Als der Mann vor meinen Augen zusammenbrach, sprintete ich sofort zu der verängstigten Frau hinüber. Ihr Blick sprach Bände – Angst, Unsicherheit, Schock. "Es ist vorbei, er kann dir nichts mehr tun", versuchte ich beruhigend auf sie einzureden. Als sie nicht reagierte, wandte ich mich an Xavier. "Hast du das Ziel erreicht?", fragte ich knapp.
"Erledigt", antwortete er prompt.
Perfekt. "Kannst du zum Auto gehen und mein Ersatzkleid holen? Dann treffen wir uns am Teich."
"Ich bin schon auf dem Weg."
Zum Glück war Xavier nicht der Typ für unnötige Fragen. "Kann ich etwas für Sie tun?", fragte ich die zitternde Frau, während ich mich zu ihr hinunterbeugte, um sie zu umarmen. Doch sie umklammerte mich so fest, dass mir fast die Luft wegblieb. "Danke", flüsterte sie wiederholt, Tränen in den Augen.
Hinter mir hörte ich ein Rascheln und sah, wie Xavier mit meinem Kleid auftauchte. Als er die halb nackte Frau bemerkte, drehte er sich schnell weg. Ich wandte mich wieder der Frau zu. "Keine Sorge, das ist mein Bruder. Er hat ein Kleid für dich mitgebracht."
Sie nickte, und ich nahm Xavier das Kleid ab. "Komm, wir ziehen dich schnell um, okay?" Sie nickte erneut, und ich half ihr aufzustehen. Kaum stand sie, schnitt ich einfach den Rest des zerrissenen Kleidungsstücks ab. Schnell half ich ihr in das neue Kleid zu schlüpfen, das zwar etwas zu weit war, aber dennoch passte.
"Haben Sie hier eine Begleitung?", fragte ich die Frau und betete innerlich, dass der tote Mann, den Xavier jetzt ins Visier nahm, nicht ihr Begleiter war.
"Mein Mann Carlos", flüsterte sie.
"Carlos wie, bitte?" Ich fragte, obwohl Carlos ein recht gewöhnlicher Name war.
"Carlos Diez de Bonilla", antwortete sie leise.
Der Name traf mich wie ein Blitz. Geschockt schaute ich zu Xavier, der genauso überrascht aussah. "Xavier, hol ihn", befahl ich meinem Bruder.
"María, Xavier holt deinen Mann. Wir müssen hier weg, bevor die Leiche gefunden wird", versuchte ich María, die ehemalige Freundin meiner Mutter, zu überzeugen.
Sie schien immer noch benommen, nickte aber schließlich. Kaum war Xavier weg, kam er auch schon wieder – mit Carlos, dem Mann von María und einem alten Freund unserer Eltern im Schlepptau. Kaum sah dieser seine Frau, rannte er zu ihr und umarmte sie fest. Ihr gemeinsames Schluchzen erfüllte die Luft.
Als Carlos sich von seiner Frau löste, starrte er auf die Leiche am Boden. Wut spiegelte sich in seinem Blick wider. Dann wandte er sich mir zu. "Ich danke Ihnen. Ich schulde Ihnen etwas, das hätte nicht jeder getan", sagte er ernst.
"Kein Problem, das ist unser Job", platzte Xavier dazwischen, der offenbar keine ernste Situation ernst nehmen konnte. "So haben es uns Alison und Armando beigebracht", fügte ich hinzu, da Carlos offensichtlich keine Ahnung hatte, wer wir waren.
María hörte auf zu schluchzen und sah uns verwundert an. "Xavier?! Xaviera?!" Ihre Stimme bebte vor Erstaunen.
"Ihr seid am Leben?!" Carlos' Frage kam kaum Sekunden später.
María löste sich von ihrem Mann und kam auf mich zu, um mich erneut in die Arme zu nehmen. Carlos schritt zu Xavier und umarmte auch ihn. Xavier und ich verspannten uns ;wir mochten es nicht, umarmt zu werden.
"Es ist unfassbar", murmelte Carlos, als er sich von Xavier löste und die Positionen wechselten. "Ich stand mit ein paar Leuten am Tisch, hatte Spaß, wurde dann von jemandem geholt, der behauptete, meine Frau sei in Gefahr. Als ich ihm folgte, fand ich eine Frau und meine Frau neben unserem toten Sicherheitschef am Boden. Dann erfuhr ich, dass sie die Kinder von Alison und Armando nicht nur am Leben, sondern auch meine Frau gerettet hatten... Ich kann es nicht begreifen", flüsterte Carlos in mein Ohr.
Carlos ließ mich los. "Wir müssen ihn verschwinden lassen", sagte Xavier, während er mit dem Fuß gegen den toten Sicherheitschef trat. "Ein guter Sicherheitschef, der seine eigenen Leute vergewaltigt."
Carlos nickte und zog sein Handy aus der Hosentasche. María sah uns besorgt an. "Bitte, erzählt niemandem davon."
Wir nickten. Verständlich, dass sie nicht wollte, dass jemand davon erfuhr. Die größte Mafia von Mexiko, die große Teile der USA kontrollierte, konnte sich so etwas nicht erlauben. "Wir verschwinden von hier", erklärte ich unseren Abgang.
"Wie können wir euch erreichen?", fragte María fast panisch.
Xavier zog eine kleine schwarze Karte aus seinem Jackett, auf der vorne zwei geschwungene X eingraviert waren und hinten nur eine Nummer stand, und gab sie ihr. Dass dies eigentlich die Karte war, die wir unseren Klienten gaben, war jetzt zweitrangig.
Mein Bruder und ich verließen das Schilf und kehrten zur Party zurück. "Wie sieht es mit unserem Ziel aus? Was ist mit ihm passiert?" fragte ich.
Xavier seufzte und schüttelte den Kopf. "Leider ist er an seinem Essen erstickt. Der arme Kerl hätte nicht so gierig sein sollen", erklärte er mit einem Hauch von Bedauern.
Ein trauriges Lächeln huschte über meine Lippen. "Ja, wirklich tragisch."
Als wir aus dem Haus herauskamen, wartete bereits der Valet, um unser Auto vorzufahren. Wenig später stand der luxuriöse Königseck vor uns. Als ich zur Fahrerseite eilte, beeilte sich der Bedienstete, um mir die Tür zu öffnen. Ich lächelte ihm dankbar zu und stieg ein, wobei ich darauf achtete, dass der Schlitz meines Kleides etwas mehr freigab als gewöhnlich.
Ein leichtes Erröten überzog das Gesicht des jungen Mannes, der vermutlich in unserem Alter war. Mit einem amüsierten Lachen schloss ich die Tür und startete den Motor. "Es ist immer wieder ein Vergnügen", kommentierte mein Bruder neben mir.
"Absolut", stimmte ich ihm zu und lenkte den Wagen vom Veranstaltungsort weg. Die Begegnung mit den Freunden unserer verstorbenen Familie würde vorerst in den Hintergrund treten müssen. Außerhalb unserer eigenen vier Wände würden wir über nichts Privates sprechen.
Mit einem Gefühl der Erleichterung und zugleich der Anspannung machten wir uns auf den Heimweg. Unser Abend hatte sich in eine unerwartete Richtung entwickelt, doch unsere Professionalität und die Notwendigkeit, unsere Identität zu wahren, hatten uns durch diese unvorhergesehenen Ereignisse geführt.
Als wir durch die dunklen Straßen der Stadt fuhren, herrschte eine angespannte Stille im Auto. Die Gedanken kreisten in meinem Kopf, während ich den Weg nach Hause lenkte. Was als einfacher Auftrag begonnen hatte, war zu einer unerwarteten Begegnung mit unserer Vergangenheit geworden.
Xavier saß ruhig neben mir, doch ich spürte seine Anspannung. Unsere Blicke trafen sich und ich konnte die Entschlossenheit in seinen Augen sehen. Unsere Loyalität zueinander war unerschütterlich, und wir wussten, dass wir uns immer aufeinander verlassen konnten.
Als wir schließlich unser Apartment erreichten, war die Nacht bereits weit fortgeschritten. Wir betraten das Gebäude und stiegen in den Aufzug, der uns in unsere Etage brachte. Die Tür zu unserem Apartment öffnete sich geräuschlos, und wir betraten den vertrauten Raum, der uns seit Jahren Zuflucht bot.
Xavier ließ sich auf die Couch fallen und lehnte sich zurück, während ich mich an den Küchentresen lehnte und über die Ereignisse des Abends nachdachte. Es war seltsam, wie das Leben manchmal spielte – selbst in unserer Welt, die von Gewalt und Verrat geprägt war, konnten wir immer noch auf unerwartete Wendungen stoßen.
Doch egal, was die Zukunft bringen mochte, wir würden zusammenhalten und einander schützen, koste es, was es wolle. Denn am Ende des Tages waren wir mehr als nur Geschwister – wir waren Partner in Crime, und nichts und niemand konnte uns trennen.
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Diez de Bonilla
Acción**Klappentext:** In einer Welt voller Dunkelheit und Verzweiflung, wo Familie zu Fremden wird und Rache die einzige Währung ist, stehen Xaviera und ihr Zwillingsbruder Xavier allein gegen die Abgründe der Menschheit. Getrieben von einem unstillbaren...