12 | Alea

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»Leute, ich hab noch was zu erledigen.«

Ich warf einen Blick auf den Bildschirm an meiner Waffe. Gally würde jeden Moment seinen Peilsender ausrichten und das Signal der Kameras stören. Lawrence konnte ab diesem Zeitpunkt mit beobachten, was vor sich ging. Er wollte die volle Kontrolle.

Jasper hielt mich am Arm zurück, bevor ich die Treppen hochstürmte. Er klappte die Maske hoch und sah mich aus seinen wunderschönen blauen Augen an, vollkommen ernst und ohne jeden Funken Spaß.

»Versprich mir was«, sagte er leise und machte einen Schritt auf mich zu, sodass ich meinen Kopf etwas anheben musste, um ihn anzusehen.

»Kommt darauf an, was ich dir versprechen soll«, neckte ich ihn, doch er schüttelte nur den Kopf.

»Hör auf. Alea, ich brauche dich an meiner Seite, okay? Pass auf dich auf. Bitte«, flehte er. In seinen Augen spiegelte sich der Schmerz des halben Jahrs wider.

»Werde ich. Versprochen. Wir werden uns nicht noch einmal verlieren.«

So viel Zuversicht konnte ich mir noch eingestehen. Aber ich wollte lieber nicht wissen, was passieren würde, wenn Janson mich als Spion entlarvte.

»Hey, alle mal herhören!«, zischte ich, um die Aufmerksamkeit der anderen zu erlangen. »Ich muss euch jetzt vorerst alleine lassen. Ich werde zu Janson gehen und Bericht erstatten. Bestimmt weiß er es schon, aber je länger er mir vertraut, desto besser. Der Peilsender ist wie besprochen bei mir. Und ich weiß auch genau, wo ich ihn platzieren werde, wenn ich auf dem Weg zu Janson bin. Passt verdammt nochmal auf euch auf.«

Die anderen nickten mir aufmunternd zu. Das war Teil des Plans. Ich würde meine Rolle als Kommandantin noch ein bisschen ausführen, dann erst konnte ich mich zu den anderen gesellen.

Jasper ließ mich noch nicht los. »Ich schwöre dir, dass wenn du auch nur einen Kratzer abbekommst, endet das für diese Person nicht gut. Hast du mich verstanden?«

»Jasper, ich weiß das zu schätzen. Ehrlich. Aber das hier ist ein Krieg. Und im Krieg bekommt man bestenfalls nur Kratzer ab. Ich liebe dich, okay? Du bist das Beste, was mir je passiert ist und ich bin so verdammt stolz auf dich. Wir sehen uns nachher. Versprochen.«

Ich hielt inne. Das hier klang nach einem Abschied der ganz schlimmen Sorte. Die Worte fühlten sich dennoch richtig an und das war das, was zählte. Ich atmete tief durch, schob meine Maske nach oben und beugte mich vor, um meine Lippen auf Jaspers zu legen. Er schmeckte nach süßem Honig und ein bisschen so wie Freiheit.

༻༺

Meine Maske hatte ich abgesetzt. Hier war es schon unendlich lange bekannt, dass Janson persönlich mich zur Kommandantin ernannt hatte. Der Respekt war mir zu Füßen gelegt worden, nachdem man meine Würde bespuckt hatte. Ironie des Schicksals, würde ich sagen. Und jetzt durften Ava und Janson dabei zu sehen, wie das Imperium an Macht in sich zusammenfiel. Einfach, weil sie zu naiv für diese Welt waren.

Überall liefen die Wachen herum und machten ihre Rundgänge. Ich lief mit durchgestreckten Rücken, ganz leicht erhobenen Kinn und einem strengen Blick durch die engen Gänge, die mich durch das Hauptquartier führten.

»Entschuldigen Sie, Kommandantin Lordran?«, hörte ich mir die piepsige Stimme eines Mannes hinterherrufen. Ich konnte nicht anders, als die Augen zu verdrehen. Das musste Barkley sein.

Ich sammelte mich einige Augenblicke, bevor ich mich zu dem kleingewachsenen Arzt umdrehte. »Sie sind entschuldigt. Was ist?« Gott, wie ich dieses wichtige Getue von mir selbst verabscheute.

»Das sollten Sie vielleicht sehen, Ma'am.«

Barkley hielt mir ein Workpad hin, mit dem hier unter anderem gearbeitet wurde. Auf besagtem Workpad war ein Ausschnitt aus einer Videoüberwachung zu sehen. Innerlich fluchte ich. Thomas hatte seine Maske abgezogen, als ich aus dem Raum gerast war, in den ich zuvor Samuel und Jasper gebracht hatte. Und das Blöde an der Sache war, dass Thomas genau in die Kamera geguckt hatte, ohne es zu bemerken.

Verfluchte Scheiße! Okay, Planänderung. »Wegtreten!«, bellte ich, rasend vor Wut. Wenigstens konnte ich meine Rolle nun mit einer Perfektion aus dem Bilderbuch spielen. Barkley bekam große Augen und floh ohne zu zögern in die Richtung, aus der er gekrochen gekommen war.

Sofort nahm ich die Verfolgung auf, doch bog nach der dritten Kreuzung nach rechts ab, statt nach links. Links rannte Barkley, dessen schütteres Haar im Wind, den er durch das Laufen generierte, fast nach hinten wehte. Aber meine Freunde waren rechts und wenn mich nicht alles täuschte, dann gab es in etwa zehn Minuten einen Alarm. Eher fünf. Vielleicht auch nur zwei. Und deshalb musste ich mich beeilen.

Ich stürmte um die nächste Ecke, als vor mir eine ganze Gruppe von Wachen auftauchte. Verdammt. Sofort blieb ich stehen und streckte meinen Rücken durch. Ich zwang mich, nicht zu laut zu atmen, und ruhig auszusehen. Aber in mir tobte ein Sturm von unkontrollierten Emotionen. Jasper und die anderen waren in Gefahr.

»Kommandantin Lordran? Was machen Sie denn noch hier?«, fragte mich der vorderste Wachmann, der im Begriff war an mir vorbei zu laufen.

»Notfall«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Aha?«

So misstrauisch konnte nur einer von Jansons Schoßhündchen sein. Statt zu antworten zog ich mir die Maske wieder auf und nickte mit dem Kopf nach rechts, als Zeichen, er solle mir aus dem Weg treten.

»Weiß Mister Janson davon?«, wollte ein anderer wissen. Oh Herrgott nochmal, ich hatte dafür keine Zeit!

»Ich war auf dem Weg ihm Bescheid zu sagen«, sagte ich in einem kühlem Ton. Es hieß, jetzt oder nie. Und es war eindeutig besser jetzt zu handeln. »Sie sind hier. Und mit sie meine ich Thomas, Jasper und die anderen. Janson muss davon unterrichtet werden. Sofort.«

»Was?!« Die Stimme des Typs schoss hysterisch in die Höhe. Tja, so viel zur Sicherheit dieses Ortes und so.

»Planänderung. Ihr geht Janson benachrichtigen und ich geh die Eindringlinge suchen«, befahl ich, nickte und stürmte weiter. Wie viel Zeit würde uns noch bleiben?

Ich erreichte die Tür, bevor mich noch irgendjemand anderes aufhalten konnte, rannte die Treppen hoch und knallte beinah gegen Gally, der sich gerade rüstete.

»Ihr seid ja immer noch hier?!«, blaffte ich sie an. Das war schlimm. Das war schlimmer als schlimm! »Wisst ihr eigentlich, dass ich nicht mal zu Janson musste?! Ihr wurdet bereits auf der Kamera gesehen, bevor du die Störungen freigeschaltet hast! Macht, dass ihr hier wegkommt!«

Die anderen fuhren zu mir herum. Jasper sah mich aus großen Augen an. »Wie tief stecken wir in der Scheiße?«, wollte er wissen.

»Bis zum Kinn, Mann!« Samuel gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und zog die anderen mit sich. Von weiter oben ertönte ein schwaches Husten. Fragend sah ich nach oben. Gally, der gerade dabei war, mit den anderen nach oben zu rennen, folgte meinem Blick.

»Wer?«, formte ich mit meinen Lippen.

Gally zögerte einen kleinen Moment. »Newt. Geh schon, Alea. Du musst hier weg, so schnell du nur kannst. Wir treffen uns oben.«

Newt. Ich hatte es geahnt. Aber jetzt? Mir wurde ganz übel bei dem Gedanken. 

Newt war nicht immun.

FIGHTERS - Flammender Zorn ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt