Kapitel 3 Nacht auf Erden Teil 2

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Als ich zu Bert in die Küche kam, saßen die anderen Kinder an einem üppig gedeckten Tisch. Sie aßen alle Brot, Joghurt und griffen nach dem Gemüse. Die Frage, wovon sie sich ernährten, erübrigte sich somit gerade, was schon mal eine Sorge weniger war.

»Wo ist Tanja?«, fragte ich, da ich sie ebenfalls in der Runde erwartet hatte.

»Sie fährt die anderen Häuser ab, um zu sehen, ob alle gut untergekommen sind«, sagte Bert, während er aus einem Radieschen eine Blume schnitzte und sie Hope hinhielt.

Die Kleine lächelte. Wie hübsch sie war.

Ich setzte mich neben sie auf den einzigen freien Stuhl und fand an meinem Platz eine kleine Schale mit Würstchen. Aufmerksam von Bert, dem ich meine Vorliebe für Knackwürste verraten hatte. Die spärliche Menge würde allerdings für alle am Tisch bei Weitem nicht ausreichen. Es war, als hätte er es nur für mich gedeckt. Das fand ich weniger aufmerksam von ihm. Verlegen griff ich nach einer Knackwurst und hielt sie Hope hin. »Möchtest du?«

Die Kleine sah mich verstört an. Fort war ihr Lächeln, und ich bereute meine Frage.

»Das kann man nicht essen«, sagte sie vorwurfsvoll. »Es riecht nach totem Tier.« Hope rümpfte angewidert die Nase.

Meine Kinnlade klappte nach unten, und ich sah sie mit offenem Mund an. »Du sprichst ja unsere Sprache!«

Sie zuckte mit den Schultern. »Die haben wir auf der Fahrt hierher gelernt.«

»In zwei Monaten.« Ich war platt.

»Ja, ich weiß. Ich muss sie noch ein wenig perfektionieren. Ich rolle das R zu sehr.«

Ich versuchte, mich daran zu erinnern, ob ich das Wort »perfektionieren« schon mal aus dem Munde einer Fünfjährigen gehört hatte, denn älter schien sie mir nicht.

»Zu Hause bin ich zwanzig, auf der Erde müsste ich demnach sechs sein.«

Wieder sah ich sie überrascht an. »Kannst du auch Gedanken lesen?«

Hope schüttelte den blonden Lockenkopf. Da war es wieder, ihr hübsches Lächeln. »Nein. Aber du sprichst mit den Augen.«

Ich musste wohl ein sehr unvorteilhaftes Gesicht gemacht haben, denn die anderen Kinder und auch Bert fielen in ihr Lachen mit ein.

Ich war froh, dass die Stimmung jetzt gelöster war und legte das Würstchen beiseite, auf das ich ebenfalls den Appetit verloren hatte.

Nachdem die Kinder mit dem Essen fertig waren, zeigten wir ihnen die Schlafräume und das Bad. Während sie sich die Schlafanzüge anzogen, fiel mir auf, dass sie alle Halstücher trugen. Obwohl diese teilweise ziemlich schmutzig waren, machte niemand von ihnen irgendwelche Anstalten, sie auszuziehen. Unsicher beobachtete ich Bert und wartete, ob er sie auffordern würde, die Tücher abzulegen. Doch er ließ sie, ohne ein Wort darüber zu verlieren, gewähren, deshalb sagte ich ebenfalls nichts, und wir brachten sie in ihre Zimmer.

Es dauerte nicht lange, bis sie in ihren Betten lagen und, erschöpft, wie sie waren, zur Ruhe kamen. Ob sie Schlaf finden würden, bezweifelte ich allerdings.

Als es im ersten Stock still geworden war, trat ich auf die Veranda in die kühle Nachtluft hinaus. Vor meinem inneren Auge bewegten sich sieben perlmuttschimmernde Gesichter. Solch einen Hautton hatte ich noch nie zuvor gesehen. Alle Farben schienen sich darin zu vereinen.

Ich legte mir die Jacke über die Schultern und dachte an meine kleine Cousine Maya, ein ausgelassenes, lautes Mädchen und äußerst beharrlich, wenn sie irgendetwas wollte. Aber diese Kinder ..., sie waren ungewöhnlich gefasst, ja beinahe kontrolliert und leise wie Schmetterlinge. Sie schienen so ruhig und überlegt, viel reifer, als Maya. Wahrscheinlich mussten sie das auch sein. Schließlich waren sie fernab von ihren Verwandten und gezwungen, sich hier irgendwie durchzuschlagen – allein, in einer ganz anderen Welt.

Ich seufzte innerlich. Hoffentlich würde Hopes Bruder bald aus dem Krankenhaus kommen. Dann wäre wenigstens sie hier nicht mehr ganz allein, ohne Familie.

»Die Kinder schlafen alle«, drang Berts tiefe Stimme zu mir durch. »Soll ich dich heimfliegen?«

Ich brauchte eine Weile, ehe ich ihm antworten konnte. Zu überwältigend waren meine Gedanken.

»Danke, aber ich glaube, ein kleiner Spaziergang ist jetzt genau das Richtige für mich. Ist ja nicht weit bis zur nächsten Haltestelle.«

Als ich mich zu ihm umdrehte, sah ich, dass Bert in kurzer Hose und T-Shirt draußen stand. Fror dieser Mann eigentlich nie?

»Wie du meinst«, sagte er. »Kommst du dann morgen?«

»Ja. Ich bringe Frank mit.«

Ich zog die Jacke an und ging die Stufen hinab, dann drehte ich mich noch einmal zu ihm um.

»Bis morgen, Bert.«

»Tschüss, Mia.«

Sternenschimmer von Kim WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt