Kapitel 18

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Ich atmete tief durch. Die Luft strömte wie ein sachter Bach in meine Lungen, füllte sie für einen kurzen Moment voll aus, bis sie diese wieder mit einer ähnlichen Geschmeidigkeit verließ.
Mein Blick ruhte auf einem der Grabsteine. Die Art, wie sie so ruhig dort standen, an einigen Stellen von einer dünnen Schicht Moos bewachsen, und einen so friedlichen Eindruck erweckten, widerte mich an. Auch wenn ich sie vor einigen Augenblicken noch als Boten des so verlockenden Endes hielt, konnte ich sie nun nicht mehr ansehen, ohne an die leblosen Körper, die vor ihnen unter einer dünnen Schicht Erde lagen, zu denken. Eine Decke, die vielleicht verhinderte, dass man sie sah, aber mich nicht davon abhalten konnte, ihre Anwesenheit zu spüren. Sie kroch mir wie ein kalter Schauer den Rücken empor, kletterte tief in mein Herz und ließ mich erschaudern. Noch nie zuvor hatte mich ein Friedhof auf diese Weise verängstigt.
Dieser Ort schien Geheimnisse zu verbergen, dunkle Gedanken, die in den Bäumen hingen, die tief im Boden verankert waren. Diese Steine hatten bereits einiges gesehen, hatten bereits viele grausame Momente erlebt. Doch ich wusste nicht, was es war. Dieses unheimliche Gefühl, das all diese kalten Dinge ausstrahlten; ich konnte mir nicht erklären, warum es so war, was hier schon passiert sein musste. Und das machte diesen Ort nur noch furchterregender.
Es fühlte sich an, als würden sie mich alle anstarren. Die Bäume, die Steine und sogar die schwachen Grashalme neben dem Weg. Als würde in ihrer leblosen Präsenz ein leises Flüstern entstehen, das mich packte und langsam zu Boden zog. Es war keine gewaltige Kraft, die mich umschlang, es war vielmehr ein leichtes Ziehen, das mit jeder Sekunde, die verstrich, unausstehlicher wurde. Dagegen fühlte ich mich so wehrlos. Es war lächerlich. Ich unterlag einem geheimnisvollen Gefühl, gefüttert durch meine Angst und konnte nichts dagegen unternehmen. Jedenfalls fühlte es sich so an. Als läge ich in Ketten.

Augenblicklich schoss mir der Traum wieder durch den Kopf. Der Traum, in dem ich angekettet auf dem Platz saß, ohne ein Gesicht und mit tiefen, blutenden Wunden.
Es stimmt?!
Gekettet durch meine eigenen Emotionen und eingenommen durch meine bedrückenden Gedanken, verlor ich mich selbst. Und dann diese verräterischen Schmerzen, die mich immer öfter aufsuchten, die mich quälten, dieses ganze Spiel noch grausamer machten. Es waren die Schmerzen, die ich bei dem unerträglichen Geräusch gespürt hatte, die mir in den Knochen saßen, als ich mein Bewusstsein wieder erlangte, aber es waren auch die Schmerzen, die mir diese Angst zufügte. Das Gefühl, wenn wir einen neuen toten Körper in ein Grab legten, wenn ich sah, was uns allen bevorstand und wenn ich realisierte, dass ich nichts dagegen tun konnte.
Das Spiel weiß es!

"Wie geht es dir?" Ich nahm erst jetzt wieder den leichten Druck, der von Yanniks Hand ausging, die sanft auf meiner Schulter ruhte, wahr. Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihm und blickte ihn aufgewühlt an.
"Nach all dem hier, was passiert ist; wie fühlst du dich?" Ich verfing mich wieder in seinen Augen, hoffte, sie würden mir Sicherheit geben, da ich nicht so recht wusste, ob ich das Chaos in meinem Inneren zusammenfassen sollte und könnte oder ob ich die bekannte 'Alles gut'-Lüge zurückgreifen sollte.
"Ehrliche Antwort?" Er nickte. "Beschissen." antwortete ich knapp und schaffte es, meinen Blick von ihm loszureißen und wieder dem dunklen Boden zu widmen.
„Wegen den Träumen?" Ich murmelte eine leise Zustimmung und fügte dann etwas lauter hinzu: „Wegen diesem ganzen Mist hier." Schon wieder kämpfte ich mit den Tränen, die meiner Verzweiflung entsprangen, aber dieses Mal war ich entschlossen, sie zurückzuhalten und keine Schwäche zu zeigen. Anspannt trat ich gegen einen kleinen Stein, der daraufhin den Weg entlang hüpfte und schließlich im Gras zum Liegen kam. Die Gefühle überforderten mich, ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen konnte. Ich war nicht in der Lage, sie in Worte, in Sätze, zu formen und mit Yannik oder Emma darüber zu reden. Meine innere Unsicherheit schuf wie eine breite Mauer, die mich davon abhielt, meine tiefen Emotionen herauszulassen. Ich war also alleine. Alleine mit meinen übermächtigen Gedanken, in denen ich zu ertrinken schien.

Werwolf - Das Spiel beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt