Kapitel 19

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Unsicher rieb ich meinen kalten Handrücken und suchte mit meinen Augen den Platz nach meinen Freunden ab. Yannik stand schräg hinter mir und beobachtete gerade eine Gruppe Jungs, die mit einem roten Ball einige Körbe warfen. Der Basketballkorb gegenüber der breiten Fußballtore, auf der anderen Seite des Springbrunnens.
"Du kannst ruhig dazu gehen." bemerkte ich und versuchte ihn anzulächeln. Yannik blickte zu mir, fixierte für einen kurzen Moment meine Augen und erwiderte dann: "Alles gut. Es geht sowieso gleich los." Ich nickte und ein kalter Schauer lief ungewollt meinen Rücken herunter.
Es geht bald los...

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie einige Personen zusammen den Platz betraten. Sofort richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die kleine Gruppe und erkannte, wie Emma, Nele, Penelope und Tabea sich suchend umsahen. Als sie mich entdeckten, beschleunigten sie ihren Gang und Nele winkte mir freudig zu. Auch Emma lächelte freundlich, doch als sie neben mich sah und Yannik entdeckte, verhärtete sich ihr Gesichtsausdruck. Penelope und Tabea gingen währenddessen etwas weiter hinten und unterhielten sich flüsternd.
Als sie näher kamen, bemerkte ich, dass Teile ihrer Kleidung, und bei einigen auch die Haare und das Gesicht, noch Spuren ihrer Aufräumaktion trugen. Das Mehl leuchtet beinahe auf ihrer schwarzen Kleidung und hob sie von den anderen Personen auf dem Platz ab.
Ich hätte zur Begrüßung gelächelt, hätte sich mein Inneres nicht so sehr zusammengezogen, dass mir schlecht wurde. Die Angst begann mich wieder wie eine hinterlistige Schlange zu umschlingen und wartete nur darauf, dass sie mich völlig verspeisen könnte.

"Alles gut? Du siehst so blass aus." fragte mich Emma besorgt und schob sich schützend zwischen Yannik und mich, als würde sie glauben, dass er eine Bedrohung für mich darstellen würde. Ich nickte stumm und bemerkte Yanniks Blick, der starr auf mir lag und sich förmlich in meine Seite bohrte.
"Wir mussten nur über etwas reden." murmelte ich und Emma schien sich mit der Antwort zufriedenzugeben, obwohl ich erwartet hatte, dass sie genauer informiert werden wollte. Doch sie blickte mich nur prüfend an und schaute dann wieder zu den anderen.
Nele klopfte sich gerade die dreckigen Hände an ihrer dunklen Hose ab, worauf man das Mehl nur noch besser erkennen konnte, was sie jedoch nicht störte. Einige Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und fielen ihr jetzt ins Gesicht, verstärkten diesen jungen, unschuldigen Ausdruck, den sie ausstrahlte.
"Du hast beim Putzen gefehlt. Die Küche sieht immer noch etwas wüst aus." bemerkte Emma, als sie meinem Blick folgte und verschränkte dann gespielt empört die Arme. Yannik trat augenblicklich einen Schritt nach vorne und verteidigte mich: "Meine Schuld. Ich musste wirklich dringend mit ihr sprechen." Er legte bestätigend eine Hand auf meine Schulter und ich zuckte überrascht leicht zusammen. Emma beäugte ihn misstrauisch und erwiderte dann kalt: "Schon okay. Ist nicht so schlimm." Sie konnte Yannik sichtlich nicht leiden und scheute sich auch nicht, ihm das zu zeigen. Doch dieser ließ sich davon nicht beeindrucken und strich langsam mit seinem Daumen über mein Schulterblatt. Von seiner Hand ging eine wohltuende Wärme aus, die nicht mit der eisigen Kälte in meinen Fingern verglichen werden konnte.
Emma schien seine Berührung jedoch nicht zu gefallen, doch bevor sie etwas sagen konnte, wurden die bisher überschaubaren Gespräche von dem unheimlichen Klang der Stimme überdeckt.
"Das Dorf hat sich für diesen Tag ein letztes Mal zusammengefunden. Die Nacht bricht langsam herein. Der Tag war lang und ihr müsst euch ausruhen. In zehn Minuten ist jeder von euch in seinem Haus. Wer noch draußen bleibt, könnte eine unschöne Überraschung erleben. Sobald ihr aufwacht, geht ihr ins Wohnzimmer und setzt die davor liegenden Kopfhörer auf. Dann wird euch gesagt, was ihr als Nächstes machen sollt. Ruht euch aus. Der morgige Tag wird nicht kürzer."

Zwar kannten wir die Ansage bereits, dennoch hatte ich vergessen, dass es am Abend immer die gleiche Aufgabe gab. Aber ich wollte nicht. Nicht schon wieder alleine sein.
Doch ich hatte keine Wahl. Ich musste mich dem Spiel beugen, wenn ich nicht auffallen wollte. Wenn ich nicht noch mehr Aufmerksamkeit bekommen wollte.
Also umarmte ich Emma, Nele, Penelope und Tabea zum Abschied und als sie sich umdrehten, um zu ihren Häusern zu gehen, auch Yannik. Er streckte mir erst förmlich die Hand entgegen, doch nach all dem, was er für mich tat, erachtete ich das als unpassend und schloss kurzerhand meine Arme um ihn. Etwas überrascht erwiderte er die Umarmung und strich mir dabei wieder sanft über den Rücken. Er wusste genau, dass mich das beruhigte.
"Danke für alles." nuschelte ich leise, drückte meinen Kopf etwas enger gegen seine Brust. "Gerne. Du schaffst das."
Wir lösten uns aus der Umarmung und ich blickte ihm in seine anziehenden Augen. "Es sind nur Träume." meinte Yannik und lächelte mir aufmunternd zu. "Nur Träume." wiederholte ich möglichst überzeugt und versuchte ebenfalls ein Lächeln aufzusetzen. Er nickte bestätigend und dieses zarte Schmunzeln auf seinen Lippen breitete in mir eine wohltuende Wärme aus.
"Bis morgen." Er drehte sich um und ging auf einen der Wege zu. "Bis morgen." hauchte ich leise und diese vorherige Kälte kletterte langsam wieder in meinen Körper, als ich ihm hinterher schaute.
Hoffentlich bis morgen. Bleib am Leben!

Werwolf - Das Spiel beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt