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"Wo genau fahren wir eigentlich hin?" Meine Worte durchbrachen die unangenehme Stille, welche sich im Auto gebildet hatte. Wie ein Messer durchtrennten sie die hitzige Atmosphäre. Es war ein weiterer Beweis dafür das Richard mich nicht hier haben wollte. Auch wenn mich das ein klein wenig verletzte, ließ ich mir das nicht anmerken. Er verhielt sich normalerweise nicht so distanziert.

Nervös spielte ich mit meinen Ringen und sah hin und wieder mal zu ihm herüber. Richard schien so tief in Gedanken verloren zu sein das er dies nicht bemerkte. Unwohl bis ich mir auf die Unterlippe und ließ mich mehr in meinen Sitz sinken.

Stumm blickte ich aus dem Fenster. Die vorbeifliegenden Häuser waren im Moment unterhaltsamer als alles andere. Als ich nach einigen Minuten immer noch keine Antwort erhalten hatte, schielte ich erneut zur ihm rüber. Richard kaute auf seiner Unterlippe rum und sein Blick war starr auf die Straße, vor ihm, gerichtet. Ob er meine Frage überhaupt wahrgenommen hatte?

"Richard?", fragte ich vorsichtig. Als ich immer noch keine Antwort bekam legte ich meine Hand auf sein Bein und tätschelte dieses leicht. Meine Berührung schien ihn aus seiner Starre gezogen zu haben da er mir einen kurzen Blick zuwarf. Anstatt meine Hand zu ergreifen und unsere Finger ineinander zu verschränken, wie er es sonst getan hätte, entzog er sein Bein meiner Reichweite.

Gekränkt entfernte ich meine Hand. "Hörst du mir überhaupt zu?", flüsterte ich leise. Dieser Anruf hatte ihn verändert. Ich konnte es sehen. "Ja, nein. Was hast du gesagt?", antwortete Richard schnell als wollte er das so schnell wie möglich hinter sich bringen. "Ich hatte dir eine Frage gestellt. Wo fahren wir hin?"

"Wir fahren zur unserer alten WG." Mehr bekam ich nicht als Antwort. Also waren wir auf den Weg zur einer Wohnung? Oder hatte sie ein eigenes Haus? Lebten die restlichen Bandmitglieder zusammen? Warum trafen sie sich in einer Wohnung anstatt in eine Bar zu gehen? Tausende Fragen die in meinen Kopf umherflogen.

Ich traute mich aber nicht sie auszusprechen. Vielleicht brauchte Richard nur ein bisschen Ruhe. Mit großer Mühe unterdrückte ich die aufkommenden Emotionen und wandte mich wieder dem Fenster zu. Nach einer weiteren halben Stunde fahrt hielt der Wagen vor einem großen Haus.

Vor dem Gebäude standen schon mehrere Autos. Wir waren wohl die letzten. Wortlos verließ Richard das Auto und marschierte auf das, sich vor uns erstreckende, Gebäude zu. Er hatte sich nicht mal umgedreht um zu sehen ob ich ihm folgte. Noch nie hatte ich mich so unerwünscht gefühlt.

Wie ein verlorenes Hündchen lief ich Reesh hinterher. Ich musste zugeben, das Haus war recht schön und riesig. Wortwörtlich immens. Muss wohl ein Wohnhaus für mehrere Familien sein, aber ich konnte weder Briefkasten noch Klingeln mit Namen erkennen. Gehörte das gesamte Haus etwa Rammstein?

Noch mehr staunte ich als Flake die riesige Holztür öffnete und Richard in eine feste Umarmung zog. Nach und nach erschien der Rest hinter ihm. Etwas abseits stehend beobachtete ich das Geschehen. Soweit ich weiß waren alle anwesend, nur einer der sechsköpfigen Band fehlte. Phil.

Halt nein, er hieß nicht Phil. Wie war sein Name nochmal? Bill? Keine Ahnung, war in dem Moment auch nicht wichtig. Mittlerweile fühlte ich mich noch mehr fehl am Platz als vorher. Erst nach ein paar Minuten erlangte ich die Aufmerksamkeit von einem der Jungs. "Kruspe, wen hast du da schönes denn angeschleppt?"

Augenblicklich drehten sich alle fünf Köpfe in meine Richtung. Die vielen Augenpaare ließen mich nervös auf der Stelle treten. Ich hasste es angestarrt zu werden. Zur meinem Glück kam Richard zur meiner Rettung. Einen Arm um meine Taille legend, zog er mich mehr in die Gruppe. Ein stolzes Grinsen lag auf seinen Lippen. Ich fühlte mich wie eine Trophäe, aber nicht im guten Sinne.

"Darf ich vorstellen, meine Freundin Ludmilla. Oder kurz Milla.", stellte Richard mich vor. Nervös ließ ich meinen Blick über all die verschieden Gesichter fliegen. Zur meinem Glück schenkten mir alle ein warmes Lächeln. Nur einer von ihnen sah ein bisschen salzig aus. Seinen Namen hatte ich vergessen.

Schneider war der erste der mit offenen Armen auf mich zukam. Ehe ich mich versah wurde ich von der Truppe in eine Umarmung gezogen. "Wenn das so ist, willkommen in unserer Gruppe. Fühl dich hier wie zuhause.", begrüßte Doom mich freundlich.

Seine offene Art zauberte mir ein kleines Lächeln ins Gesicht. Jetzt fühlte ich mich nicht mehr ganz so sehr fehl am Platz. "Weiß jemand wie Till ist?", fragte Richard in die Runde. Till. Das war sein Name. Ich konnte nicht anders als über meine eigene Dämlichkeit zu schmunzeln. "Der sollte auch bald da sein.", erklärte Flake und verschwand wenig später im Haus.

Der Rest folgte ihm - einschließlich mir. Staunend ließ ich meinen Blick durchs Haus fahren. Die rustikale Einrichtung passte perfekt zur der Backstein Außenwand. Am meisten faszinierte mich aber der Ausblick, den man von der Terrasse aus hatte. Die großen Glastüren, die für viel Licht im Wohnzimmer sorgten, gaben eine wunderschöne Sicht auf den angrenzenden Wald frei.

Vom Garten konnte man auch viel sehen. Schneider, der einige Meter neben mir stand, war meinem Blick gefolgt. "Möchtest du nach draußen gehen? Ich kann dir gerne eine Führung durchs Haus geben, wenn du möchtest." Etwas unsicher blickte ich erst zur dem braunhaarigen und dann zur Richard, welcher eine Unterhaltung mit Paul führte. Er schien mich vergessen zu haben. Generell war er schon den ganzen Tag komisch mir gegenüber gewesen.

Mit einem knappen Nicken stimmte ich Schneiders Vorschlag zu. Ihm war ebenfalls nicht entgangen das Richard sich komisch verhielt. Die kühle Luft tat gut. Wenn ich schonmal draußen war, konnte ich ja eine rauchen. Ich wusste nämlich nicht wie die Jungs zur Zigaretten in der Wohnung standen. "Bist ja auch so ein Krebs-Inhalierer wie Richard.", kam es von Schneider.

Augenblicklich verharrte ich in meiner Bewegung. Eine Zigarette hatte ich bereits zwischen den Lippen und Feuerzeug in der Hand. "Sorry, darf ich hier rauchen oder stört es dich?"

"Ne alles gut. Mach ruhig. Die hälfte von uns raucht auch." Erleichtert zündete ich den Stängel an und nahm einen tiefen Zug Nikotin. "Ich nehme an du rauchst nicht?" Kopf schüttelnd verneinte Schneider meine Frage. "Nein ich rauche nicht, aber Richard Paul und Till."

Eine kurze Still füllte unsere Unterhaltung. Sie war aber lange nicht so unangenehm wie die vorhin im Auto. "Wollen wir dann?", fragte Schneider und deutete aufs Haus.

Liebe ist für alle da Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt