus dem Süden gestürmt haben.«

Ich drückte mein Entsetzen mit einem Zischen durch die zusammengepressten Zähne aus.

»Aus einem Lager?« Frank schob seine Brille auf dem Nasenrücken hoch.

Tanja nickte. »Aber fragt die Kinder bitte nicht aus. Sie werden schon erzählen, wenn sie so weit sind.«

Franks Gesicht sprach Bände. Seine Skepsis wuchs binnen weniger Sekunden. Am liebsten, da war ich mir sicher, hätte er sich auf den Hacken umgedreht und wäre geradewegs nach Hause marschiert. Nicht, weil er sich mit solch schweren Schicksalen nicht abgeben wollte, sondern weil er Angst davor hatte, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein.

Ich schenkte ihm einen zuversichtlichen Blick, doch das beruhigte ihn auch nicht wirklich.

»Kann man sich das Ganze auch erst mal ansehen?« Typisch Frank.

»Natürlich«, meinte Tanja. »Ihr könnt immer mit uns reden, wenn ihr Fragen oder Probleme habt. Und ihr könnt jederzeit gehen, wenn ihr meint, dass ihr das hier nicht länger schafft.«

Tanjas Worte halfen ihm offensichtlich mehr, denn jetzt nickte er schon etwas entspannter.

In diesem Moment kam Bert mit einem Tablett ins Zimmer.

»Was sind unsere Aufgaben? Und worauf müssen wir achten?«, wollte ich wissen, währen Tanja uns die dampfenden Tassen reichte.

»Da wir die Kinder noch nicht kennen, können wir lediglich die groben Abläufe im Voraus planen. Das bedeutet für euch: Küchendienst, Hausaufgabenhilfe, Begleitung bei Arztbesuchen und dergleichen. Genaueres weiß ich auch noch nicht. Unsere Kollegen vor Ort sagen, die Loduuner seien ein sehr ruhiges Volk. Sie neigen angeblich dazu, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Bert und ich haben, so wie ihr, noch nie direkten Kontakt zu einem von ihnen gehabt und wissen demnach ebenso wenig, worauf wir uns vorbereiten müssen, oder wie wir Situationen im Umgang mit den Kindern einschätzen können. Das macht die Sache auch für uns sehr schwer.«

Bert zuckte die Achseln. »Wir müssen uns demnach alle überraschen lassen.«

»Und wann werden die Kinder auf Vulko landen?«, fragte ich, nachdem Tanja mich in die Küche eingewiesen und mir den Waschraum gezeigt hatte. Die Männer waren im Keller verschollen, weil Frank, der sich sehr für Technik interessierte, gefragt hatte, ob er mit den Kindern auch schreinern und Modellbauten basteln könnte. Bert hatte ihm daraufhin die Werkstatt zeigen wollen.

»In drei Tagen müssten sie hier sein. Möchtest du uns begleiten, wenn wir sie abholen?«

»Gern.« Obgleich die Raumstation hier bei uns lag, hatte ich Vulko noch nie betreten. Zudem brannte ich darauf, die Kinder so früh wie möglich kennenzulernen.

Gegen fünf Uhr verabschiedeten wir uns von Bert und Tanja.

Zurück ging es mit dem Flugschiff in Richtung Innenstadt, wo auch sofort die Häuser höher wurden. Ein Stadtbild, das ganz an die Form der Kuppel angepasst war. Menschen drängelten sich wie Ameisen über die terrassierten Gehwege und Rolltreppen. Oben. Unten. Da waren sie wieder, die unvermeidlichen Hologrammschirme. Hoch an den Gebäuden angebracht, zeigten sie ein Raumschiff, das von Loduun aus auf dem Weg zur Erde war. Top-Thema momentan.

Zu Hause in der Küche zog ich - wie es nicht so riesige Menschen nun mal häufiger müssen - einen Stuhl an den Schrank und kletterte hinauf, um im oberen Fach nach einem Glas Zucchinisuppe zu greifen. Nachdem ich es erwärmt und heruntergeschlungen hatte, setzte ich mich mit meinen Schulsachen aufs Bett, erledigte die Hausaufgaben und versuchte anschließend, eine Struktur für mein ausstehendes Bioreferat zu entwickeln.

Am Abend klapperte ein Schlüssel im Schloss der Wohnungstür.

»Mia?«

»Bin in meinem Zimmer.«

Schritte im Flur.

»Sag mal, hast du mein Portemonnaie gesehen? Ich suche es schon den ganzen Tag.«

»War in meiner Jacke.«

Der Garderobenständer raschelte gefährlich. Dann fiel er mit einem lauten Knall um. »Wir dürfen das Ding nicht so einseitig belasten«, schimpfte meine Mutter.

»Wir? Da hängen nur deine Sachen dran«, korrigierte ich sie, als ich hörte, wie sie ihn - wahrscheinlich wieder einseitig - belastete.

»Wo ist denn deine Jacke?«

»Auf dem Klavier.«

Erneut raschelte es.

»Ah, tatsächlich, da ist es ja, das gute Stück. Wieso habe ich es denn bei dir reingesteckt? Ich muss mich heute Morgen irgendwie vergriffen haben.«

Ich schlug mir den Schnellhefter gegen die Stirn. Okay, Künstler waren verwirrt. Aber so verwirrt? Vielleicht lag das ja an den Dämpfen, die sie immer einatmete, wenn sie mit den Lacken über ihre frisch gefeilten Steinskulpturen jagte?

Die Schritte meiner Mutter näherten sich dem Zimmer, dann erschien ihr Kopf im Türspalt.

»Darf ich reinkommen?«

Seufzend legte ich den Ordner weg.

Sie kam näher, schob die Sachen beiseite und ließ sich neben mir auf dem Bett nieder. »Hör mal, Mia, das mit heute Morgen tut mir leid«, begann sie. »Ich bin stolz darauf, dass du etwas bewegen möchtest, und finde es gut, dass dir dein Umfeld nicht egal ist.«

Ich spielte am Eselsohr meines Bioheftes herum. »Ist schon okay.«

Beide schwiegen wir.

Irgendwann richtete sie sich auf und streichelte über meine Wange. »Du hast so viel von ihm«, legte sie ihre Worte sanft in die Stille.

Ich schielte leicht angespannt zu ihr hinüber.

»Ich würde meine Familie nie im Stich lassen«, stellte ich klar.

Sternenschimmer von Kim WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt