Kapitel 1 Letzte Vorbereitungen

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»Und du glaubst wirklich, dass du das neben der Schule schaffen kannst?«

»Mum, das Thema haben wir doch schon durch.«

Meine Mutter seufzte. »Ich mein ja nur.«

»Das sagst du schon den ganzenMorgen.«

Schweigen breitete sich in der Kabine unseres Flugschiffs aus. Die Hände meiner Mutter schlossen sich um das Lenkrad. »Trotzdem möchte ich, dass du in Zukunft solche Dinge mit mir absprichst. Du bist immerhin noch nicht volljährig.«

»Aber fast.« Ich drehte eine kastanienbraune Haarsträhne mehrmals um meinen Finger.

Eine Gestalt näherte sich aus der Ferne und ich winkte ihr zu.

»Meinst du, du schaffst es bis um sieben?«, fragte meine Mutter hastig.

»Sag mal, was ist denn eigentlich los mit dir? Hast du etwa was gegen Außerirdische?«

Sie winkte ab. »Ach, Quatsch, ich könnte mir sogar vorstellen, dass sie sehr nett sind.«

Ich schob den Daumen unter den Riemen meiner Tasche. »Was ist es denn dann? Du bist doch sonst nicht so ... gluckig.«

Meine Mutter schüttelte den roten Lockenkopf. »Ich weiß auch nicht. Ich habe einfach ein mulmiges Gefühl bei der Sache.«

Ich sah sie aus den Augenwinkeln heraus an.

»Ehrlich«, beteuerte sie. »So was nennt man Mutterinstinkt.«

»Okay. Ich muss.« Ich stieg aus unserem alten Flugschiff und streifte das verrutschte Shirt-Kleid zurück über die Jeans.

Meine Mutter stützte sich auf den Beifahrersitz. »Ich fahre ins Atelier. Wir reden heute Abend noch mal in Ruhe darüber.«

Noch mal! Ich seufzte in mich hinein, schloss mit einem »Tschüss, Mum« die Tür und hob zum Abschied die Hand. Dann stieg das Schiff in die Luft und knatterte davon.

Es war so schön hier draußen. Solch eine Ruhe war ich gar nicht gewöhnt, da ich  in der Stadtmitte wohnte. Ganz ohne Wolkenkratzer oder Hologrammbildschirme, die einen permanent mit Nachrichten oder Werbung bombardierten.

Als ich mich zum Gehen wandte, holten mich Schritte ein. »Mia!«

»Hey, Frank. Hast du es dir doch noch anders überlegt?«

Mein Mitschüler keuchte, bis er sich von dem kurzen Spurt erholt hatte. »Manche brauchen eben ein wenig Zeit, die Umstände abzuwägen.« Er ging in die Knie und zog die weißen Tennissocken unter seinen Sandalen bis zu den Waden hoch. »Das heißt, äh, ist es okay für dich, wenn wir zusammen da hingehen?«

»Klar.« Um ehrlich zu sein: Auch ich fühlte mich bei diesem Gedanken irgendwie wohler.

»Na, dann wollen wir mal?« Grinsend setzte ich mich in Bewegung.

Heute war es kühler als an den letzten Tagen.

Frank und ich gingen die Einfahrt zu dem Haus am westlichen Stadtrand hinauf. Von einem großen Garten umgeben, waren die Mauern des Gebäudes in einem freundlichen Gelb getüncht. Weiße Klappläden zierten die ebenso weißen Holzfenster.

»Wow!« Ich riss die Augen auf. »Ein frei stehender Altbau.«

»Würde mich nicht wundern, wenn es im Winter da drinnen durch jede Ritze zieht.«

»Ach, Frank, du hast die Skepsis wohl schon mit der Muttermilch eingesogen. Ich finde, es sieht super aus. – Hallo Tanja!«

Tanja Moscinski lehnte gerade mit einer Kaffeetasse an einem offenen Fenster und winkte.

Wir legten einen Schritt zu und stiegen die Eingangstreppe hinauf. Noch ehe wir oben waren, wurde uns die Tür von einem untersetzten Mann geöffnet. Er war um die vierzig, dunkelhäutig und hatte einen fröhlichen Gesichtsausdruck. Dennoch fröstelte es mich bei seinem Anblick, denn er trug lediglich ein T-Shirt und kurze Hosen. Hallo! Es war gerademal Mitte Mai!

»Kommt rein«, sagte er und trat zur Seite. Im Flur streckte er uns freundlich die Hand entgegen. »Ich bin Bert.«

»Hi, Bert«, begrüßte ich ihn gleichermaßen. »Ich bin Mia Wiedemann, und das«, ich deutete auf Frank, »ist Frank Bayer, mein Klassenkamerad.«

»Freut mich, euch kennenzulernen.« Bert schüttelte nun Frank die Hand.

Ich schaute mich um. Das alte Haus hatte nicht mal einen Aufzug, was mir als leichter Klaustrophob echt entgegenkam.

»Da seid ihr ja«, hörten wir Tanjas Stimme, bevor sie selbst die Stufen vom ersten Stock herunterkam. Tanja Moscinski, eine kleine, schlanke Frau mit kurzem aschblondem Haar, war mir von unserer ersten Begegnung an sympathisch gewesen. Insbesondere ihre Größe, sie war nämlich kaum größer als ich, was selten vorkam.

»Wollt ihr euch erst einmal hier umsehen? Ich kann euch währenddessen ein bisschen über das, was ihr hier tun würdet, erzählen. Bert kocht uns in der Zeit einen Kaffee, oder mögt ihr lieber Tee?«

»Tee wäre gut«, sprach ich für uns beide, da Frank vor lauter Grübeln nicht den Mund aufbekam.

Wir folgten Bert in die Küche, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs befand. Von dort ging Tanja mit uns rechts durch eine nächste Tür, die in das Wohnzimmer führte. Es war ein schlicht möbliertes Zimmer. Das Bücherregal, eine altmodische Stehlampe und zwei üppige Sofas, die über Eck standen, verliehen ihm dennoch etwas Gemütliches. Die Sonne flutete den Raum durch eine große Fensterfront, die den Blick zum Garten freigab. Links davon war ein offener Kamin in den Schornstein gemauert.

»Es riecht nach Farbe«, bemerkte ich.

»Ja, wir haben erst gestern gestrichen.« Tanja wies zur grünen Wand hinter dem Kamin. »Wir wurden uns wegen der Farben nicht einig. Deshalb haben wir die Wände an den Fenster- und Regalseiten orange und die mit der Tür smaragdfarben angelegt.«

»Sieht gut aus.« Und das meinte ich auch so. Der Raum leuchtete freundlich und warm.

Frank ging zum Fenster und blickte hinaus. »Ihr habt einen großen Garten.«

»Das ist der Grund, weshalb wir uns für dieses Haus entschieden haben, auch wenn es sonst etwas baufällig ist. Loduuner lieben Weite.« Tanja öffnete eine Glastür, die sich neben dem Fenster befand und direkt zur Terrasse hinausführte. Ein berauschender Duft von Blumen, sonnenverwöhntem Thymian und Salbei schwang zu uns herein. Wie betört traten wir nach draußen.

Hohe Lorbeer- und Haselsträucher säumten eine riesige Rasenfläche. Blumen über Blumen quollen aus den Beeten. Vereinzelt standen alte Eichen, ein Kirschbaum und eine rauschende Espe auf dem Grundstück, und etwas weiter weg schlängelte sich sogar ein kleiner Bach durch die Wiese.

Frank pfiff beeindruckt durch die Zähne.

Sternenschimmer von Kim WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt