Kapitel 5

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Da war wieder diese Stimme. Diese Stimme, die ich schon vorher im Raum gehört hatte. Diese tiefe, unheimliche Stimme, die ich an meinem ganzen Körper spürte. Es fühlte sich so an, als ob ein kühler Wind unter meine Kleidung fahren würde und mich frösteln ließ. Dieses unangenehme, beklemmende Gefühl wollte mich einfach nicht loslassen. Es schien an mir festzukleben, mich nicht mehr loszulassen.

Die Stimme begrüßte uns, hieß uns alle erneut im Spiel willkommen.
Nun ging es wirklich los. Ich konnte es spüren.
Während ich mit meinem Blick über den Platz schweifen schaute ich auch in die Gesichter der anderen. Sie schienen ebenfalls nach einem Lautsprecher und dem Ursprung des Tones zu suchen.
Fast alle Gesichter waren mit erkennbarer Furcht und Angst überzogen. Keiner von ihnen fühlte sich gerade wohl hier. Alles war fremd und unheimlich. Unheimlich friedlich. Es sah hier so normal aus und das beunruhigte mich.
Diese Umgebung passte einfach nicht in das Geschehen. Da war diese brutale Entführung von einem Typen, der mich am Liebsten umgebracht hätte und dieser dunkle Raum voller Gas. Und dann kam das hier. Ein friedliches kleines Dorf, in dem jeder sein eigenes Haus hatte.
Das ergibt doch keinen Sinn.

„Das hier ist unser Dorfplatz." fuhr die Stimme fort. „Hier werdet ihr euch jeden Morgen treffen und über das Geschehen der vergangenen Nacht aufgeklärt. Danach wird eine Abstimmung stattfinden."
Geschehen, Abstimmung? Was ist hier los?
In meinem Kopf begann es zu rattern, ich versuchte all die Informationen zu verarbeiten, sie zu ordnen, damit sie irgendeinen Sinn ergaben. Doch es schien, als wären es nur einzelne Puzzleteile des Gesamtbildes. Und keines dieser Puzzleteil fügte sich an das andere, sie lagen einfach nur da und warteten darauf, dass man sie zusammenführte.
Es schien mir, als würden sie mich anschreien, ihren Platz verraten, doch das Gewirr aus Stimmen konnte ich nicht auseinanderhalten. Ich konnte nicht verstehen, welches Teil wohin wollte. Da war nur dieses vermischte Geschrei, das immer lauter in meinem Kopf wurde und mir Kopfschmerzen bereitete.
Es war so, als würde mich das Alles hier verrückt machen, mir meine letzten Nerven rauben. Ich hatte kaum noch Energie, konnte das laute Gewirr in meinem Kopf nicht zum Schweigen bringen und hatte Mühe, die nächsten Worte der Stimme zu verstehen.
Sie meinte, wir hätten alle unsere Rollen bekommen, wies nochmals darauf hin, dass wir sie unter keinen Umständen verraten durften, außer...

Ich stockte. Alle blickten zu mir. Auf das Leuchten an meinem Arm.
Ich fühlte mich verloren, eingeengt von den vielen Blicken.
Die Reine Seele, meine Rolle, war die einzige Karte, die offen lag. Von der alle wussten, wer sie war.
Verlegen rieb ich meine Hände, versuchte nicht zu verloren zu wirken. Doch auch wenn kein grelles Scheinwerferlicht auf mich gerichtet war, blickte mich jeder einzelne an. Sie schienen mich von oben bis unten zu betrachten, mich einzuschätzen, zu beurteilen.
Das Geschrei in meinem Kopf war verstummt. Es war unglaublich leise in meinen Gedanken. Unheimlich leise.
Erst als die Stimme weiter sprach, wendeten die ersten ihre Blicke wieder von mir ab, auch wenn mich einige vereinzelte Personen noch länger betrachteten.
Erneut betonte sie, dass die Rollen geheim gehalten werden müssten und jeder, der sich nicht daran hält, würde augenblicklich disqualifiziert werden. In diesem Moment stellte ich mir erneut die Frage, was das bedeutete. Disqualifiziert.
Egal was es war, ich wollte nicht diejenige sein, die es herausfand. Auch wenn der Gedanke, dass es einfach nur bedeutete, dass man aus dem Spiel ausgeschlossen werden würde und dann nach Hause gehen dürfte, sehr verlockend war, so war ich mir sicher, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es wirklich so war, eher geringer war. Andere Möglichkeiten wollte ich mir überhaupt nicht vorstellen.
Im Bezug auf das, was ich bisher mit diesem Spiel verband, Entführung und Gas, gab es eine Vielzahl an Dingen, die dann auf mich zukommen könnten.
Und diese Dinge wollte ich möglichst vermeiden. Außerdem war ich sowieso nicht in der Lage, meine Rolle zu verraten, immerhin spielte ich mit offenen Karten. Oder hier mit einer offenen Rolle. Jeder wusste, was ich war und so konnte ich es auch keinem heimlich erzählen und somit die Regel brechen.
Und mit Regeln ging es auch weiter.

Werwolf - Das Spiel beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt