37 | Zu stolz.

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Andre POV:

Tag 10 der Tour, Berlin, vor dem Auftritt.

Kennt ihr diese alten Bücher? Sherlock Holmes und so?

Viola liebte solche Bücher. Sie meinte mal, dass sie, Sherlock Holmes zum Beispiel, bestimmt schon fünfmal gelesen hatte, weil sie es so toll fand. - In unserem Bus war genau dieses Buch. - Die Abenteuer des Sherlock Holmes. - Ich nahm es in die Hand, setzte mich damit auf das Sofa und blätterte geistesabwesend durch die Seiten. Ich versuchte mich, während ich das tat, daran zu erinnern, wie wir vor einiger Zeit darüber gesprochen hatten. An ihren genauen Wortlaut, an ihr Lächeln, an ihre Augen, an... ach, shit.

Vor wenigen Tagen wurde ich schon sauer, wenn jemand ihren Namen erwähnte. Und jetzt sah ich mir Bücher an, die mich an sie erinnerten und schwelgte in Nostalgie. Wow.

Ich wollte es nicht zugeben, aber solche Gespräche fehlten mir. Solche belanglosen Gespräche über alles und jeden. Aber nicht nur das. Sie fehlte mir.

In den letzten Tagen hatte ich ziemlich viel Zeit gehabt, um nochmal über alles nachzudenken. Zu viel Nachdenken ist schlecht, weil man beginnt eine Sache aus verschiedenen Perspektiven zu sehen und so schwächer wird. Man verliert seinen Standpunkt. Ich begann mit Wut nachzudenken, ging über zu Selbstmitleid, noch mehr Wut und kam dann zu Sehnsucht. Sehnsucht. Dieses Gefühl wurde ich nicht mehr los.

Ich vermisste Viola.

Ich vermisste ihre Nähe. Ich vermisste alles an ihr.

Ich liebte sie. Immer noch. Obwohl es dumm war, wegen der Sache mit ihrem Freund, der nicht ich war, liebte ich sie. Es war eine Liebe gemischt mit Hass. Ach fuck.

Aber das Problem war, dass ich nicht wusste, ob sie mich noch liebte. - Oder ob sie mich je wirklich geliebt hatte. - Sie gab mir keine Anzeichen mehr.

In den ersten paar Tagen hatte sie im Minutentakt bei mir angerufen. Ich war zwar nicht rangegangen, aber sie hatte immerhin angerufen. - Das war es, was zählte. - Diese Anrufe hatten dann, mit der Zeit, aber aufgehört. Sie meldete sich nicht mehr bei mir und da ich nicht vorhatte den ersten Schritt zu machen, war es wohl gelaufen.

Immer noch in Gedanken riss ich eine Seite aus dem Buch, das ich in der Hand hielt, knüllte sie zusammen und warf sie gleichgültig auf den Boden.

Vielleicht hätte ich doch mal mit ihr über diese ganze Sache reden sollen. Vielleicht hätte ich auf Sarah hören und auf Violas Anrufe reagieren sollen.

Zumindest einmal. Ein einziges Mal hätte ich reagieren sollen.

Die nächste Seite. - Keine Ahnung warum, aber irgendwie wäre es leichter gewesen, wenn ich sie, und nicht sie mich, verletzt hätte. Damit wäre ich besser zurechtgekommen. Ich hätte gewusst, wie ich mich am besten verhalten sollte. Ich hätte mich nicht so verloren gefühlt. Ich hätte es geschafft, sie um Verzeihung zu bitten. Ich hätte nicht Stunden damit verbracht, darüber nachzudenken, ob es gut oder schlecht war, dass ich sie vermisste.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und noch mehr losen Seiten betrat Jan den Bus und warf mir skeptische Blicke zu. "Was machst du da?", fragte er, während er mit einem Kopfnicken auf die zerknüllten Blätter, die überall auf dem Boden verteilt lagen, deutete.

Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung... ich zerstöre ein Buch."

Plötzlich warf ich das, was von dem Buch noch übrig geblieben war, mit einem lauten Knall, auch auf den Boden und wischte mir über die Stirn.

Oh Gott. Ich musste ausgesehen haben, wie ein Verrückter.

Jan musste sich ein Grinsen verkneifen und kam auf mich zu. "Andre.", fing er an. "Ich weiß, das du das nicht hören willst, aber es wird langsam echt kritisch... Ich weiß, dass Viola irgend'ne dumme Scheiße gemacht hat, aber du musst ihr das verzeihen."

Ich presste die Lippen fest aufeinander und sah auf den Boden.

"Du willst es doch sogar.", meinte er weiter. "Das Problem ist, dass du nicht über deinen Schatten springen kannst. Du bist zu stolz, das musst du ablegen. Sie vermisst dich, du vermisst sie. Du bist wegen dieser Sache total fertig und sie auch. Ihr braucht einander, das merkt doch jeder Blinde. Du musst sie einfach nur anrufen und in Ruhe mit ihr reden. Du willst das nicht, das is' mir klar. Du willst nicht anfangen. Ich kann's ja verstehen, aber... glaubst du nicht, dass du dich dann besser fühlen würdest?"

Wisst ihr, was das lustige daran war? Jan hatte wahrscheinlich Recht. Ich glaubte echt, dass ich mich nach einem Gespräch besser gefühlt hätte.

Aber ich war zu stolz. - Ja. Das beschrieb mich ziemlich gut. - Ich war einfach zu stolz.

Ich schaffte es nicht wieder auf sie zuzugehen, was irgendwo doch auch verständlich war. Immerhin war nicht ich der, der den Fehler gemacht hatte.

Aber Jan hatte Recht. Ich musste das ablegen. Ich musste das ablegen.

Ich musste über meinen Schatten springen und mit ihr reden. Nur einmal.

Ich seufzte leise. "Gut...vielleicht ruf' ich sie echt mal an. Nach dem Auftritt."

————-

noch ein Kapitel + Epilog, ich bin so aufgeregt, Leute.

der Rest kommt wahrscheinlich Montag (vielleicht auch Dienstag, idk.) wenn's euch gefallen hat, lasst doch ein Vote und ein Kommi da. :3

wrong choice | andre schiebler ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt