Wieder tauchte ich unter, hörte die dumpfe Macht der Brandung ... diesmal stieß ich mir das Knie, bevor ich am nächsten Felsen auftauchte.
Und noch einmal. Luft holen. Tauchen. Brandung. Das Wasser riss an meinem Körper, spülte mich zurück. Ich schob mich mit letzter Kraft wieder vor und – schaffte es.
Ich nahm einen wilden Atemzug, öffnete die Augen und blickte in Hopes bangendes Gesicht. Es war so schön. So schön wie das eines Engels. Schützend legte ich meinen Arm um ihre Hüfte.
Hope hielt sich zitternd an meinen Schultern fest.
Mit der freien Hand tastete ich mich um den Felsen herum. Wie sollten wir hier nur wieder fortkommen? Hätte mich vorhin nicht die Angst um Hope getrieben, ich hätte es nie geschafft, nicht mal allein. Doch jetzt würde ich sie halten müssen, während ich schwamm. Mein Mut schwand immer mehr, bis er den Nullpunkt erreichte. Also verharrten wir gemeinsam, zusammen hier draußen. Denn hier konnten wir uns wenigstens festhalten, loszulassen war blanker Wahnsinn.
Eine neue brettharte Welle schlug mir ins Gesicht. Beinahe hätte sie Hope wieder von mir fortgerissen. Ich presste sie mit der einen Hand so fest es ging an meinen Brustkorb, während ich mich mit der anderen an den Felsen klammerte. Das Wasser spülte an uns hinab und wir rangen keuchend nach Atem. Hope war noch da, hier in meinen Armen. Die nächste Welle schwappte bis an ihr Kinn. Es half nichts, wir mussten hier fort. Ob wir jetzt im offenen Meer starben oder in Kürze hier am Felsen. Und Letzteres würde mit Sicherheit bald eintreffen, wenn wir nicht wenigstens versuchten, an Land zu kommen.
»Mia«, hörte ich sie zitternd sagen.
Ich sah in ihr erschöpftes Gesicht, sah, wie ihre durchweichten Locken an den blassen Wangen klebten, aber am schlimmsten, am allerschlimmsten war, dass ich keine Angst mehr in ihrem Blick fand. Sie hatte aufgegeben ...
Da schoss ein Geistesblitz durch meinen Kopf. Mein Vater! Er hatte mir das Surfen beigebracht, bevor er gegangen war. Wie ein rettender Anker hallten seine Worte in meinem Kopf wieder. »Kämpfe nie gegen das Meer, sondern mit ihm.« Wie oft hatte ich ihn verflucht, weil er sich für das Meer und gegen ein Leben mit uns unter der Kuppel entschieden hatte. Aber vielleicht würde sein Rat jetzt Hopes und mein Leben retten, vielleicht.
Zitternd wartete ich auf die nächste Welle. »Wir müssen noch einmal tief Luft holen«, rief ich laut, um das Tosen zu übertönen – klammerte sie mit aller Kraft an mich und ließ den Felsen los. Diesmal ging ich nicht gegen den Sog an, der uns mit sich riss. Ich bäumte mich nur ganz wenig gegen die schleudernden Wogen auf. Ich ließ mich tragen, genau wie die Möwen vom Wind. Was geschah, sollte geschehen ...
Die nächste Welle spülte uns an Land.
***
Hope lag wie Blei in meinen Armen, während ich den Weg zum Haus zurückrannte. Auf der Einfahrt spürte ich meine Hände nicht mehr, aber ich hastete weiter.
Iason riss die Tür auf und stürmte die Stufen hinab.
»Was ist passiert?«, rief er mir entgegen, und da hatte er uns auch schon erreicht.
»Sie ist von einer Welle erfasst worden.« Mein Atem ging so schnell, dass die Worte nur stoßweise aus mir herausbrachen.
Sein blaues Strahlen flackerte aus den Augen. »Gib sie mir.« Er riss Hope aus meinen Armen und eilte mit ihr ins Haus zurück.
Ich lief ihnen hinterher.
Iason brachte Hope ins Wohnzimmer. Ich stürmte in den ersten Stock und raffte so viele Decken zusammen, wie ich tragen konnte. Anschließend hastete ich in die Küche. Aus dem Wohnzimmer drang gedämpftes Murmeln. Bestimmt hatten inzwischen alle von dem Unfall erfahren. Ich riss einen Wärmebeutel aus dem Arzneischrank und knackte das Metallblättchen auf. Während sich die Wärme darin verteilte, stieß ich zu den anderen.
Hope saß auf der Couch und erzählte, was geschehen war. Iason hockte vor ihr und erkundigte sich nach den Einzelheiten. Die anderen standen schweigend um sie herum.
Mit den zusammengeklaubten Utensilien bewaffnet, bahnte ich mir einen Weg durch die Menge. Bei Hope angekommen, legte ich ihr den Wärmebeutel auf die Knie, und wollte sie gerade in die Decken hüllen, als Iason mich an den Schultern packte und wegriss.
»Das ist viel zu warm. Du verglühst sie ja.«
Ich stolperte zurück, bis Bert mich tröstend in die Arme nahm und in die Küche zog.
»Loduuner vertragen keine Wärme«, erklärte Bert mir sanft.
Geschockt lehnte ich die Stirn an seine Schulter. Bert strich mir über den Rücken, während er meine aufgeschnittene Hand betrachtete.
»Du bist verletzt und klatschnass«, sagte er nach einer Weile. »Warte hier, ich hole dir Verbandszeug und etwas Trockenes zum Anziehen.« Bert ging nach oben.
Von Selbstvorwürfen gemartert ging ich zum Kühlschrank und zog mit der gesunden linken Hand den Wurstteller heraus. Ich schob ihn aber gleich darauf wieder zurück, als Iason in die Küche kam und Hope Saft einschenkte.
Er kippte die Flasche fast senkrecht, schwenkte sie, bis der Saft nur so heraussprudelte – und er schwieg auf eine Weise, die mir in den Ohren klingelte!
Ich senkte die Lider, schloss die Kühlschranktür und holte tief Luft. »Hör zu, Iason. Es tut mir leid. Ich ...«
»Was ändert das?«
»Nichts, aber ...«
Er setzte die Flasche ab, stellte sie laut auf den Tisch und baute sich zu seiner vollen Größe auf. In dem Moment wurde mir erst richtig bewusst, wie groß er war. Langsam drehte er sich zu mir um. Seine blauen Strahlen blitzten wie Dolchklingen aus den Augen. Ich schrak zurück und knallte mit dem Rücken gegen die Kühlschranktür.
»Du musst in Zukunft besser aufpassen. Das ist schließlich dein Job.« Die Dolche begannen zu flimmern. »Wenn so was auch nur in Ansätzen noch mal passiert, ich schwöre dir ...«
Im All-View-Screen erklang die Erkennungsmelodie der Siebenuhrnachrichten. Iason nahm das Glas und ging aus dem Zimmer.
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Sternenschimmer von Kim Winter
FantascienzaOb die Sterne wussten, dass diese Nacht Mias Leben verändern würde? Sie erleuchteten den ganzen Himmel, als Iason mit den anderen Flüchtlingen auf der Erde landete. Jetzt steht er vor ihr. Eine dunkle Stille geht von ihm aus, doch seine graublauen A...