Kapitel 5Ausflug mit Folgen
Als ich vier Tage später die Auffahrt zum Tulpenweg hinaufspazierte, lauschte ich dem Knirschen der Kieselsteine unter meinen Füßen. Zusammen mit dem lustigen Vogelgezwitscher aus den Bäumen ergab es einen ungewöhnlichen, aber schönen Klangteppich. Ich ließ gerade meine Gedanken durch die vergangenen Tage schweifen, als mir Tony auf seinen winzigen Beinchen in unfassbarem Tempo entgegengerannt kam. Ich schmunzelte, denn in diesem Augenblick erinnerte er mich an eine Comicfigur. Ich ging in die Hocke und empfing ihn mit ausgebreiteten Armen.
»Mia, Mia!«, rief er, bevor er mir um den Hals fiel.
»Iason ist aus dem Krankenhaus zurück«, sprudelte es aus ihm heraus.
Erstaunt ließ ich ihn los. »Das ging ja schneller als erwartet. Hope wird sicherlich sehr glücklich sein.«
»Wir alle freuen uns«, betonte er.
Ich lächelte ihn an. Natürlich freuten sie sich alle. Ihr blonder Held war schließlich zurückgekehrt.
Ich erhob mich und nahm seine Hand. »Na, dann zeig ihn mir mal, euren Iason.«
Tony straffte die Schultern, warf sich in die Brust und führte mich würdevoll ins Haus, um dieser extrem wichtigen Aufgabe nachzukommen.
Wir betraten die Küche, wo Hope gerade unglaubliche Mengen Butter und Honig auf einen Toast schmierte, um ihn dann auf einem Berg voll klebriger Brotmatsche neben sich zu stapeln. Als sie sich strahlend zu mir umdrehte, erkannte ich, dass sich die fleißige Arbeiterin mit dem Resultat ihrer Beschäftigung schon ordentlich selbst verwöhnt hatte. Der Honig tropfte ihr sogar von den Ohren.
»Ist für Iason«, erklärte sie glänzend wie eine Speckschwarte.
»Ich bringe es ihm«, sagte Tony eifrig und wollte gerade nach dem vollen Teller greifen. Doch Hope war schneller. »Nein, das mach ich.« Ein energisches Funkeln trat in ihre grauen Augen, sodass Tony nichts anderes übrig blieb, als ihr per Schmollmund ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Mit Erfolg. Hope hielt inne, seufzte und legte ihm einen der Brot-Honigklumpen in die Hand.
Gespannt spähte ich durch die Küchentür ins Wohnzimmer, um einen Blick auf ihren Bruder zu erhaschen.
Eine große Gestalt stand schweigend am Fenster. Eine Hand am Rahmen, blickte Iason hinaus. Er war ganz in schwarz gekleidet. Nur die hochgekrempelten Hemdsärmel verrieten den warmen karamellfarbenen Teint seiner Haut.
Tatsächlich! Wenn man ganz genau hinsah, ließ sich ein zartbläuliches Glitzern darauf erkennen. Doch es verband sich nicht mit seinem Körper. Es war mehr wie ein Schein, der darüberschwebte.
Er sah völlig anders aus als erwartet, und ich musste erst einmal Luft holen, um den Streich, den mir meine Fantasie gespielt hatte, zu verkraften.
Trotz seiner athletischen Figur und der aufrechten Haltung, ging eine dunkle Stille von ihm aus.
Aber da war noch etwas. Ich bemerkte es erst auf den zweiten Blick, dafür konnte ich es jetzt umso deutlicher erkennen. Es war etwas, das tief aus seinem Inneren zu kommen schien. Aber was?
Das muntere Geplapper, mit dem Hope das Wohnzimmer betrat, stand im krassen Gegensatz zu der Art, die ihr Bruder ausstrahlte. Ich folgte dem kleinen Mädchen.
Langsam, als wäre sein Körper aus Blei, drehte er sich zu seiner Schwester um. Das dunkelbraune, fast schwarze Haar fiel ihm weich in die Stirn.
Hope streckte ihm den Teller entgegen, und er warf einen erstaunten Blick auf das Brotmus. Dann umspielte ein vages Lächeln seinen Mund und seine Lippen bewegten sich erneut tonlos, genau wie vormals auf Vulko.
»Er findet, es sieht lecker aus«, übersetzte Hope an mich gewandt.
Scheinbar hatte er meine Anwesenheit bisher noch gar nicht wahrgenommen, denn er sah überrascht zu mir. Etwas Seltsames huschte durch sein Gesicht, lief über seine breiten Wangenknochen, die gerade Nase und verlor sich dann auf der ganz zart schimmernden Haut.
»Entschuldige, ich hatte nicht bemerkt, dass ein Irde hier im Raum ist.« Er gebrauchte unsere Sprache mit einem leichten Akzent, der nicht von dieser Welt war. Der ruhige und warme Klang seiner Stimme erstaunte mich. Er passte nicht zu seiner Erscheinung. Was mich aber ins Stocken geraten ließ, waren seine grauen Augen. Umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, schimmerte ein saphirblaues Strahlen aus ihnen hervor.
Es waren Augen, die bis in mein Innerstes zu blicken schienen. Augen mit der Anziehungskraft eines schwarzen Lochs.
Und dann fiel ich in sie hinein ...
Was geschah mit mir? Ich schwebte in diesen Augen so strahlend, grau und endlos tief. Aber es war kein beruhigendes Gefühl – sondern so intensiv, dass es mir Angst einjagte! Ich war körperlos wie Luft!
»Und du?«, kam es von weither.
»Was?«, fragte ich zerstreut, während sich meine Atome mühsam wieder ihren ursprünglichen Platz in meinem Körper suchten.
Jetzt waren sie mir wieder gegenüber, diese tiefen, lichtdurchfluteten Augen. Um nicht Gefahr zu laufen, dass ich mich noch einmal in ihnen verlor, wandte ich den Blick von ihnen ab.
»Ich bin Iason, und wie heißt du?«
Doch seine Gesichtszüge und die perfekt geformten Lippen waren ebenfalls schwindelerregend schön.
»Ich, äh ..., Mia.« Ich starrte auf meine Hände.
»Ah.« War da ein leise amüsierter Unterton in seiner Stimme? »Die Mia, die Hope ein Würstchen angeboten hat?«
Ich kam mir dermaßen blöd vor, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre.
»Meine Schwester sagt, du wärst nett.«
Für einen Moment wurde ich unvorsichtig und suchte wieder seinen Blick.
»Ich ..., ich sehe mal nach den anderen«, sagte ich sofort und bemühte mich, nicht allzu fluchtartig das Zimmer zu verlassen.
***
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Sternenschimmer von Kim Winter
Science FictionOb die Sterne wussten, dass diese Nacht Mias Leben verändern würde? Sie erleuchteten den ganzen Himmel, als Iason mit den anderen Flüchtlingen auf der Erde landete. Jetzt steht er vor ihr. Eine dunkle Stille geht von ihm aus, doch seine graublauen A...