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Die junge Frau trat hinter dem Tresen hervor und näherte sich mir mit einem wissenden Lächeln. „Elodie?" sprach sie betont leise aus und ich deutete ein Nicken an. „Als wir von deinem Unfall erfahren hatten, waren wir alle sehr besorgt um dich. Wie geht es dir? Wir haben nicht damit gerechnet, dich hier jemals wieder zu sehen." Mein Blick flog für einen kurzen Augenblick zu dem älteren Ehepaar, die jedoch so mit ihrem eigenen Gespräch und ihren Kaffees beschäftigt waren, dass sie unsere Worte nicht wahrnahmen, geschweige denn, sich überhaupt für diese interessierten. Ich vermutete, dass sie nicht einmal wissen würden, wer ich war, selbst wenn diese junge Frau meine Gegenwart lauthals hier in der Öffentlichkeit kund tun würde.

„Den Umständen entsprechend, besser." Antwortete ich ihr, was eine Spur von Erleichterung in ihren Gesichtszügen sichtbar machte. „Das freut uns sehr. Ich nehme an, du möchtest das Übliche?" Ich bestätigte ihre Annahme mit einem Schmunzeln. Dass sie sich nach dieser langen Zeit noch daran erinnerte, faszinierte mich. „Kommt sofort." Sie zwinkerte mir noch kurz zu und verschwand schließlich wieder, im hinteren Bereich des Cafés. Dies gab mir die notwendige Zeit, meinen Blick aus dem Fenster hinaus auf die Straße gleiten zu lassen und das stetige Treiben dort zu beobachten.

Der erste Gedanke der mich beschlich, war Aiden. Warum gerade er nun an erste Stelle auftauchte, war mir schleierhaft. Was würde an diesem geplanten Samstag-Abend geschehen? Würde ich eventuell sogar feststellen, dass all dies nur eine Fassade war? Das war beinahe unmöglich. Er hatte mitten in der Nacht stundenlang nach mir gesucht, nur damit er sicherstellen konnte, dass es mir gut ging. Er verurteilte mich nicht für das, was geschehen war. Für den Menschen, der ich damals gewesen war und nun wieder werden wollte. Obwohl er von Letzterem nichts wusste. Er vermittelte mir ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, was mir eigentlich die Hoffnung verleihen sollte, dass alles gut laufen sollte. Warum also machte sich in meinem Inneren dieses ungute Gefühl breit, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war?

Die Gedanken über ihn zerrissen förmlich vor meinem inneren Auge, als die junge Frau von zuvor eine Tasse mit noch dampfenden Tee vor mir abstellte. „Vielen Dank." Sagte ich mit einem ehrlichen Lächeln und wollte gerade nach meiner Handtasche greifen um diesen Tee zu bezahlen, doch sie winkte lediglich ab. „Das geht aufs Haus, zur Feier deiner Genesung." Ich wollte protestieren, ein leises Lachen von ihr verhinderte dies jedoch. „Anweisung von oben." Betonte sie und deutete dabei schmunzelnd mit einer kurzen Handbewegung in den hinteren Bereich des Cafés. Ich hätte mir sofort denken können, dass dies vom Inhaber persönlich so gewünscht wurde.

Ich drückte ihr mit einem weiteren „Danke" meine Rührung diesbezüglich aus, woraufhin die junge Frau auch schon wieder verschwand. Meine Hände legte ich um die heiße Tasse und ich spürte augenblicklich, wie die Wärme sich von dort in meinen gesamten Körper ausbreitete. Ein angenehmes Gefühl, was mich sofort wieder von dem Sog meiner Gedanken mitreißen ließ. Mein Blick wanderte erneut hinaus auf die Straße, doch diesmal dachte ich über Luc nach. Den jungen Mann, mit den dunklen Haaren und beinahe rabenschwarzen Augen. Auf welch unerfreuliche Weise wir uns damals kennengelernt hatten. Die Abneigung, die ich für ihn empfunden hatte. Vom ersten Augenblick an war er mir unsympathisch gewesen, dennoch hatte ich eine ungewöhnliche Nähe zu ihm verspürt, die ich damals nicht hatte einordnen können.

Diese Zeit war nun vorüber und ich musste zugeben, dass ich ihn ein wenig vermisste. Während meines Komas hatte er regelmäßig nach mir gesehen, sich sogar ein wenig mit Amanda angefreundet und darauf geachtet, dass niemand Ungewolltes in meine Nähe kam. Es war seltsam, dass ein mir vollkommen fremder Mann wie er, plötzlich so sehr darauf bedacht war, auf mich aufzupassen. Von all seinen Taten hatte ich persönlich nichts miterlebt, denn seit dem Tag als ich aus dem Koma erwachte, war er aus meinem Leben verschwunden. Von jetzt auf gleich war dieser Drang auf mich aufzupassen wohl verflogen. Luc hatte mir nach meinem Erwachen von seinem verstorbenen besten Freund erzählt. Dass dieser sich sicherlich im Grab umgedreht hätte, wenn Luc nicht darauf geachtet hätte, stets ein Auge auf mich zu haben.

Ich nippte an dem nun etwas abgekühlten Tee und nahm dabei war, dass ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen lag. Dieser Luc und ich, wir hatten kaum Zeit miteinander verbracht und dennoch war er mir mit solch einer Besessenheit im Gedächtnis geblieben, dass ich sogar zwischen ihm und Aiden abzuwägen begann. Die Version, die ich allerdings mit Aiden abwog, war der Lucifer aus meinem Traum, weshalb ich mich immer wieder daran erinnern musste, dass der eine Mann wirklich real und der andere nur ein Gespinst meines Unterbewusstseins war. Trotz dessen, dass dieser Traum niemals real gewesen war, war dies dennoch eine der schönsten Zeiten meines Lebens gewesen. Ob ich diesem unwirklichen Leben ein wenig nachtrauerte? Manchmal.

Meine Hände welche noch immer die lauwarme Tasse umschlungen hielten, verkrampften sich schlagartig, als ich draußen auf der Straße den Rücken eines großgewachsenen, jungen Mannes erblickte. Auch wenn seine Haarfarbe durchaus nicht selten war, war es unverkennbar. Es war der selbe Mann, den ich in der Nacht bei dem Club für einen kurzen Augenblick zu sehen bekommen hatte. Der Mann, der durch eine einzige, kurze Berührung ein Meer aus Gefühlen und Wärme in mir auslösen konnte. Ich beobachtete jede winzige Bewegung dieses Mannes, prägte mir jede Regung seines Körpers genauestens ein. Es genügte jedoch nur ein gewisse Bewegung, um mich aus meiner beinahe lauernden Position zu befreien, mich stattdessen jedoch in einen Zustand völliger Schockstarre zu versetzen. Denn in diesem Moment drehte sich dieser junge Mann um und blickte geradewegs in meine Richtung, als hätte er gespürt, dass ich ihn beobachtete.

Seine Gesichtszüge, seine Haare, sein gesamtes Äußeres glich dem Lucifer aus meinem Traum bis ins kleinste Detail. Obwohl ich ihn lediglich aus gewisser Entfernung betrachten konnte, gab es daran keine Zweifel. Es war Luc, der dort auf der anderen Straßenseite stand und seinen Blick genau auf mich gerichtet hielt. Auch er schien in eine Art Starre gefallen zu sein, denn er schien sich seit Bestehen unseres Augenkontakts ebenfalls kein Stück mehr zu bewegen. In mir stieg eine unaussprechliche Wärme auf, die mir ein seltsames Gefühl von Geborgenheit vermittelte. Ausgelöst nur durch unseren Blickkontakt.

Womöglich war ich die erste, die sich aus dieser Starre löste, da sich mein Körper wie von selbst von dem Platz am Fenster erhob und sich mit schnellen Schritten der Tür des Cafés näherte. Nur wenige Sekunden später stand ich auch schon mit rasendem Herzen im Freien und suchte mit meinen Blick nach der Stelle, an der ich Luc soeben entdeckt hatte. Er war nicht weit entfernt gewesen, theoretisch hätte er in wenigen Schritten das Café erreichen können. Meine Atmung ging schnell und mein Herz schlug mir bis zum Hals, während ich nach dieser Stelle Ausschau hielt, jedoch mit aufkommender Enttäuschung feststellen musste, dass Luc verschwunden war.

Ich suchte mit meinem Blick auch den Rest der Straße ab, konnte ihn aber nirgends entdecken. Nur für wenige Sekunden hatte ich ihn aus den Augen verloren, um das Café zu verlassen. Dennoch machte es den Anschein, als wäre er niemals hier gewesen. Ich verstand es nicht. Nichts davon. War dies erneut nur ein gemeiner Scherz meines Unterbewusstseins, in dem es mich glauben ließ etwas zu sehen, was nicht real war? Dass es mich diesmal nicht in eine Erinnerung des Komas zurückwarf, sondern die dortigen Erinnerungen direkt in mein reales Leben implizierte? Ich gab ein frustriertes Seufzen von mir und versuchte meinen Körper wieder ruhiger werden zu lassen.

Dieses Gefühl welches mich erfasst hatte, als der Blickkontakt zwischen uns entstanden war.. ich sehnte mich nach diesem Gefühl zurück. Wenn Luc wirklich hier gewesen war, dann musste er der Mann sein, dem ich vor dem Club begegnet war. Ich versuchte mich an diesem Gedanken festzuhalten, da ich nicht wollte, dass mein Unterbewusstsein noch mehr Macht über mich und mein Handeln erlangte. Diese Geschehnisse wurden mit jedem Tag unerträglicher, schon jetzt brachte es mich beinahe um den Verstand. Ich schüttelte kurz den Kopf um die Gedanken in meinem Kopf wieder zum Stillstand zu bringen und mich auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Es würde ohnehin bald Zeit werden, meinen anstehenden Termin wahrzunehmen. Luc hin oder her, diesen Termin musste ich nun priorisieren. Obwohl ich noch immer dieses unbeschreibliche Kribbeln in meinem gesamten Körper spüren konnte, trat ich schließlich den Weg zu meinem Wagen an. Dass ich so ungestüm aus dem Café verschwunden war, bereute ich sehr. Womöglich fragte sich diese Frau bereits, was in mich gefahren sein musste. Bei meinem nächsten Besuch würde sie mich sicherlich danach fragen. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings gewusst, dass ich das Innere dieses Café nie wieder erblicken würde, wäre ich unter keinen Umständen nun in meinen Wagen gestiegen.

Des Teufels VermächtnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt