Kapitel 1

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„Liora?" frage ich irritiert. „Ja, sie wird bis auf unbestimmte Zeit bei uns wohnen." erklärt Ben. Ich kenne mich noch immer nicht aus. Wer ist Liora? Ist das Ben's Tochter, Schwester oder vielleicht doch seine Nichte? In welcher Verbindung stehen die alle miteinander? Unsicher stehe ich mitten im Esszimmer uns starre Liora an.

„Tiana?" höre ich leise, doch ich reagiere nicht. Plötzlich legt sich eine Hand auf meine Schulter und dreht mich leicht um. „Komm mal kurz mit." sagt Alex und schiebt mich in Richtung Küche. „Wer ist sie?" frage ich noch immer verwundert und auch überfordert. „Liora hatte einen Autounfall. Ihre Eltern sind sehr schwer verletzt. Sie redet nicht viel und steht unter Schock. Liora vertraut niemanden, außer Ben. Aus irgendeinem Grund schafft es Ben zu ihr durchzudringen und sie wieder zum Essen und Trinken zu bewegen. Daraufhin hat er beschlossen, sie hier aufzunehmen, bis es ihren Eltern wieder besser geht und aus dem Krankenhaus entlassen werden kann. Allerdings kann man noch nicht sagen, wann das sein wird. Es sieht nicht sonderlich gut aus." erklärt mir mein Bruder. „Bitte sei also so liebt, und sei nett zu ihr. Wenn sie irgendwo Hilfe braucht, dann hilf ihr. Sie macht gerade eine sehr schwere Zeit durch und wir wollen ihr alle beiseite stehen." sagt er. Noch immer etwas verwirrt nicke ich leicht.

Ich habe nichts gegen Liora. Ich kann sie sogar verstehen, wie schwer das alles für sie gerade sein muss. Als ich meine Mama verloren habe, war ich noch sehr jung und habe ihren Tod nicht wirklich verstanden. Niemand hat mich damals wirklich unterstützt. Klar gab es die Polizisten, die mich damals gefunden haben im Badezimmer neben meiner toten Mutter, aber trotzdem konnte ich damals nicht verstehen, dass meine Mama nie wieder zurückkommen wird. Mein Vater wurde von heute auf morgen zum Schläger. Er hat angefangen sich jeden Tag zu betrinken. Überall standen immer leere Alkoholflaschen. Früher konnte ich sein Verhalten nicht nachvollziehen, wie denn auch. Ich war ein kleines Mädchen, dass von der dunklen Seite dieser Welt nichts wusste. Mein Vater konnte den emotionalen Schmerz nicht aushalten und musste ihn in anderer Weise ertrinken. Nur war das leider der falsche Weg. Er hätte niemals zum Alkohol greifen dürfen.

Mein Vater wurde von Jahr zu Jahr immer brutaler. Anfangs war es nur hin und wieder eine Backpfeife oder er hat mich an den Haaren gezogen. Doch als ich älter wurde, wurde er auch immer aggressiver und handgreiflicher. Martin hat mich oft so sehr verprügelt, dass mein kompletter Körper grün und blau war. Nicht selten wurde ich von seinen brutalen Schlägen bewusstlos. Er hat mich auch oft in den Keller gesperrt, als ihn meine Anwesenheit zu viel wurde, obwohl ich mich meistens in meinem Zimmer verkrochen habe. Aber anscheinend hat es schon gereicht, wenn wir dieselbe Luft eingeatmet haben. Trotzdem muss ich sagen, dass ich ihm auch etwas dankbar bin. Ohne ihn hätte ich nicht gewusst, wie ich hätte überleben sollen. Martin hat mir immer mein Insulin gebracht und trotz der ganzen Umstände, durfte ich immer zur Schule gehen.

„Tia, alles in Ordnung?" fragt Alexander besorgt. Schnell nicke ich und verdränge die Gedanken an meinem Vater. „Ja, alles gut. Darf ich wieder hochgehen? Ich habe keinen Hunger." frage ich in der Hoffnung, dass ich mich wirklich in meinem Zimmer verkriechen kann. Ich will gerade einfach nur alleine sein. „Du hast wirklich keinen Hunger? Oder ist es, weil Liora hier ist?" fragt er nochmal genauer nach. „Ich habe wirklich keinen Hunger, Alex." meine ich, obwohl er eigentlich auch recht hat. Liora erinnert mich ungewollt an meine Vergangenheit, weswegen mir der Appetit vergangen ist. „Na gut, dann geh hoch. Aber, Tia, wenn irgendetwas ist, dann komm zu uns. Wir sind immer für dich da und nur weil es jetzt Liora gibt, die hier auch wohnt, heißt das nicht, dass wir dich vergessen oder weniger lieb haben. Du bist und bleibst immer ein wichtiger Teil in unserem Leben, vor allem in meinem." meint Alex. Schnell umarme ich ihn. Mein Bruder gibt mir einen Kuss auf den Scheitel. Danach verschwinde ich auch schon nach oben in mein Zimmer.

Ich widme mich wieder meiner Zeichnung, dich ich vorhin schon begonnen hatte. Zeichnen hilft mir einfach meine Gedanken zu sortieren und über alles nachzudenken. Mir schwirren gerade so viele verschiedene Gedanken durch den Kopf.

Warum wurde ich nicht gefragt, ob es für mich in Ordnung ist, dass Liora hier einzieht? Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll. Ich meine, ich bin jetzt nicht mehr die Jüngste hier und vielleicht gewinne ich so wieder etwas mehr Freiheit. Seit ich abgehauen bin, achten alle hier im Haus sehr genau darauf, was ich mache und vor allem wo ich bin. Wenn ich irgendwo hin will, muss ich zuerst fragen und auch immer die Uhrzeit sagen, wann ich wieder zu Hause bin. Meistens darf ich auch nur noch bis 20:00 Uhr draußen sein. Ich kann sie zwar verstehen, trotzdem nervt mich ihr Verhalten.

Vielleicht ändert sich das ja jetzt wieder durch Liora. Aber ich habe genauso Angst, dass sie mich vielleicht komplett vergessen werden, da sie so fokussiert auf dieses Mädchen sein werden. Das will ich natürlich auch nicht.

Und was wird passieren, wenn ihre Eltern nicht mehr gesund werden? Alex meinte vorhin, dass es nicht sehr gut aussehe. Wird Liora dann immer hier wohnen? Will ich das? Auf der anderen Seite finde ich es auch cool quasi eine kleine Schwester zu bekommen. Es sind einfach zu viele Gedanken. Um diese loszuwerden, stecke ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und schalte die Musik auf die höchste Lautstärke an. Die Gedanken werden von der lauten Musik übertönt und so kann ich mich wieder auf mein Bild konzentrieren.

Irgendwann klopft es an meiner Tür, was ich jedoch nicht höre, da ich noch immer Musik höre. Alexander kommt hinein und legt mir von hinten die Hand auf die Schulter. Erschrocken fahre ich herum. Mein Herz rast. Was muss mich Alex auch so erschrecken? Ich nehme meine Kopfhörer aus den Ohren und blicke ihn fragend an. „Was machst du hier und warum erschreckst du mich so?" frage ich mit pochendem Herzen. „Wie laut hörst du denn Musik? Du weißt, dass das nicht gut für deine Ohren ist." mein Alex ernst, weshalb ich nur meine Augen verdrehe. Der soll sich mal nicht so haben. „Ich wollte eigentlich nur mal nach dir sehen, da du schon seit Stunden in deinem Zimmer sitzt und dich nicht blicken lässt." meint mein großer Bruder. Sein Verhalten lässt mich erneut die Augen verdrehen. Genau das meinte ich vorhin. Vor allem Alex ist die ganze Zeit besorgt, dass wieder etwas ähnliches, wie vor ein paar Monaten, als ich verschwunden bin, passiert.

„Es ist alles gut." antworte ich ihm. „Sehr schön. Ich will aber nicht haben, dass du den ganzen Tag hier herinnen hockst, obwohl draußen die Sonne scheint. Also zieh dich an." sagt er. Verwirrt blicke ich ihn an. „Warum?" frage ich irritiert nach. „Wirst du schon sehen. Also los, zieh dir etwas anderes an." Ich mache das, was Alex von mir will und ziehe mir schnell etwas anderes an. Ich trage nun eine baggy Jeans und ein normales Top.

Als ich die Treppen hinunterkomme, sehe ich schon meinen Bruder unten stehen

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Als ich die Treppen hinunterkomme, sehe ich schon meinen Bruder unten stehen. Er wartet bereits auf mich. Ich würde nur zu gerne wissen, was er mit mir vor hat.

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