Kapitel 8

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Ein Körper, ein Mädchen. Blut, sehr viel Blut. Leere Augen, erblasst und ohne Leben darin. Angst, Schuld, ein Berg aus Gefühlen, Überforderung.

Ich wollte meine Augen von ihr abwenden, sie nicht mehr sehen, doch ich konnte nicht. Ich wollte weg rennen, weg von all dem hier, doch ich konnte nicht.
Starr stand ich dar, war nicht in der Lage irgendwas zu machen. Sie lag dort. Dort auf dem kahlen Stein, umhüllt von der morgendlichen Kälte in der Luft.
Ich zitterte. Mir war kalt, gleichzeitig schien es mir, als würde ich inmitten lodernder Flammen stehen, die mich wie ein gieriges Tier verschlangen.
Ich kannte sie. Am Tag zuvor hatte ich sie auf dem Platz gesehen. Die Angst in ihren Augen, die Unsicherheit in ihrer Haltung, daran konnte ich mich in diesem Moment erinnern.
Und dann kam mir ihr Gesicht noch anderes bekannt vor.
Der Traum. Das war ganz sicher sie dort auf dem Boden.
Ich hatte sie umgebracht. Ein fremder, nicht kontrollierbarer Teil von mir hatte sie umgebracht.
Dennoch war ich für ihren Tod verantwortlich. Ich hatte gesehen, wie sie starb.
Warum? Warum ich? Bin ich doch nicht die Reine Seele? Bin ich vielleicht doch die schlimmste von allen? Warum? Oder war es doch nur eine Vision? Wie kann das sein? Was geht hier vor?

Gedanken schossen durch meinen Kopf, schlugen mit Möglichkeiten um sich. Ich kam mit der Situation nicht klar, wollte einfach nur heraus. Heraus aus dieser Runde, heraus aus diesem Ort, heraus aus diesem Spiel.
Nun wusste ich, dass es nicht nur ein harmloses Rollenspiel war. Auch wenn ich es kaum wahrhaben wollte, hatte sich die unheimliche Befürchtung in mir bestätigt. Es war real. Die Angst, die Unsicherheit, das Gefühl, dass etwas bevorsteht, der Hass, den ich bei dem Mann gespürt hatte, der mich mitnahm. Einfach all das, was ich versuchte herunterzuspielen, war nicht so ungefährlich, wie ich versucht hatte, mir einzureden. Nicht so harmlos, wie ich es mir gewünscht hatte.

Der Tod war in diesem Moment plötzlich spürbar nah. Als müsste ich nur meine Hand ausstrecken und schon könnte ich ihn fassen. Dieses Grauen, dieser Schrecken.

"Willkommen." Bei dem Geräusch der Stimme wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, zurückgeschleudert in diese grausame Realität. In einer Realität, in der ich neben einigen Anderen auf einem Platz bei einer Person stand, die brutal ermordet wurde. Ich wollte gerade einfach nur weg, mich in einer ruhigen Ecke verkriechen und erst wieder hervorkommen, wenn diese Situation vorüber wäre. Doch ich wusste, ich konnte nichts machen. Ich war hier gefangen und würde sterben. Der Tod würde auch mich einholen. Da war ich mir sicher.

"Alle von euch haben nun hergefunden und es haben sich vermutlich einige Fragen aufgetan. Was ist hier passiert? Warum ist sie tot? Wer hat das getan?... Es ist einfach. Die ersten Züge wurden gemacht. Die ersten Konsequenzen ergaben sich. Das erste Opfer der Wölfe wurde gewählt. Nun stehen sie neben euch. Die Werwölfe sind unter euch."
Es war erschreckend, in was für einer Ruhe und Kälte er das erzählen konnte. Jemand war gestorben und dennoch schien es ihn nicht wirklich zu interessieren.
Wie kann man nur so herzlos sein? Er ist bestimmt für alles verantwortlich. Er hat uns hierher bringen lassen, er hat sie umbringen lassen.
In mir entfachte sich plötzlich ein so unglaublicher Hass gegen die Person, der diese Stimme gehört.
Anfangs hatte ich noch den Gedanken, dass er vielleicht dazu gezwungen wurde, all diese Sachen zu sagen, doch in diesem Moment wurde er in meinem Kopf erstickt. Dieser Mann war sicherlich nicht unschuldig. Niemand konnte so unbeteiligt, so kalt gelassen davon sprechen, dass jemand wirklich gestorben war, wenn er nicht da mit drin hing.
Oder er war ein unglaublicher Psychopath. Obwohl er das vermutlich sowieso war, wenn er es anscheinend nicht bedenklich fand, dass ein Haufen Teenager entführt und dann hierher gebracht wurde. An einen Ort ohne sichtbare Mauern, aber dennoch verschlossen.
Ich wusste, dass ich hier nicht wegkam. Auch wenn die Freiheit in der Ferne beinahe greifbar nah schien, als müsste ich nur die Häuser hinter mir lassen und dann auf das Feld laufen, so wurde ich zurückgehalten. Von Angst, von Zweifel, von dem Wissen, dass die mich beobachten und aufhalten würden.

Werwolf - Das Spiel beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt