Kapitel 17

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Ein schmerzender Schrei. Angst. Dunkle Nacht.
Wie ein langer Schatten gleite ich einen Weg entlang, während meine Füße nicht ein Geräusch erzeugen. Es ist totenstill. Dann ein weiterer Schrei. Laut, erfüllt von Schmerz.
Ich komme auf den Platz. Dunkle Gestalten stehen in einem Kreis und schlagen abwechselnd auf etwas in ihrer Mitte ein. Schreie. Stille.
Sie drehen sich zu mir um, nicken respektvoll mit dem Kopf, gehen einen Schritt zurück. Ich laufe langsam zu ihnen. Sie senken ihre Blicke. Ich schaue in ihre Mitte. Drei zusammengekauerte Personen, blutverschmiert. Tiefe Wunden. Sie hocken vor mir, sehen mich an. Zwei Mädchen, ein Junge. Ich kenne sie. Sie sind mit mir hierher gekommen, haben mit mir Zeit verbracht.
Nele. Blonde Haare, grüne Augen. Noch so jung und erfüllt von Furcht. Emma. Braune Haare, blaue Augen. Erstickte Freude spiegelt sich darin, vermischt sich mit Schmerz. Yannik. Braune Haare, graugrüne Augen. Kein Funkeln ist mehr zu sehen, das Geheimnis ist verflogen.
Sie sind zerbrochen, haben Angst. Sie sehen keinen Ausweg mehr, können nicht mehr. Sie wissen, dass das hier das Ende ist. Der Tod beginnt sie zu umfassen.
Ich hebe meine Hand. Eine dunkle Waffe. Geladen, tödlich. Ich richte sie auf sie. Auf meine Freunde. Auf meinen letzten Funken Hoffnung.
Sie blicken mich an. Schmerzerfüllt, enttäuscht, hoffnungslos.
Die Stille weicht. Drei Schüsse. Schnell hintereinander. Tödlich. Sie kippen zur Seite. Leblose Körper. Blutüberströmt. Auf dem kalten Boden.
Sie liegen dort. Leere Gesichter starren vor sich hin. Ein tiefes Loch klafft in jedem ihrer Körper. Eine tödliche Wunde. Durch mich. Ich habe sie umgebracht. Ich bin für ihren Tod verantwortlich. Meine Freunde. Sie sind tot. Getötet durch meine Hand.
Ein Schrei. Stille.

Ich zuckte zusammen. Mein Atem raste. Viel zu schnell. Eine beängstigende Schwärze umhüllte mich, wollte mich schwer loslassen. Sie wich nur langsam, ließ nach und nach Licht zu mir hervordringen.
Ich habe sie umgebracht. Warum?
Ein tiefer Druck breitete sich in meiner Brust aus. Es fühlte sich so real an, so lebendig. Mein ganzer Körper zitterte, als die Bilder erneut meine Gedanken durchliefen. Die Gewalt, das Blut. Sie hatten mich so verletzt angeschaut. Ich hatte sie verraten, war ihnen in den Rücken gefallen. Getötet hatte ich sie. Einfach erschossen.
War es eine Erinnerung? Oder nur ein Traum? Aber warum sah es dann so echt aus? Habe ich sie wirklich getötet? Warum? Was ist hier los?
Panik stieg in mir auf, mein Sichtfeld war immer noch so verschwommen, dass ich nicht mehr als einige Flecken sah. Ich hatte Angst, blanke Angst. Vor dem, was ich getan hatte.

Plötzlich drangen Laute an mein Ohr, die nach und nach lauter wurden. Als wären diese Geräusche immer näher gekommen, bis sie schließlich neben mir schwebten und auf mich niederprasselten. Nicht mehr in meiner Gedankenblase.
"...Ava?...Hallo? Wach auf!" schrie eine tiefe Stimme und ich spürte, wie ein sanfter Druck auf meine Schulter gelegt wurde. Schrittweise drang mehr Licht zu mir hindurch und die undeutlichen Flecken begannen Gestalt anzunehmen. Die Farben wurden deutlicher, meine Sicht klarte allmählich auf. Doch trotz dessen blieb die Panik bestehen. Ich zitterte so stark, dass eine verschlingende Welle einen quälenden Schmerz durch meinen Körper schickte.

Ich wurde gepackt, ein Stück nach oben gezogen, sodass ich fast aufrecht saß. Dicht vor mir begann ein besorgtes Gesicht immer deutlicher zu werden und die aufgeregte Stimme sprach mich wieder an: "Was ist los? Komm, sprich mit mir!" In den Worten lag Furcht.
Yanniks Gesicht wurde immer klarer und ich konnte seine geschockten Augen unweit von mir entfernt im Licht schimmern sehen.
"Ava!" Ich zitterte immer noch, schaffte es nicht, meinen aufgewühlten Körper zu beruhigen.
Ich habe sie umgebracht! Sie waren tot!
Mein Blick streifte Yannik wiederholt von oben bis unten ab. Kein Blut. Er lebte!
Ich sog tief Luft in meine Lungen, versuchte herunterzufahren.
Das war alles nur ein Traum! Das war alles nur ein Traum!

Doch plötzlich sah ich für den Bruchteil einer Sekunde einen roten Fleck auf seiner Kleidung, ein tiefes Loch in seiner Brust. Blut triefte heraus, durchtränkte sein Oberteil. Für einen kurzen Augenblick war er so blass, wirkte nicht mehr lebendig. Tot. Erschossen. Durch mich.
Ein Ruck ging bei dem Bild durch meinen ganzen Körper. Es löste einen stechenden Druck aus, der mich umklammerte und nicht mehr losließ. Ich wandte mich unter den Schmerzen, wollte am liebsten brüllen, all das herauslassen, doch es fühlte sich an, als wäre mir die Kehle zugeschnürt worden.
Angst, Panik, Schuld, Schmerz. Sie vermischten sich, waren kaum noch voneinander zu unterscheiden.

Werwolf - Das Spiel beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt