Kapitel 4

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Ich überlege kurz. Wow, ich weiß es eigentlich selbst nicht. Ich war die letzten Tage so sehr mit der Hochzeit beschäftigt, dass ich ganz durcheinander bin. 

Ich lasse mir etwas Zeit für die Antwort. „Weißt du, ich bin als ein kleines Mädchen mal fast ertrunken, weil ich mich überschätzt hatte. Ich hatte erst schwimmen gelernt und mich zu sicher gefühlt. Ich war mit meiner Familie bei meiner Freundin zu Besuch und wollte unbedingt in den Pool, den sie im Garten hatten. Der war richtig groß und zu tief für mich. Ich sollte Schwimmflügel tragen, genauso, wie meine Freundin, solange unsere Eltern das Essen machten. Aber ich wollte ihr unbedingt zeigen, was ich konnte. Ich zog die Dinger ab und wollte quer durch den Pool zu der anderen Seite schwimmen. Naja, das Ende vom Lied war, dass ich wiederbelebt werden musste, nachdem meine Freundin Hilfe geholt hat und ich rausgefischt wurde. Aber dieses Gefühl der Hilflosigkeit, wenn man unkontrolliert in die Tiefe gezogen wird, immer wieder versucht hochzukommen, um nach Luft zu schnappen, aber dich die Kräfte verlassen - dieses Brennen in der Brust, weil dir die Luft wegbleibt und du spürst, wie die Lunge sich verengt - und dann der Versuch zu schreien, der einem nicht gelingt, weil du zwar schreist, dich Unterwasser aber keiner hört ... genauso fühlt es sich an." 

Als ich tief durchatmend meinen Blick hebe, starrt mich Joshua nur an. 

„Diesmal habe ich mich auch überschätzt. Ich dachte ich könnte mich blind in eine Beziehung stürzen, in der alle außer mir die Gefahr gesehen haben. Nur ich nicht. Genauso, wie das kleine Mädchen dachte, dass die Entfernung nicht so groß ist. Der kleine Unterschied dabei ist nur, dass keiner mich aus der Tiefe rausgezogen hat. Im Gegenteil. Alle, die meine Rettung sein könnten, waren einfach nur die Last auf meinen Schultern, die mich noch tiefer runterzog." 

„Oh, Liebes. Komm her." Joshua rutscht ein Stück zu mir, legt seine Arme um meinen Körper und zieht mich an sich. Seine Wärme tut so gut in diesem Augenblick, dass ich meinem Willen stark zu sein nicht nachkommen kann. 

Meine Augen brennen höllisch und die Tränen kennen keinen Halt mehr. Das Gefühl, dass doch noch ein Freund für mich da ist, der mich nicht hintergangen hat, ist unbeschreiblich. Diesen Moment brauche ich jetzt. Und eine feste Hand, die mich hält. 

Während ich bitterlich meinen ganzen Schmerz rauslasse, halten mich seine starken Arme fest. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, wie oft ich vor lauter Frust stöhne, wie oft ich schimpfe, aber es fühlt sich einfach nur befreiend an.  

Nachdem ich Joshuas Hemd genug durchnässt und zerknittert habe, beruhigt sich meine Atmung wieder. Langsam komme ich in der Realität wieder an, doch plötzlich fängt mein Körper an unkontrolliert zu zittern. Die Kälte, die ich nicht wahrgenommen habe, trifft mich jetzt mit voller Wucht. 

„Jess, alles okay?", höre ich Joshua fragen.

Was ist das? Mein Körper ist unberechenbar, meine Arme und Beine ähneln einem Wackelpudding. „Ich weiß nicht ... Ich kriege so schlecht Luft." 

Joshua schiebt meinen Körper etwas von sich, um mich zu beobachten. „Hey, hey, ganz ruhig, tief ein- und ausatmen. Nochmal ein ... und aus." Ich bemühe mich ihm zu folgen.

„Was ist das?", bringe ich kaum heraus und halte meine Hand an meine Brust, die sich augenblicklich zusammenzuziehen scheint. Mein ganzer Körper ist auf einmal ganz schwer und in meinem Kopf drückt sich alles zusammen. 

„Alles gut, atme langsam. Du hast nur eine kleine Panikattacke. Es geht gleich vorbei." 

Ich vertraue ihm und mache die Atmung nach, die er mir vorführt, bis sich mein Körper beruhigt und die Schwere langsam weicht. Ich blinzle hektisch. 

„Was war denn das?", frage ich benommen. 

„Alles gut, sowas passiert. Bei dir hat sich wohl einiges angestaut und deshalb reagiert dein Körper so. Jess, es ist sehr wichtig, dass du deine Gefühle auch zulässt, hörst du." 

Jess - Power of DecisionsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt