5 Minuten? 1/1

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Zwei Hände griffen unter ihre Schultern und probierten sie auf ihr Beine zu ziehen. Doch sie drückte sich nur runter. Sie konnte nicht zulassen, dass sie ihre aktuelle Position verlassen müsste. Ihre rechte Hand hielt seine. Ihre linke Hand klammerte sich an den Pulli. Wenige Tage zuvor lagen sie noch auf dem leicht feuchten Gras und sahen sich die Sterne an. Hand in Hand lagen sie damals noch nebeneinander. Hand in Hand waren ihre Hände auch dieses Mal. Bis seine Hand langsam kalt wurde und der Griff immer lockerer.
"Du musst loslassen. Gib mir deine Hand Jacky." sagte Phils Stimme wieder in ihr Ohr.
"Noch 5 Minuten?" fragte sie. Ihre Stimme zitterte extrem und Phil hatte Probleme sie zu verstehen. Ihr flüstern wurde vom zunehmenden Wind mit weggetragen.
Um 5 weitere Minuten bat sie an diesem Tag nicht zum ersten Mal.
Das erste Mal an dem Morgen, als ihr Wecker sie aus dem Bett schmiss, als ein Blick auf die Uhr ihr beim Frühstück zeigte, dass sie bereits spät war, als sie vor dem Einsatz gerade gemütlich auf dem Sofa saß und als der Kaffee gerade noch frisch und heiß war. Es waren unbedeutende 5 Minuten. Was waren schon 5 Minuten, die sie länger im Bett lag? Oder 5 Minuten ihrer Lieblingsserie? Nichts.
Diese 5 Minuten jedoch waren die wichtigsten für sie. Es waren die letzten 5 Minuten, die sie je mit ihm verbringen konnte. Die letzten 5 Minuten in denen sie sich die fehlende Wärme in seinen Händen noch vorstellen konnte. In denen sie ihre Wärme abgeben konnte. In denen sie irgendwie leugnen konnte, was gerade passiert war, dass es nicht passiert war. Das es ihm noch gut ging. Das es ihm wieder gut gehen würde. Das es nicht die letzten 5 Minuten waren, in denen sie ihn halten konnte.
"Ok, noch 5 Minuten." erlaubte ihr Phil. Warum sie ihn überhaupt um sein Einverständnis fragte, war ihr unklar, sie konnte sie gerade sowieso kaum wehren.

Die 5 Minuten vergingen wie im Flug. Ein letztes Mal konnte sie sein Gesicht beobachten. Noch einmal seinen Geruch aufnehmen, einmal seine Haare richtig streichen. Einmal noch seine Anwesenheit genießen.
Bevor sie es überhaupt merkte waren 5 Minuten um und wieder spürte sie die Arme, welche sie erst von ihm weg zogen und dann nach oben. Diesmal wehrte sie sich weniger. Er konnte sie dennoch mit Leichtigkeit hinstellen. Nur das ihre Knie so wackelig waren, dass sein Griff um ihren Arm fest blieb, damit sie nicht sofort einfach umfiel. Dennoch gaben ihre Beine nach. Wieder griff sie seine Hand. Dich Phil nahm ihre in seine und startete einen weiteren Versuch mit ihr aufzustehen. Diesmal klappte es. Langsam gingen sie zum NEF. Er setzte sie auf den Beifahrersitz. Seine Augen suchten ihre, doch ihr Blick ging starr an ihr vorbei und auf die Wiese.
"Schau da nicht die gesamte Zeit hin." bat sie Phil.
"Was ist passiert?" fragte sie nur und ignorierte seinen Kommentar.

Das wussten beide nicht. Sie waren für einen anderen Einsatz, wo man die beiden nicht mehr brauchte, um den Rückweg, als sie auf diese Wiese geschickt wurden. Er lag einfach da. Mit einem Blick war beiden sein Schicksal klar. Sie konnten sicher nichts mehr für ihn tun. Beide sahen die sicheren Todeszeichen direkt. Nur wenige Sekunden danach war Jacky auf ihren Knien neben ihm. Phil hatte schon die gesamte Zeit das Gefühl, ihn zu kennen, mit Jackys Reaktion war ihm klar wo er ihn schon gesehen hatte. Es war Jackys Verlobter.

"Ich kann dir nicht sagen was passiert ist, dass wird die Polizei gleich rausfinden." erklärte Phil ihr.
"Dahinter kommen schon die Kollegen." fügte er hinzu, als er RTW und Streife sah.
"Tschuldigung, ich habe vergessen den RTW abzubestellen." fiel Jacky auf.
"Ich hätte ihn schon abbestellt, als ich die Polizei geholt habe. Aber ich wollte das er kommt." probierte er ihr kein schlechtes Gewissen zu machen.
"Warum?"
"Für dich. Ich wusste das dich das etwas aus der Bahn wirft, ist ja auch verständlich. Ich hatte etwas Angst das du mir hier gleich umkippst."
"Ich brauche keinen RTW, du kannst ja einfach zurück fahren."
"Dir geht es aber offensichtlich nicht gut. Du konntest dich vor ein paar Minuten nichtmals auf deinen Beinen halten. Ich habe dich hier fast hingetragen."
"Gib mir einfach ein paar Minuten."
"Wir schauen mal, ich sag mal den anderen Bescheid und du ruhst dich hier kurz aus und trink mal etwas." bat Phil und lief zu den anderen.

Dir anderen Teams erwartet schon was war. Schließlich arbeitete keiner der beiden gerade am Patient.
"Hallo." begrüßte Phil sichtlich niedergeschlagen. Abgesehen von Jackys involiren im Einsatz, war es kein einfacher Fall.
"Was ist los?" fragte Marion möglichst Einfühlsam.
"Der Patient ist ein Fall für euch die Polizei." meinte Phil an Stefan und Paul gerichtet.
"Warum hast du uns dann nicht abbestellt?" fragte Nick.
"Da ist noch eine Sache. Der Patient ist, war, Jackys Verlobter. Sie wirkte mir eben etwas zu schwach, deswegen wollte ich das ihr kommt. Ich schaue gleich nochmal nach ihr."
"Die Arme."

Als Phil wieder vor Jacky stand hatte sie kaum noch ihre Augen auf. Ihr Körper hing schlaff im Sitz. Nur die Tränen die aus ihren Augen liefen, waren noch ein Hinweis darauf, dass sie wach war. Phil wischte vorsichtig die Tränen auf. Müde sah sie ihn an. Vorsichtig nahm er sie in den Arm.
"Verstehst du jetzt was ich meine?"
"Ich will nicht ins Krankenhaus." meinte sie leise.
"Musst du nicht, Ok? Du legst dich einfach in den RTW hinten hin und dann fahren wir auf die Wache." schlug Phil vor.
"Bleibst du bei mir?" fragte sie mit immernoch zitternden Stimme.
"Natürlich."

Etwas später kamen Paul und Stefan zurück.
"Ihr könnt ruhig schon fahren, Jacky, wir reden einfach morgen, wenn es dir etwas besser geht?"
"Ich kann auch jetzt. Was wisst ihr schon?" protestierte sie.
"Nicht besonders viel, deswegen ermitteln wir weiter. Irgendeine Idee?"
"Nein. Kannst du dich sofort melden, wenn ihr was habt?"
"Mache ich." versprach Stefan.
"Und wir fahren jetzt." entschied Phil, er wollte ihr den Blick nicht weiter antun.
"Kannst du laufen?" fragte er noch an Jacky gerichtet.
"Ja, mir geht es gut."
"Das sehen wir gleich. Komm nimm meine Hand."
Langsam machten sie sich auf den Weg in den RTW, wo sie sich hinlegen konnte.
"Ok, Marion du fährst das NEF, Nick den RTW, ich bleib hinten und verkabel dich mal." erklärte Phil.
"Aber auf die Wache." wiederhohlte Jacky.
"Ja, wenn du mich jetzt machen lässt."
"Ok."
Als Phil endlich fertig war, sah er nicht sehr begeistert aus. Jacky war durch die ganze Aufregung erstmal eingeschlafen. So entschied Phil sich doch noch zum Krankenhaus zu fahren, was er aber kurz vor dem Ziel nochmal änderte, da die Werte besser wurden.
Angekommen weckte er sie wieder auf.
"Warte." unterbrach er sie, ls sie direkt aufstehen wollte "du legst dich jetzt in dem Ruheraum und bleibst verkabelt, ich lege dir auch noch einen Zugang." legte er fest.
Nachdem sie ein paar weitere Stunden geschlafen hatte, brachte er sie nach Hause.

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