23

19 0 0
                                    

Runde zwei - Revanche Duell.
Warum?! Wieso hatte ich mich wieder darauf eingelassen?

Kaiba und ich hockten auf dem Boden. Wie zwei Grundschüler, die sich nach der Schule verabredet hatten und ein bisschen abhängen wollten. Wir wussten es natürlich besser. Das war kein gemütliches Treffen unter Freunden. Unser Spiel war bitterer Ernst. Weil Seto Kaiba nie aus >Spaß< spielte, das hatte er damals deutlich gemacht, als wir um den dritten Platz im Battle-City-Turnier gekämpft hatten. Er hatte dieses Duell genauso ernst genommen wie unsere erste Partie Wackelturm - das war vor achtundzwanzig Tagen. Kaiba zog es nicht einmal in Erwägung, zu verlieren. Die Tatsache machte mich schon rasend. Sowohl damals als auch heute war ich für ihn kein ernstzunehmender Gegner. Nur deshalb hatte er meiner Bedingung zugestimmt. Ich war wütend. Auf Kaiba und auf mich. Weil wir ständig in unsere alten Muster verfielen. Allmählich hatte ich es satt, sinnlos auf der Stelle zu rudern.

Ich schnappte mir ein volles Glas und kippte den Alkohol hinunter. Das Zeug schmeckte bitter - passender hätte es nicht sein können. Wahllos griff ich nach einem missratenen Baustein und platzierte ihn auf die beiden anderen.

Dieser Wackelturm war wie die Beziehung zwischen Kaiba und mir. Holzklötzchen für Holzklötzchen stapelten wir aufeinander. Jeder Baustein eine Erinnerung, ein Erlebnis, das uns zusammenbrachte. Die Teile waren schief, der Turm war wacklig, nicht stabil genug, um wirklich etwas auszuhalten. Und diesen Turm hatte Kaiba einfach so kaputt gemacht. Er hatte mit den Füßen drauf getreten und wollte jetzt, dass wir wieder von vorne anfingen.

"Du bist heute so still, Jonouchi", sagte Kaiba.
"Ich dachte, du willst, dass ich meine Klappe halte." Ich goss ordentlich nach und leerte mein Glas in einem Zug. "War das nicht Teil deines Plans - mich >umzuerziehen<?"
"Ich habe nur gesagt, dass du erst nachdenken sollst, bevor du redest. Von Schweigen war nie die Rede." Er schaute mir dabei zu, wie ich den Baustein vorsichtig auf das Türmchen stellte. "Und außerdem: seit wann machst du freiwillig, was man dir sagt?"
"Ich hab doch schließlich keine Wahl." Ich schob ihm die Flasche hin. "Du hast ja mehr als deutlich gemacht, was du von mir hältst. Also, warum noch dagegen halten?"
"Irgendwie scheinen wir uns misszuverstehen." Kaiba hielt den Baustein fest und drehte sich ernst zu mir um.
"Oh doch, wir verstehen uns sehr gut", keifte ich zurück. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schloss einen kurzen Moment die Augen. Irgendwie musste ich ja versuchen, wieder runterzufahren. Wenn ich Kaiba nicht ansehen musste, klappte das sogar ganz gut. "Kaiba-dono", riss ich mich schließlich zusammen und atmete tief durch, "Warum tust du das?"
"Was genau meinst du?"
"Ich meine das Spiel, der Einsatz…einfach alles. Du gehst davon aus, dieses Spiel zu gewinnen. Und dann? Ziehst du dann dieselbe Show noch mal ab?"
"Jonouchi", sagte Kaiba. Eine theatralische Pause folgte und ich dachte, er hätte es sich nochmal anders überlegt. "Du hast ja keine Ahnung, wie lange ich darauf gewartet habe."
Ich öffnete die Augen, unsicher, ob ich mich gerade verhört hatte. Er ignorierte meinen Blick und fuhr einfach fort: "Es juckt mir schon eine Weile in den Fingern, dich zurecht zu weisen, dich zu erziehen…ich kann dir nicht sagen, warum. Am Anfang dachte ich, dass ich dich einfach nur verachten würde. Deine Art, DuelMonsters zu spielen, wie du dich auf deine Freunde verlassen hast - es kotzte mich an. Ich dachte", er schenkte mir nach, "dich zu besiegen, würde dich auf den Boden der Tatsachen bringen und dieses Gequatsche von Freundschaft und Mut endlich im Keim ersticken. Aber, egal wie oft ich dich auf die Knie gezwungen habe, wie viele Male ich dich besiegt habe, du bist einfach immer wieder aufgestanden." Er schaute nach oben, als würde dort etwas zu sehen sein, das ihn in Erinnerungen schwelgen ließ. "Es hat mich wahnsinnig gemacht… Du hast mich wahnsinnig gemacht. Wie du dich immer wieder mit mir messen wolltest, versucht hattest, mich zu schlagen, egal, wie schlecht deine Chancen standen. Aber dann…ich weiß nicht, wann es passiert ist, doch irgendwann hatte ich mich so daran gewöhnt, dass es mir nicht mehr gereicht hat, dich einfach zu besiegen. Mir wurde klar, dass ich dich nicht bloß verachtete. Da war mehr und ich konnte lange Zeit nicht benennen, was es war.
Als du dann diese Wette vorgeschlagen hast… plötzlich wusste ich, was mir all die Jahre gefehlt hat. Es ist einfach so. Ich will dich, Jonouchi. Manchmal auf allen Vieren und mit ausgestrecktem Hintern, aber vor allem will ich, dass du mein bist; mein Hündchen, mein Haustier. Und mit diesem Spiel hole ich mir das, was ich will."
Den letzten Satz ausgesprochen, brach ein seltsames Schweigen zwischen uns aus. Hauptsächlich wegen mir. Ich hatte die Worte einfach so hingenommen und wusste jetzt nicht, was ich damit anfangen sollte. Schrägerweise hatte ich den Eindruck, als wollte mir Kaiba - auf seine egozentrische, machtbesessene und unempathische Weise - sagen, dass er mich doch nicht so scheiße fand, wie er es all die Jahre gedacht hatte und dass er…dass er Zeit mit mir verbringen wollte?  Ich konnte nicht einschätzen, ob ich schon so verblödet war, dass ich mir schon aus simplen Beleidigungen und krankhaften Neigungen etwas Gutes zusammensponn oder ob ich doch ins Schwarze getroffen hatte. Mir war klar, dass Kaiba mir keine deutliche Antwort geben würde. Dafür wusste der Kerl zu wenig von Zuneigung und Nächstenliebe. Ich wusste nur eines: diese Erklärung konnte ich so nicht im Raum stehen lassen.
Statt also meinen nächsten Klotz auf den Turm zu drapieren, stand ich auf, kickte das wackelige Gerüst um, dass die Steine durch den Raum purzelten. Dann stellte ich mich vor Kaiba, der das Ganze mit großen Augen beobachtet hatte.
"Scheiß auf das Spiel!", sagte ich mit in die Hüften gestemmten Händen.
"Du hast gerade den Turm umgeworfen, Jonouchi", fasste Kaiba zusammen - das einzige, das er gerade kapierte.
"Und? Dann hab ich eben verloren. Wir wissen doch beide, dass es so geendet hätte. Aber ich hab' keinen Bock mehr, so zu tun, als wäre ich noch scharf darauf, gegen dich anzutreten."
In Kaibas Augen leuchtete immer mehr Unverständnis auf. "Du hast doch gesagt, dass du die Herausforderung annimmst."
"Fällt dir denn nicht mehr dazu ein?", fing ich nun an zu schreien. Vielleicht kapierte er dann, was Phase war. Als keine Antwort kam, schlug ich die Hand auf die Stirn. "Schon mal darüber nachgedacht, dass ich die meisten Dinge nur gemacht habe, weil ich es wollte? Klar, wir hatten einen Deal und ich begleiche immer meine Schulden…aber ich hätte dir trotzdem schon viele Male eine reinhauen können. Wette hin oder her."
"Und warum hast du es nicht einfach gemacht?"
"Weil…", ich knirschte mit den Zähnen, "na weil…weil ich dich mag, verdammte scheiße! Und ich keinen blassen Schimmer habe, wieso das so ist." Ich atmete tief aus. Es kam mir so vor, als wäre ich einen Marathon gelaufen. "Ich weiß nur, dass ich keinen Vertrag mehr mit dir abschließen will, der mich zu deinem Schoßhund auf Lebzeiten macht."
"Was willst du dann?" Kaiba richtete sich auf. In voller Größe stand er mir gegenüber. "Willst du mit mir zusammen sein?  Mit mir Pärchen spielen?"
"Äh…nein, also-" Als ob ich einen Plan hätte. Ich hatte doch nur drauf los geplappert.
Kaiba und ich - ein Paar…nein, das war für den Anfang definitiv zu viel!
"Ich wollte doch nur sagen, dass ich keinen Vertrag brauche, um Zeit mit dir zu verbringen. Ich meine…ein paar Sachen können wir gerne wiederholen…solange du mich nicht wie einen schlecht dressierten Affen behandelst. Weil, ganz ehrlich, so sehr steh' ich nicht darauf, dumm gemacht zu werden."
"Achso?!" Er kam einen Schritt auf mich zu und beugte sich leicht zu mir herunter. "Und worauf stehst du dann, Jonouchi?"
"Ist das nicht offensichtlich?" Ich tippte ihm auf die Brust. Er griff mein Handgelenk und zog mich direkt in seine Arme. "Ich will es aber hören", raunte er in mein Ohr. Dieser verfluchte…
"Auf dich", hauchte ich zurück. Selbstzufrieden grinste er mich an, strich mit der freien Hand über meinen Schopf und tätschelte ihn. "Dein Hang zur Selbstzerstörung ist wirklich beachtlich, Jonouchi."
"Hast du etwas anderes erwartet?"
Er lächelte schief. "Vermutlich nicht. Wer mit Engelswürfeln um sich schmeißt und damit glaubt, gewinnen zu können, dem ist nicht mehr zu helfen."
"Hey", maulte ich, kurz davor, ihm eine Kopfnuss zu verpassen. Aber Kaiba war schneller. Sicher hob er mich auf seine Arme, postierte mich auf seine Schultern. Überrascht schrie ich auf, als auch schon die flache Hand auf meinem Hinterteil landete.
"Also gut", sagte Kaiba, ließ die Hand zur Innenseite meiner Schenkel wandern, dass ich augenblicklich verstummte. "Dann eben ohne Deal. Ich kann dir nur nichts versprechen. Das hier ist nicht mein Metier und womöglich habe ich nach zwei Wochen schon die Faxen dicke…aber…ich habe mich noch nie vor neuen Herausforderungen gedrückt."
"Du bist ja ein richtiger Romantiker, Seto Kaiba", erwiderte ich und kassierte eine weitere Klatsche. "Schon gut", beschwichtigte ich, "ich weiß, was du mir sagen willst und ich komm' damit klar." Vorsichtig begann ich, an seinem Pulli herum zu zubbeln. "Ich würde auch erstmal herausfinden wollen, was das zwischen uns ist…oder ob ich nicht einfach nur eine notgile Masochistenschlampe bin, die ihren Erzfeind vögeln will."
Daraufhin lachte Kaiba auf.
"Hey!" Ich schlug mit der Faust auf seinen Rücken, "was war denn daran bitte so lustig?!"
"Dass du in einem Satz so viele verbale Flüche schaffst…Ganz zu schweigen von all den Regelbrüchen…Jonouchi, Jonouchi, das wird wohl wieder eine lange Nacht."

Inu no GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt