Die ruhige Zuhörerin

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Für mich ist es kaum zu vermeiden, aber ich habe Herbert Grönemeyer im Ohr, Bochum, Chaos - obwohl nichts davon mich umgibt. Hier, auf der Halde Hoheward fühle ich mich wie auf einem urzeitlichen Hügel, einer glazialen Moräne eventuell, inmitten einer ansonsten flachen Landschaft. Ich vergesse, dass der Hügel aus fast zweihundert Millionen Tonnen Bergmaterial aufgeschüttet wurde, denn diese Halde war damals, zur Zeit des Kohleabbaus und der gesamten Industrialisierung, ein "Müllberg", der mittlerweile komplett begrünt wurde und eine Sehenswürdigkeit und die städtische Naherholungszone ist. Wir laufen einen der vielen Wege auf die gewaltige Skulptur zu, die sich mitten auf der Halde befindet. Je näher wir kommen, desto dicker werden die Stränge, die diese zwei ineinander verschlungenen Kreise darstellen. Es pfeift in unterschiedlichen Tönen, wenn der Wind durch das Horizontobservatorium fährt.

Es beeindruckt mich immer wieder, wozu wir Menschen fähig wären, würden wir mehr Zeit in die Kreativität als in sinnlose Kämpfe und Zerstörung investieren. Der Sonnenuntergang zwischen den gewaltigen Stahlbogen ist atemberaubend. Die beiden Notstützen, die den Äquatorbogen zur Sicherheit fixieren, wirken wie gewaltige Krücken und passen wunderbar zu meiner Gesprächspartnerin ChaosMary, die, im abgesenkten Forum stehend, die untergehende Sonne betrachtet. Sie ist wenig größer als ich, ihr blondes Haar schimmert golden.

"Wunderschön! Danke, dass du mir das zeigst", begrüße ich sie.

Mary dreht sich um und lächelt. "Hi, Chris. Ja, ich liebe es, hier oben zu stehen."

"Hier könnte man sicher auch gut schreiben."

Mary nickt zur Bestätigung. "Leider schreibe ich momentan für mich selbst viel zu wenig. Durch das 3-Schichtsystem in dem ich arbeite, fehlt mir oft die Zeit, mich wirklich hinter meinen Laptop aufs Sofa zu setzen und anzufangen zu schreiben. In meinem Kopf spuken viel zu viele Ideen herum, die ich gerne verschriftlichen würde.

Früher habe ich einfach drauf losgeschrieben und geschaut, wohin mich die Charaktere führen werden. Mich hat es selbst gewundert, dass sich die Story oftmals selbst aufgelöst hat, als hätte sie ein Eigenleben.

Meinen Thriller 'Sentenced - The last day'habe ich beispielsweise angefangen zu schreiben und wusste selbst erst ab der Hälfte, wer nun wirklich der Mörder war, der in der Handlung gesucht wurde.

Mittlerweile bin ich aber dazu übergegangen, die grobe Struktur einer Geschichte zu plotten. Das hat mir beim Ausschreiben dann viel mehr Rückhalt gegeben, weil ich keine Angst mehr hatte, mich irgendwo zu verrennen.

Von diesen Plots schlummern einige in den Entwürfen und vielleicht werden sie irgendwann ja wirklich ausformuliert."

"Früher? Ist das lange her?" In Gedanken füge ich an, dass es nicht sehr lange her sein kann, denn Mary ist wahrscheinlich gerade mal halb so alt wie ich.

"Ich habe vor etwas mehr als zehn Jahren mit dem Schreiben angefangen. Damals war ich ein absoluter Fan der Edelsteintrilogie von Kerstin Gier gewesen. Ich habe alle drei Bücher an drei aufeinanderfolgenden Tagen verschlungen. Als ich damit fertig war, konnte ich mich nicht von den Charakteren und dieser tollen Welt trennen, die sie erschaffen hatte. Daher habe ich aus Spaß angefangen, eine Fortsetzung mit dem kreativen Namen "Bernsteingold" zu schreiben. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass es viel mehr Spaß macht, mit eigenen Charakteren zu schreiben und sich nicht an bereits vorgegebenen Charakterzügen orientieren zu müssen.

Daraufhin entstand fast zeitgleich meine erste eigene Geschichte mit Mary als Protagonistin. Die Geschichte mit ihr heißt 'Sacrifice - Don't touch her' und ist nach einer gründlichen Überarbeitung auch heute noch auf Wattpad zu finden. Meine erste Fanfiction 'Bernsteingold' hingegen ist irgendwo auf meinem Laptop vorhanden, aber meilenweit davon entfernt, mal irgendwo Tageslicht zu sehen."

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