Würde das jemals wieder aufhören? Dieses Stechen in meiner Brust und meine Magenwände, die sich zusammenzogen. Als ich am Freitag nach Hause gekommen war, hatte ich noch immer gezittert.
Ob Iason klar war, wie leid es mir tat? Selbst wenn, war es ihm egal. So wie er mich gestern angesehen hatte!
Recht hatte er, schließlich ging es um seine kleine Schwester. Wer weiß, was ich an seiner Stelle getan hätte? Und doch war da diese Wut auf ihn. Warum musste er mir diesen Unfall, und es war ein Unfall gewesen, derart vorwerfen, obwohl die grauenhafte Geschichte am Ende gut ausgegangen war? Ich hatte alles riskiert, um sie ihm zurückzubringen!
Und zu alldem gab es da noch etwas, das kaum weniger an mir nagte. Mein Vater, mein gottverdammter Vater war wieder in mir hochgekommen. Jetzt fühlte ich mich ihm auch noch zu Dank verpflichtet. Das würde es nicht einfacher machen, die Erinnerung an ihn wieder im Koffer der weggepackten Geschichten aus meinem Leben zu verschließen. Ich bemühte mich, schnell an etwas anderes zu denken. Was auch nicht schwer war, ich brauchte mir nur einen kurzen Moment lang eine blonde Locke im Wasser vorstellen.
In den letzten beiden Nächten hatte ich kaum geschlafen. Wenn man sich im Bett herumwälzen überhaupt als Schlaf bezeichnen kann.
Dementsprechend war auch mein Anblick, als ich am Montag vor den gemeinen Spiegel im Bad trat. Aber heute war mir das egal. Wie heißt es so schön? In allem Schlechten steckt auch was Gutes. Ich grinste müde.
Mirjam Weiler schien das allerdings anders zu sehen. Als ich die Schule betrat, war sie ausgerechnet die Erste, die mir über den Weg lief. Irgendetwas musste ich an mir haben, dass sie immer mich wählte, wenn sie jemanden zum Ärgern brauchte. Als sie an mir vorbeiging, tuschelte sie, einen abschätzigen Blick auf mich gerichtet, mit ihren Freundinnen, woraufhin mich vier weitere Gummigesichter anstarrten. Aber auch das war mir egal.
Niedergeschlagen betrat ich den Englischraum. Ich überlegte, ob ich nach der Schule Bert anrufen und mich die nächsten Tage beurlauben lassen sollte. Aber ich kam zu keinem klaren Entschluss. Tat mir die Aussicht, heute Mittag nicht in den Tulpenweg zu fahren, nun gut oder schlecht? Ich wusste es nicht. Einerseits missfiel mir dieser Rückzug. Er kam irgendwie einer Kapitulation gleich. Auf der anderen Seite hatte ich Angst, wieder dorthin zu gehen. Angst, Hope und den anderen Kindern zu begegnen. Wie sollte ich Tanja gegenübertreten? Aber viel schlimmer noch, wie sollte ich Iason jemals wieder in die Augen schauen? Ein stiller Seufzer rutschte in mir hinab. Ich hatte mir ja ohnehin vorgenommen, das zu vermeiden. Seltsam, auf welche Weise das Schicksal manchmal Entscheidungen untermauert.
Ich versuchte mich abzulenken, und ging erneut mein anstehendes Bio-Referat durch.
»Hi, Mia!«
Ich sah auf, während ein grüner Kopf auf mich zuschoss.
»Deine Haare!«, bemerkte ich, als Lena sich neben mich setzte.
»Lila war mir zu langweilig«, erklärte sie achselzuckend. Aber dann bekam ihre Miene etwas Vorwurfsvolles, was bedeuten sollte, dass jetzt keine Zeit war, sich mit solchen Nebensächlichkeiten abzugeben.
»Warum hast du mir nichts gesagt?«, fragte sie ohne langes Federlesen.
»Was soll ich dir nicht gesagt haben?«
»Na, Frank hat mir gerade erzählt, dass ...«
»Stopp!«, unterbrach ich sie scharf. »Ich möchte nicht darüber reden.«
Lena war irritiert, schwieg aber – zunächst.
Frank, die alte Petze. Musste er die Geschichte jetzt auch noch in der gesamten Schule breittreten? Eine derartige Gemeinheit hätte ich ihm nie zugetraut. Was hatte er davon, wenn jeder wusste, was gestern passiert war? Doch dann schossen die Konsequenzen seines Handelns durch meinen Kopf, und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich ihn irgendwie aufhalten musste. Wenn Mirjam Weiler und ihre Gummihühner von der Sache Wind bekämen, würden sie mir für lange Zeit ein ungemütliches Leben bereiten.
»Wo ist er?«, zischte ich mit zusammengepressten Zähnen.
»Ich hab schon nach ihm Ausschau gehalten, konnte aber nirgends jemanden finden, auf den Franks Beschreibung passt.«
»Der weiß schon, warum er sich vor mir versteckt.« Wütend funkelte ich die Wand an. Aber dann sackten auch ihre letzten Worte in meinem Gehirn.
»Warum sollte er sich vor dir verstecken?«, fragte sie.
»Wen hat Frank dir beschrieben?«, fragte ich gleichzeitig.
In diesem Moment trat er durch die Tür – groß, mit formvollendeter Figur und tiefbraunem Haar, das ihm vorn leicht gewellt in die Stirn fiel. Eine Mischung aus schlicht und teuer, verwegen und charmant, es war zum Verrücktwerden. In Cargohose und grauem Hemd kam er näher, hielt kurz inne, um sich zu orientieren – und sah mich an.
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Sternenschimmer von Kim Winter
Science FictionOb die Sterne wussten, dass diese Nacht Mias Leben verändern würde? Sie erleuchteten den ganzen Himmel, als Iason mit den anderen Flüchtlingen auf der Erde landete. Jetzt steht er vor ihr. Eine dunkle Stille geht von ihm aus, doch seine graublauen A...