14

205 11 1
                                    

Eine unangenehme Stille hatte sich über das Schlafzimmer gelegt. Letztendlich hab ich mich so erdrückt von der Stimmung gefühlt, das ich mich kurzerhand auf den Balkon verzogen hatte. Die kalte Nachtluft schlug mir um die Nase und klarte meine Gedanken um einiges auf. Unruhig führte ich meine Zigarette an meine Lippen, welche ich vor paar Minuten angezündet hatte. Das Nikotin wollte meine Nerven aber nicht beruhigen.

Die letzten Momente spielten sich immer wieder Revue in meinem Kopf ab. Wie konnte das nur passieren? Und warum Paul? Ich wusste nicht ob ich sauer war. Durfte ich überhaupt sauer sein? Durfte Richard sauer sein? Ich wusste es nicht. Diese Situation überforderte mich einfach nur. Wie sollte es jetzt weiter gehen?

Frustriert fuhr ich mir durch die Haare. Im selben Moment konnte ich hören wie die Balkontür sich, hinter mir, öffnete. Zwei große Arme schlangen sich von hinten um meinen Körper. Noch zusätzlich bettete Richard seinen Kopf auf meiner Schulter. Kein Wort fuhr über seine Lippen. Sollte ich etwas sagen? Stumm hielt ich ihm meine Kippe hin, welche er wortlos entgegennahm.

"Willst du darüber reden?"

"Willst du?"

Leicht schüttelte Richard mit dem Kopf. "Ich weiß es nicht. Wenn du mich was fragen willst, Feuer frei. Frag mich was du willst. Ich werde ehrlich sein." Jetzt wandte ich mich ihm doch zu. "Wie lange läuft das schon zwischen euch beiden?" Meine Stimme zitterte leicht. Ich hätte ihm niemals zugetraut mich zu betrügen. Andernfalls hab ich mir das selber auch nicht zugetraut und nun standen wir hier. Richard sagte einen Moment lang nichts. Er schien nach Worten zu ringen.

"Da läuft nichts zwischen Paul und mir."

Okay, jetzt war ich verwirrt.

"Also nichts körperliches oder dergleichen. Ich hab dich nie betrogen und ich würde das auch niemals machen. Es...ist kompliziert.", frustriert fuhr Richard sich durch die Haare, bevor er weiter erzählte. "Schau du weißt ja das sich Rammstein vor Jahren getrennt hatte. Ja das war wegen mir und Paul. Irgendwie waren wir uns näher gekommen, nur hat das nicht lange gehalten und somit die Gruppe zerstört. Damals hatten wir nie wieder drüber gesprochen. Als dann dieser Anruf kam, tauchten all die Erinnerungen und Gefühle unser gemeinsamen Nächte wieder auf. Ich wusste aber nicht wie ich damit umgehen soll. Ich weiß das das keine Entschuldigung für mein Verhalten ist, aber es tut mir dennoch unfassbar leid."

Eine einzelne Frage lag auf meiner Zunge. Ohne den Blick zur heben, sprach ich meine Gedanken aus.

"Hast du...noch Gefühle für Paul?"

Augenblicklich schüttelte Richard mit dem Kopf. Sanft schlossen zwei seiner Finger sich um mein Kinn und hoben dieses leicht an. In seinen Augen konnte ich sehen das er die Wahrheit sagte.

"Nein hab ich nicht. Das hab ich dann auch festgestellt. Ich brauchte zwar etwas Zeit dafür, aber jetzt weiß ich es immerhin."

Erneut kehrte Stille ein. Stumm sahen wir einander an. Ich konnte sehen das ihm was auf der Seele brannte. "Sprich deine Gedanken ruhig aus."

"Es ist nur, was hat das mit Till auf sich?"

Augenblicklich erstarrte ich. Ja, was war nun mit Till? Die Frage konnte ich mir selber nicht beantworten. Ich wusste nicht so recht was ich darauf antworten sollte. Nervös biss ich auf meiner Unterlippe rum und wendete meinen Blick von Richard ab. Geduldig wartete dieser auf eine Antwort. Ich wusste, so mehr Zeit ich mir ließ, desto schlimmer wurde das ganze.

"Ich hab vielleicht was schlimmes gemacht, was du mir nicht so schnell verzeihen wirst, falls du das überhaupt tust.", flüsterte ich abwesend und fixierte einen Punkt hinter ihm ehe ich fortfuhr.

"Ich habe Till geküsst."

Technisch gesehen hatte er mich geküsst, aber ich hatte ihn ja gelassen. Eine einzelne Träne kullerten meine Wange hinunter. Richards Blick brannte auf mir. Vergeblich suchte er nach Augenkontakt. Ich konnte ihn aber nicht ansehen. Beschämt blickte ich hinunter auf meine Füße. Die Sekunden vergingen ohne das Richard was sagte. Irgendwann hatte ich doch schließlich den Mut dazu gefunden ihn anzusehen.

Seinen Augen konnte ich keine Emotion entnehmen. War er sauer?

"Du hast...Till geküsst?"

Seine Stimme hatte einen gefährlichen Unterton. Ungläubig sah er mich an. Ein leichtes Nicken meinerseits bestätigte seine Frage. Langsam ließ Richard von mir ab und machte ein paar Schritte rückwärts. Er schien meine Worte immer noch nicht ganz verarbeitet zur haben.

"Es tut mir leid Richard.", flüsterte ich heiser. "Scheiße, ich-"

"Was!? Was wolltest du verdammt!? Am besten hast du ihn auch noch gevögelt!"

Energisch schüttelte ich mit meinem Kopf und trat ein paar Schritte vorwärts. Meine Arme nach ihm ausstreckend, versuchte ich meine Hand an seine Wange zu legen, doch Richard wich meinen Berührungen aus. Nervös faltete ich meine Hände vor der Brust. "Ich weiß nicht was in mich gefahren ist. Ich-"

"Ach du willst mir jetzt auch noch erzählen das du ihn nicht küssen wolltest, es aber getan hast?!"

Okay jetzt wurde ich ebenfalls sauer.

"Du willst so unbedingt wissen warum ich ihn geküsst habe? Schön. Die komplette Wahrheit also. Ich habe Till geküsst, weil er mich nicht wie ein Stück Dreck behandelt hat verdammt! Er hat mir Aufmerksamkeit geschenkt und war für mich da als du dich wie ein verdammter Arsch verhalten hast! Ich bin schwach geworden, okay? Es tut mir leid Richard."

"Was bist du für eine Schlampe? Da schenkt man dir fünf Minuten keine Aufmerksamkeit und schon machst du mit meinem besten Freund rum!"

Okay der hatte gesessen. Tränen bildeten sich in meinen Augen und liefen meine Wangen hinunter. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verschwand ich an ihm vorbei ins Zimmer. Ich musste hier weg. In Windeseile suchte ich meine Sachen zusammen. Die Hand schon an der Türklinge, packte mich plötzlich eine fremde Hand am Handgelenk und hinderte mich vom gehen.

"Wo willst du hin? Wir sind hier noch nicht fertig."

"Und wie wir das sind. Ich bin fertig mit dir Richard."

Mit den Worten riss ich mich von ihm los und stürmte aus dem Zimmer. Noch nie in meinem Leben war ich so schnell eine Treppe hinunter gesprintet. Mit zittrigen Händen griff ich nach meinem Handy um mir ein Taxi zu bestellen. Zur meinem Glück war gerade eins in der Nähe gewesen, was mich innerhalb fünf Minuten abgeholt hatte.

Ich wusste genau wo ich hin wollte. Ich weiß das klingt jetzt bescheuert, aber ich hatte eine Zweitwohnung.

Auch wenn ich schon zwei Jahre mit Richard zusammenlebte, hatte ich meine alte Wohnung behalten. Ich gab den Fahrer die Adresse und schon fuhren wir durch die Straßen Berlins. Im Augenwinkel konnte ich sehen das er mich immer wieder durch den Rückspiegel hindurch musterte. Vermutlich wegen meinen Tränen, welche meine Wangen hinunter tropften.

Sagen aber tat er nichts. Auf meinem Handy, welches ich in der Hand hielt, erschien eine Nachricht nach der anderen. Alle von Richard. Genervt schaltete ich das Teil aus und schaute nach draußen. Die vorbei fahrenden Autos lenkten mich ein wenig ab.

Leider aber nicht genug. Schuldbewusst blickte ich hinunter auf meine Hände. Ich hatte unsere gesamte Beziehung zerstört.

Liebe ist für alle da Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt