Kapitel 2

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Nach einer halben Stunde Fahrt halten wir an einem Parkplatz an. „Wo sind wir hier?" frage ich etwas genervt. Ich will wieder nach Hause. „Da vorne ist ein See. Wir holen uns jetzt ein Eis und dann suchen wir uns einen schönen Platz, wo wir uns hinsetzen und reden können." sagt Alexander. „Warum willst du reden?" hinterfrage ich misstrauisch. Ich habe echt keine Ahnung, weshalb er mit mir reden möchte. Es hört sich verdächtig nach einem ernsten Gespräch an. Eigentlich führt mein Bruder mit mir nur solche Gespräche, wenn ich etwas angestellt habe, aber ich kann mich wirklich nicht an eine Situation in der letzten Zeit erinnern, wo etwas vorgefallen wäre. Außerdem hätten wir ja auch zu Hause miteinander reden können. Man muss nicht unbedingt irgendwo hinfahren, um sich zu unterhalten. „Ich will mich einfach mal mit dir unterhalten. Was stört dich denn daran so sehr?" Alex hat seinen skeptischen Blick aufgesetzt. „Nichts. Alles gut."

Wir steigen aus und laufen zu dem nahegelegenen See. Direkt daneben gibt es auch einen Eissalon. „Welche Eissorte willst du?" fragt Alex. Das ist eine gute Frage. Bin ich die Einzige, die immer ewig braucht, um sich zu entscheiden, welche Kugel Eis sie will? „Ehm ... eine Kugel Himbeere." meine ich schließlich, woraufhin er nickt. Auch Alex bestellt sich eine Kugel Joghurt und eine Kugel Apfel. Mit unserem Eis in der Hand, gehen wir den See entlang, bis wir uns an einem schönen Platz niederlassen. Wir sitzen in zwei gemütliche Sessel, schlecken unser Eis und genießen die schöne Aussicht auf den See.

Nach einer Weile bricht Alex die Stille. „Tia, wie geht es dir?" fragt er ruhig und sieht mich an. „Gut." antworte ich meine Standardantwort auf diese Frage. Mein Blick ist weiterhin in Richtung See gerichtet. „Und jetzt die Wahrheit bitte. Ich sehe doch, dass du die ganze Zeit schon so nachdenklich und in dich gekehrt bist. Was bedrückt dich?" redet Alex besorgt. Nun blicke ich ihn an. Er macht sich wirklich Sorgen. Man kann es in seinen Augen sehen.

Lange Zeit sage ich nichts, sondern starre einfach nur vor mich hin. Alex lässt mir die Zeit, die ich brauche, und drängt mich zu keiner Antwort. „Es ist nur so, dass ich nichts gegen Liora habe, aber ... ich weiß auch nicht. Sie ist jetzt bei uns und was passiert, wenn ihre Eltern nicht gesund werden. Ich habe einfach so viele Gedanken und weiß nicht, was ich von all dem halten soll." erkläre ich meinem Bruder die momentane Lage, wie ich mich fühle. Ich bezweifle allerdings, ob er mich wirklich verstanden hat. „Hör zu, Kleine. Ich weiß, dass das auch für dich eine große Umstellung ist. Wir wissen nicht, wie lange Liora bei uns bleiben wird. Ich habe vorhin die Nachricht erhalten, dass es ihre Mutter nicht geschafft hat. Liora's Vater liegt im Koma. Man weiß nicht, ob und wann er aufwacht. Also müssen wir wahrscheinlich damit rechnen, dass Liora etwas länger bei uns bleiben wird." spricht Alex und sieht mich an, während ich meinen Blick wieder auf meine Hände richte.

Jetzt fühle ich mich irgendwie noch schlechter, weil es ihren Eltern wirklich nicht gut geht und es sein kann, dass sie sogar beide Elternteile verliert. Trotzdem will ich irgendwie, dass Liora wieder verschwindet. Es verändert sich einfach alles, indem sie da ist und das will ich nicht wirklich. Ich mag nicht, dass sich alle nur noch um Liora kümmern und mich dabei vergessen. Aber gleichzeitig möchte ich auch mehr Freiraum haben und so würde ich diesen gewinnen. Außerdem finde ich es eigentlich auch schön eine Art „kleine Schwester" zu haben. Bis jetzt habe ich aber auch noch kein einziges Wort mit Liora gesprochen. Wer weiß, ob sie mich überhaupt leiden kann, oder ich sie. Es ist einfach so kompliziert.

„Aber ich kann dir versprechen, dass du für mich immer das Wichtigste sein wirst. Ich bin für dich da. Immer. Egal, ob jetzt Liora hier ist oder nicht. Du kannst immer zu mir kommen, hörst du?!" hängt Alex noch an.

Eine Weile sitzen wir noch so da und reden über die jetzige Situation in der WG. Irgendwie habe ich noch immer ein komisches Gefühl. Ich hoffe, dass das nur so ist, weil Liora noch nicht lange bei uns ist und dass sich das mit der Zeit ändert. „Du Alex?" frage ich vorsichtig. „Ja?" Sofort liegt Alex' Blick wieder auf mir und schenkt mir seine ganze Aufmerksamkeit. „Darf ich eigentlich wieder mit dem Fußball spielen anfangen?" frage ich. Ich habe echt sehr gerne gespielt, auch wenn ich nicht sehr lange dabei war. Fußball macht echt Spaß und es ist ein Hobby, was ich wirklich sehr gerne ausübe. Ich mag diese Sportart wirklich. Auch die Mädels, die ich im Verein kennenlernen durfte, waren alle super nett zu mir und haben mich damals freundlich aufgenommen.

„Na klar darfst du. Wir können ja morgen mal bei der Trainerin anrufen oder zum Trainingsplatz hinfahren und nachfragen, ob das alles möglich ist. Was hältst du davon?" sagt Alex. Sofort bildet sich auf meinem Gesicht ein fettes Grinsen. „Danke!" sage ich voller Freude und falle Alexander um den Hals.

Alex und ich genießen beide noch den wundervollen Sonnenuntergang. Ich genieße die Zeit mit meinem Bruder gerade sehr. Oft ist er viel arbeiten. Wobei ich sagen muss, seit ich wieder von Vanessa zurück bin, nimmt sich Alex mehr Zeit für mich und arbeitet demnach auch weniger. Irgendwie hatte alles, was passiert ist, auch so sein Gutes.

Mit Vanessa habe ich hin und wieder noch Kontakt. Ich bin ihr wirklich für alles so dankbar und zum Glück konnte ich Alex und die Anderen davon überzeugen, dass sie keinen Ärger dafür bekommt, dass sie mich aufgenommen hat. Vanessa hat es schließlich nur gut gemeint. Alex konnte Vanessa sogar zu einem richtigen Job verhelfen, sodass sie jetzt nicht mehr als Stripperin arbeiten muss. Wir beide sind zu guten Freundinnen geworden.

Sobald die Sonne weg ist, wird es frisch und ich spüre die Gänsehaut am ganzen Körper. „Ist dir kalt? Willst du meinen Pulli haben?" fragt mein großer Bruder sofort, als ich mich versuche mit meinen Händen aufzuwärmen. „Nein, schon gut. Sonst wird es dir kalt." sage ich leicht lächelnd. Ohne auf meine Worte zu hören, zieht Alex seinen kuschligen Pulli aus und stülpt ihn mir über. Ich fädle meine Hände durch die Ärmel, sodass er richtig sitzt. „Danke!" murmle ich. „Wollen wir langsam wieder nach Hause fahren?" Ich nicke als Antwort nur. Wir sind echt schon lange hier.

Wieder zu Hause angekommen, rufen uns die Anderen gleich zum Essen. Alex und ich ziehen unsere Schuhe aus und gehen danach ins Esszimmer, wo schon der Tisch gedeckt ist. Gerade als wir uns setzen, bringt Levin das Essen von der Küche ins Esszimmer. „Was gibt es?" fragt mein Bruder die anderen. „Hähnchen mit Gemüse und Kartoffeln." antwortet Ben und gibt Liora etwas auf den Teller, bevor er auch mit etwas auf den Teller gibt. Sofort verzerre ich mein Gesicht, als ich das ganze Gemüse sehe. Ich bin absolut kein Fan von Gemüse. „Guck nicht so. Das schmeckt gut." meint Levin lachend.

„Kann ich hochgehen?" frage ich nach einer Weile. Ich bin fertig, auch wenn noch mein halber Teller voll ist, hauptsächlich mit Gemüse. „Nein, du wartest, bis alle fertig sind." antwortet Alex sofort. „Iss doch bitte noch etwas von dem Gemüse. Hast du das überhaupt angerührt?" sagt nun wieder Levin. „Ja, klar." antworte ich schnell, etwas zu schnell. Ich spüre die Blicke von allen Anwesenden auf mir. „Ich mag das halt einfach nicht." meine ich mürrisch. „Tiana, ich glaube wir müssen dir nicht erklären, dass es wichtig ist, eine ausgewogene Ernährung zu führen. Du isst eh schon viel zu wenig gesunde Lebensmittel." sagt wieder Levin. „Na und. Schau doch auf deine Ernährung und nicht auf meine." antworte ich zickig. „Tiana! Rede nicht so." meint mein Bruder mit strengem Blick. „Tut mir leid." entschuldige ich mich, bevor ich noch mehr Ärger bekomme.

Das restliche Abendessen sage ich nichts mehr, sondern starre nur vor mich hin. Liora hat doch auch fast nichts gegessen und bei ihr ist das natürlich nicht so schlimm wie bei mir. Wo ist da bitte ein Unterschied? Klar, geht es ihren Eltern schlecht, aber warum verhält man sich ihr gegenüber dann so, wie wenn sie aus Porzellan wäre. Das bringt schließlich ihre Mutter nicht ins Leben zurück und ihrem Vater ist dadurch auch nicht geholfen. Ich glaube man merkt gerade, dass ich sehr genervt bin, was wahrscheinlich von der Müdigkeit kommt. Ich fühle mich so als, würde ich jeden Moment gleich einschlafen.

Twisted Life 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt