„Okay... dann haben wir einen Bürgermeister." meinte das blonde Mädchen und setzte sich wieder. Unentschlossen klatschte ich einmal leise und augenblicklich stiegen einige andere Personen mit ein. Es war kein unglaublich lauter oder überzeugender Applaus, eher einer von einem Haufen Menschen, der gerade nicht wusste, was er machen sollte.
Noah, ein großer braunhaariger Junge, der nun verlegen grinste, hob dankend kurz die Hände, was auch den Letzten, der den Punkt, an dem man hätte aufhören sollen, verpasst hatte, verstummen ließ. Nun kehrte wieder eine bedrückende Stille ein, die nach einigen Augenblicken etwas unangenehm wurde. Alle blickten stumm umher, wussten nicht, was sie jetzt machen sollten. Die meisten blickten jedoch zu Noah, der zwischen uns allen stand und wie ein Baum herausragte. Wir saßen in einem Kreis am Boden und er musste sich in diesem Moment wie ein Kindergärtner fühlen, von dem seine ganze Gruppe erwartete, dass er endlich eine Geschichte erzählte.
„Ich verspreche euch, ich werde mich für unser Dorf einsetzen und die Mehrheit so gut es geht vertreten.".
Er spielt seine Rolle ja schon richtig gut.
Ich fühlte mich jedenfalls noch nicht so wie eine Reine Seele. Rein war ich nicht, das war niemand. Wir alle schliffen unser Häufen Schuld hinter uns her, von dem wir den anderen nur nichts erzählen wollten. Aber sie mussten es auch nicht wissen. Weshalb sollten sie wissen, was ich in meinem Leben bisher schon verbockt hatte? Da gab es doch keinen Grund.
Außerdem kannte ich sie doch erst seit ... einigen Stunden? Ich hatte keine Ahnung, wie lange der Anfang des Ganzen im Raum stattgefunden hat.
Wie lange war ich wohl schon von Zuhause weg?
Zuhause. Mein Zuhause...
Daran hatte ich bisher kaum gedacht. Weder an meine Eltern, meine zwei Geschwister, noch an meinen kleinen Collie.
Was ist mit ihnen? Vermissen sie mich? Suchen sie nach mir?
Plötzlich fühlte ich mich so schlecht, dass ich nur an mich dachte. Ich hatte meine Familie nicht im Kopf gehabt, war immer nur auf mich fokussiert. Würde ich nicht in dieser Situation stecken, in der alles so neu, so befremdlich, gewesen wäre, hätte ich mir das ganze noch übler genommen.
Ich würde sie so gerne anrufen, ihnen sagen, dass ich noch am Leben bin, sie um Hilfe bitten. Einfach mit jemandem reden. Es muss nichtmal meine Familie sein. Hauptsache mich hört jemand.
Aber wie würde sich das anhören? Wenn jemand bei dir anruft und sagt: Ich bin entführt worden, saß dann gefesselt in einem Raum, wurde mit irgendeinem Gas eingeschläfert und bin in einem gewöhnlichen Dorf, in meinem eigenen Haus, aufgewacht mit einem Haufen anderer Menschen, den es genauso geht.
Da würde ich die Person doch direkt ernst nehmen und sofort Hilfe schicken, besonders da die Verrückte am anderen Ende nicht mal weiß, wo sie ist.
Ich war verloren.
Kraftlos seufzte ich etwas zu laut, dass mich direkt mehrere Leute seltsam musterten.
Beschämt senkte ich den Kopf. Ich war wirklich talentiert darin, mir ungewollte Aufmerksamkeit zu verschaffen.„Hiermit erkläre ich die Versammlung für beendet." Erleichtert atmete ich auf, als Noah die Aufmerksamkeit wieder auf sich zog. Zur Unterstreichung seiner Worte trat er zwei Schritte aus dem Kreis heraus. Ihm folgte sofort eine kleine Gruppe von drei weiteren Jungen, die sich mit ihm in ihrer Mitte auf eine der Bank Formationen zu bewegten.
Nach und nach standen immer mehr Leute auf und traten aus der Runde heraus. Ich blieb noch etwas sitzen und beobachtete die Situation. Zu etwas Besserem war ich im Moment nicht in der Lage, da sich die Gedanken in meinem Kopf überschlugen und mir nicht die Möglichkeit ließen, über meine nächste Handlung nachzudenken.
Ich verstand es selbst nicht, warum ich in der letzten Zeit die Kontrolle über meine Gefühle verloren hatte und nun nur noch ein ängstliches Häufen auf dem Boden war, dass über alles angestrengt nachdachte und dennoch auf kein Ergebnis kam.
„Alles gut bei dir?" Aus meinen Gedanken gerissen schaute ich überrascht in die Richtung, aus der die Stimme kam. Tiefblaue Augen blicken mich aus Emmas Gesicht fürsorglich an. Erst in diesem Moment fiel mir auf, wie bedrückt ich gewirkt haben musste und lächelte etwas verlegen. „Äh...ja..." stammelte ich etwas überfordert. Obwohl es nicht wirklich stimmte. Die ganze Situation versetzte mich in innerlich Panik und Unsicherheit. Ich war mit meinen Gefühlen überlastet, kam mit meinen eigenen Gedanken nicht mehr klar.
„... also bis auf den Fakt, dass wir hier ... festsitzen." fügte ich etwas leiser hinzu und Emma nickte verständnisvoll. Sie war wie ich erst sechzehn Jahre alt, wirkte aber in ihrer ruhigen Art um einiges älter. Sie strahlte eine gewisse Geborgenheit aus und es beruhigte mich sofort, als sie mir zaghaft über den Rücken strich.
Nele rückte etwas näher an uns heran und schien ebenfalls diese Sicherheit zu suchen. Sie war zwei Jahre jünger als wir beide und erinnerte mich immer, wenn ich sie ansah an meine jüngere Schwester Anna. Sie trugen beide diesen kindlichen, unschuldigen Ausdruck in ihren Augen. Ich streckte meinen Arm aus und Nele nahm die Einladung sichtlich erfreut an und lehnte sich an meine Schulter. Obwohl wir uns kaum kannten, war dort ein gewisses Vertrauen, da wir alle in der gleichen aussichtslosen, beängstigenden Lage steckten.
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Werwolf - Das Spiel beginnt
HorrorFünfzehn Personen. Fünfzehn Charaktere. Ein Spiel. Eingesperrt, werden sie gezwungen zu spielen. Sie wurden aus ihrem Alltag herausgerissen und in diese, für sie völlig fremde Welt gesteckt. Die Grenze zwischen Leben und Tod verschwamm vor ihren...