Kapitel 6, Gewissensbisse, Teil 5

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»Was?«, stieß ich entsetzt aus. »Warum tut er sowas?«

Nachdem Bert die Gläser auf den Tisch gestellt hatte, sank er auf einen Stuhl und sah zu mir auf. In seinem Blick lag ein Ausdruck, der sich mir nicht erschloss. »Er spielt selbst Erlebtes nach, Mia.«

Meine Eingeweide zogen sich zusammen. Ich sah mich um. »Wo ist er?«

»Im Garten. Er wollte weder mit Tanja noch mit mir darüber reden.« Bert hob mit einer vagen Geste die Hand. »Versuch du's doch mal.«

Unverzüglich übergab ich ihm Tony, der mein Ohr gerade als Faltpapier benutzte, und trat durch die Terrassentür. Als ich über den sattgrünen Rasen ging, hörte ich Stimmengewirr aus der Gartenhütte. Ich näherte mich dieser und klopfte leise an die Tür.

»Wir sind da«, drang Hopes glockenklare Stimme durch das Holz.

Ich öffnete und streckte den Kopf durch den Spalt. Ariel und Hope saßen mit ein paar Murmeln auf dem Boden. Als ich eintrat, wandte sich nur Hope zu mir um. Ariel fixierte mit kompromissloser Schärfe eine der kleinen Glaskugeln. Ich blinzelte, da ich meinen Augen nicht traute, als die Murmel wie von selbst an einer anderen vorbeirollte. Sie konnten es also auch schon.

Ariel klatschte siegessicher in die Hände. »Ich bin weiter gekommen.«

»Wi... wie geht das?«, wollte ich wissen, nachdem ich die Sprache wiedergefunden hatte.

»Du musst dich einfach nur darauf konzentrieren«, erklärte Ariel. »Dann klappt es ganz von allein.«

Ich setzte mich zu ihnen.

»Bist du hier, weil Ariel heute in der Schule so etwas Schlimmes gemacht hat?«, fragte Hope.

Ein Ruck ging durch Ariels Körper und er fixierte Hope auf eine Weise, als könnte er auch ihren Mund zutelekinieren. Und dann sah er zu mir hin. Es waren seine Augen, die den letzten Ausschlag gaben. Ein Inbild von Hilflosigkeit – und Angst.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin hier, weil ich euch fragen wollte, ob ihr mit rauskommt?«

Hope sprang auf. »Frank hat mit uns ein Dampfschiff gebaut. Wollen wir es im Bach fahren lassen?«

»Der ist heute fast ausgetrocknet«, nahm ich ihr nur ungern die Begeisterung. »Die Parkarbeiter pumpen ihn ab, um die öffentlichen Grünanlagen auf den Hausdächern zu bewässern.«

Hope fiel sogleich die Lösung ein.

»Wir könnten doch den Wasserlauf füllen und es fahren lassen.«

Ich warf Ariel einen Blick zu. »Möchtest du?«

Erleichtert nickte dieser.

»Na, dann los.«

Hope lief schnell ins Haus zurück. Während Ariel und ich langsam zu Franks selbst gebautem Wasserlauf vorausgingen, schloss sie, mit einem schuhkartongroßen Metallgerät bewaffnet, wieder auf.

Ich stellte das Wasser an und Ariel hielt nun schon etwas gelöster den Gartenschlauch in die Rinne.

»Mehr! Mehr!«, quietschte Hope aufgeregt, während sich das kleine Schiff durch die von Ariel produzierten Wogen kämpfte.

Doch als der Lauf halb gefüllt war, drehte ich den Hahn ab. »Genug. Wir haben Wasserknappheit.«

Die beiden sahen mich enttäuscht an.

»Wenn wir nicht sparsam damit umgehen, gibt es irgendwann überhaupt kein Wasser mehr«, warnte ich sie.

»Mia!« Luna kam, gefolgt von Silas, mit schnellen Schritten aus dem Haus. »Silas sagt, ihr Irden wärt dumm, weil ihr nur eine Sprache könnt.«

Sternenschimmer von Kim WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt