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"Steht die Verbindung, Honda-kun?"
"Ich dachte, du hättest das Kabel geprüft, Jonouchi."
"Hä, ich dachte du."
"Ich hab doch-"
"Leute", seufzte Yugi und hielt das Kabel in der Hand. Honda und ich kratzten uns an den Kopf und lachten wie blöde. Als wir endlich Internet hatten, tauchte auch schon Anzus Gesicht auf dem Bildschirm auf. Dahinter sah man Yugi, Honda und mich, wie wir uns vor die Kamera zwängten, etwas umständlich die Köpfe zusammensteckten und winkten.
"Hallo, Leute", strahlte uns Anzu an. Nacheinander begrüßten wir unsere Freundin aus den Staaten.
"Du siehst toll aus, Anzu", bemerkte ich als erste den fransigen Haarschnitt. Die Braunhaarige fasste sich durch die Haare und nickte. "Ich dachte, ich probier' mal was Neues. Und bei euch? Was läuft's in Domino?"
Honda und ich plapperten sofort drauf los. Ich erzählte, dass ich bald genug Geld zusammengespart hätte und nächsten Monat damit anfangen könnte, eine eigene Wohnung zu suchen. Honda und ich hatten mit der Idee gespielt, eine gemeinsame Bude zu mieten. Geteilte Miete, Fertigramen und jeden Abend unser Lieblings-RPG zocken - ja, das klang nach einem Leben ganz nach meinem Geschmack.
Yugi hielt sich im Hintergrund, meinte, er hätte nicht viel Spannendes zu erzählen, dabei wusste ich, dass er gerade mit Otogi an einem neuen Spiel tüftelte.

Als nächstes quetschten wir Anzu aus. Ihr Leben hatte gefühlt eine hundertachtzig Grad Wendung durchlebt. "Die Tanzschule ist der Wahnsinn! Die Lehrer fordern einen richtig, dass man am Ende des Tages einfach nur ins Bett fallen will. Aber es macht auch richtig Spaß. Und der Job im Coffeeshop ist auch ganz schön irre, sag ich euch. Kein Vergleich zu den Domino-Cafés. Und neulich, da war…"

Es war schön, Anzu so happy zu sehen. Nach den ganzen Tagen, an denen wir nur kurz miteinander gechattet hatten, tat es gut, ihre Stimme zu hören.
Mittlerweile kam ich mit der Trennung zurecht. Anzu war ja nicht wirklich fort - eben nur etwas weiter weg, das wurde mir allmählich klar. Der Gedanke baute mich auf - uns alle. Auch wenn jeder anders damit umging.

Zwei Stunden hockten wir in Yugis Zimmer, hörten Anzus spannenden Geschichten aus ihrem Leben in New York zu und tranken dabei Schokomilchshakes wie früher. Etwas wehmütig legten wir auf, als Anzu sich für ihren Teilzeitjob fertig machen musste, und auch Honda verabschiedete sich, um seine Schicht in der Werkstatt anzutreten.

Ich blieb noch ein bisschen bei meinem besten Kumpel. Versuchte herauszuhören, wie es dem Bunthaarigen wirklich ging. Aber Yugi schien okay. Es ging ihm noch nicht super - aber >okay< war ein Anfang.

"Und, Kazuha.? Wie lange läuft deine Wette noch?" Er zeigte auf mein Halsband. Nach achtundzwanzig Tagen merkte ich es kaum noch. Ich lächelte und streckte Zeige- und Mittelfinger aus.

Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte, nachdem ich fast einen Monat Achterbahn gefahren war. Meine Gefühlswelt war aus den Fugen geraten. Und nicht nur das.
Auf eine gewisse Weise war ich traurig, dass unser Deal endete. Schräg, oder? Scheinbar schlummerte doch eine abartige Seite in mir. Nicht, dass ich es vermissen würde, von Kaiba erniedrigt zu werden oder noch einmal Hausaufgaben aufgebrummt zu bekommen. Aber die Zeit an sich - die würde ich vermissen. Ich hatte so viele neue Seiten an Kaiba entdeckt (sicher, nicht alle waren jetzt so berauschend gewesen, aber das Gute hatte doch irgendwie überwogen) und ich wollte nicht, dass es nach dreißig Tagen einfach aufhörte.
Vielleicht gab es eine Chance, dort weiterzumachen, wo wir jetzt standen. Die kleinen Schritte, mit denen wir uns angenähert hatten. Ich wollte noch ein bisschen weiter laufen, sehen, was passierte.

Kaibas Nachricht kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Er hatte mir eine SMS geschickt, als Yugi und ich in Großvaters Laden standen und die neuen DuelMonsters-Packs bewunderten. In seiner Nachricht stand, dass er mich heute früher sehen wollte. Da ich eh nichts zu tun hatte, sagte ich auch sofort zu und lächelte in mich hinein.
Ich steckte mein Smartphone zurück in die Tasche, kaufte ein Pack und verabschiedete mich von Yugi und seinem Großvater. Das Fahrrad geschnappt, radelte ich gemütlich zur Kaiba-Villa. Es war ein warmer Sommertag. Richtig heiß und schwül, dass ich heute meine Shorts trug, obwohl noch der ein oder andere Knutschfleck zu sehen war. Das war mir aber egal. Peinlich waren mir Kaibas >Lektionen< ohnehin nicht mehr. Sollten andere doch sehen, dass ich Spaß hatte…also, mal mehr, mal weniger Spaß.

Ein Pinguin öffnete das Stahltor, ich grüßte, in dem ich mit dem Arm winkte und fuhr zum Haupteingang. Das war schon fast normal. Mal abgesehen von der Villa, die mir auch jetzt noch abartig groß vorkam. Ich meine: Kaiba und Mokuba lebten dort alleine! Das wollte mir bis heute einfach nicht in den Schädel.

Durch den Flur lief ich direkt in mein Zimmer. Mit all den Sachen, die Kaiba aus meiner Wohnung geholt hatte, fühlte es sich wirklich wie mein eigenes Zimmer an. Darum machte es mir auch nichts, meine Klamotten einfach übers Bett zu verteilen oder die DuelDisc auf dem Nachtschrank ausgebreitet zu haben, auf der ich meine Karten zu einem Türmchen aufgebaut hatte. Nur Seto Kaiba, den hatte ich dort nicht abgestellt. Der Braunhaarige stand genau vor dem Nachtschrank, begutachtete seine eigene Technologie, bis er mich am Türrahmen bemerkte und seinen Fokus auf meine Augen lenkte.
"Du weißt, dass dieses Teil teuer war?", fragte er mich und deutete auf meine DuelDisc, die nicht mehr ganz so stabil aussah.
"Ja", antwortete ich, "und du weißt, dass ich mit diesem Teil fast abgefackelt worden wäre?"
"Eigentlich ist die DuelDisc so konzipiert, dass sie jeder Wetterbedingung standhält."
"Tja, dann hast du wohl vergessen, sie Götter-resistent zu machen."
"Versuch dich nicht russzureden, Jonouchi", Kaiba verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte mich an. Okay, dieses Lächeln war nicht gefährlich. Er wollte mich also bloß ein wenig ärgern. Das war in Ordnung. So war halt unsere Kommunikation.
"Wolltest du mich deshalb sehen? Weil du mir eine Standpauke halten willst?", fragte ich und kam in mein Zimmer. Kurz vor meinem Bett blieb ich stehen. Erst jetzt bemerkte ich die Sachen, die dort standen und nur von Kaiba dorthin gelegt worden sein konnten.

"Nein", antwortete Kaiba und kam mir etwas entgegen. Er schien gemerkt zu haben, worauf ich starrte. Mein Gesicht musste Bände gesprochen haben.
"Was hast du vor?", fragte ich ganz ruhig. Dabei ging in mir etwas ganz anderes ab.
"Wonach sieht es denn aus?"
"Das…das sind die Sachen aus unserem letzten Spiel." Naja, die Schnapsflasche wurde durch einen deutlich teureren Fusel ersetzt, aber der Rest passte. Da war mein Stoffbeutel, aus dem die  schrägen Holzförmchen hervor lugten. Dabei hätte ich schwören können, dass Kaiba sie nach unserem Spiel einfach weggeschmissen hatte. Ich schluckte. "Was haben die hier zu suchen?"
"Du wolltest doch eine Revanche."
"Ja, aber das war, bevor ich dein Hündchen werden musste."
"Spielt das eine Rolle?" Er fixierte mich ruhig. Wie konnte der Kerl nur so ruhig bleiben? "Jonouchi, ich weiß, dass du einmal in deinem Leben gegen mich gewinnen willst. Ich biete dir die Chance, es noch einmal zu versuchen. Wir machen es auch in deinem Zimmer. Damit du nicht sagen kannst, dass Isono oder ein Schlagloch dich um deinen Sieg gebracht haben."
Meine Augen sahen zu dem Beutel. "Warum machst du das? Ich meine, du gibst mir doch nicht einfach so eine neue Chance. Was springt für dich dabei heraus?"
"Die Bedingungen bleiben dieselben", antwortete Kaiba. Ich riss die Augen auf. "Wie-?!" Hatte ich mich verhört?
"In zwei Tagen läuft unser Deal aus. Wenn ich gewinne, will ich den Einsatz um weitere dreißig Tage verlängern." Seine Worte flogen mir nur so um die Ohren. Ich musste mich zusammenreißen, nicht sofort auszuflippen. In mir brodelte es. Nicht nur vor Wut. Da waren so viele Gefühle, die ich noch nicht kapierte. Wut war da das einzige, das für mich Sinn ergab. Ich ballte die Hände zur Faust. Kaiba…

"Also, was sagst du?", hörte ich Kaibas Stimme wie durch ein Rohr sprechen.
"Wieso fragst du mich überhaupt?", entgegnete ich monoton, "noch sind die dreißig Tage nicht um. Ich muss doch eh machen, was du sagst."
"Das wäre aber nicht fair, findest du nicht?"
Ich grinste ihn schief an. "Ach ja?! Ich wusste nicht, dass du neuerdings fair spielst." Weil Kaiba nicht antwortete, setzte ich mich auf den Boden und seufzte. "Also gut. Spielen wir eine letzte Runde Wackelturm…aber nur unter einer Bedingung."
"Und die wäre?"
"Wenn ich gewinne, will ich, dass du mir endlich etwas Respekt erweist."
"... einverstanden."

Inu no GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt