Kapitel 5 | Messages

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Kapitel 5


England
6. Juni 2023
Am späten Abend



Lando



»Hey Lando, falls du noch nicht vor den nächsten Bus gelaufen bist, meld dich doch mal. Würd einfach nur gern wissen, ob du heil angekommen bist. Pass auf dich auf. Was auch immer los ist

Er starrte die Nachricht bestimmt schon eine Ewigkeit an.
Wieso machte Oscar das? Wieso wollte der immer noch wissen, wie es ihm ging und was mit ihm los war? Was brachte ihm das denn? Er begriff das nicht und eigentlich wollte er das jetzt ignorieren oder etwas extrem Böses zurückschreiben, damit Oscar endlich begriff, dass er es damit nur noch schlimmer machte. Er war drauf und dran ihm zu schreiben, wie scheiße er ihn fand, nur blöderweise entsprach das ja überhaupt nicht seiner tatsächlichen Meinung. Er hatte überhaupt nichts gegen Oscar.
Warum sollte er auch? Sie hatten keine gemeinsame Vergangenheit und er wusste nichts über ihn. Es war viel leichter, mit Carlos oder Daniel Streit anzufangen, weil er sie besser kannte und einschätzen konnte. Über Oscar wusste er gar nichts. Alles, was er an ihm nervig finden könnte, war sein Akzent. Zumindest hatte er den bei Daniel manchmal furchtbar gefunden, aber irgendwie redeten die Zwei völlig unterschiedlich. Und bei Daniel hatte er sich das auch viel länger einreden können.
Die Frage war aber, wie er damit umgehen sollte, dass Oscar ihm schon wieder die Hand zu reichen versuchte. Er hatte ja selbst das Bedürfnis, Frieden zu haben und sich nicht dauernd irgendwas überlegen zu müssen, womit er Oscar wieder eins reinwürgen konnte. Das tat ihm selbst leid. Er hatte das bei Daniel schon gehasst, ihn so fertig zu machen, obwohl er immer so freundlich zu ihm war und ihn zum Lachen brachte, wenn es ihm dreckig ging. Er fühlte sich selbst nach der Winterpause noch total mies deswegen.

Zuerst tippe er in sein Handy, dass Oscar sich seine aufdringliche Art sonst wo hinschieben konnte, aber das löschte er sofort wieder.
Das brachte er echt nicht über sich. Das war so degoutant. Ohne Oscar wäre er wirklich vor dieses Taxi gelaufen und dann wäre er sicherlich schwer verletzt oder sogar tot gewesen. Der hatte ja ein ziemliches Tempo drauf. Aber er konnte ihm unmöglich sagen, was los war und er musste ihm zusetzen, so viel er konnte, wenn er selbst nicht komplett untergehen wollte.
Als nächstes wollte er ihm schreiben, dass er ihn einfach in Ruhe lassen sollte und er ihn nicht brauchte, aber das konnte er genauso wenig abschicken, wie seinen ersten Versuch. Er wollte Oscar mitteilen, dass er seine Zeit verschwendete, ihn als Vollidioten betiteln, aber alles, was er in das kleine Textfenster tippte, konnte er so nicht abschicken. Langsam aber sicher verzweifelte er daran.
Wieso konnte er das nicht einfach durchziehen. Er wollte eigentlich gar nichts mehr fühlen und aufhören, sich darüber Gedanken zu machen, ob er die Gefühle von irgendwem anders verletzte. Er musste an sich selbst denken. Wo die anderen blieben, konnte nicht sein Problem sein. Er wollte doch nur ein gefühlskaltes Arschloch sein können.
Konnte er aber nicht.

»Wieso löschst du meine Nummer nicht einfach?«

Ob es klug war, ihm eine Frage zu stellen?
Etwas anderes wollte ihm nicht einfallen. Vielleicht würde Oscar ihm wenigstens das mal verraten. Er verstand nämlich nicht, wieso er so hartnäckig war, weshalb er überhaupt noch bemüht war. Er würde sich selbst schon längst komplett links liegen lassen. Würde er sich selbst begegnen und diese Auseinandersetzungen mit sich führen, dann würde er sich auch ziemlich scheiße finden.
Gespannt wartete er darauf, was Oscar schrieb, denn die Haken waren sofort blau geworden. Lange musste er nicht warten. Im Gegensatz zu ihm musste sich sein Teamkollege wohl nicht überlegen, was er ihm schreiben wollte.

»Wieso antwortest du nicht einfach auf das, was ich dir schreibe?«

Er verdrehte die Augen.
Echt jetzt? Eine Gegenfrage? Aber was sollte er auch von ihm erwarten? Oscar hatte zuerst etwas wissen wollen und er wich ihm aus. Da hatte er jedes Recht dazu, den Spieß umzudrehen. Nur machte es die Sache für ihn nicht unbedingt leichter. Im Gegenteil.

»Was willst du von mir? Dir kann es ganz egal sein, ob ich überfahren werde

Er war ziemlich genervt von sich selbst, weil er das Gefühl hatte, dass zwischen den Zeilen zu lesen war, dass er sich wie ein trotziges Kleinkind verhielt. So wollte er auf Oscar gar nicht wirken, nur irgendwie entglitt ihm das immer.
Das war ohnehin immer in seinem Kopf. Die Bedenken, dass man ihn nicht ernstnahm. Noch ein Grund, mit keinem über seine Probleme zu sprechen. Sie waren unglaubwürdig und sicher stellten sich Leute Lösungen dafür wieder ganz einfach vor, weil sie selbst ja nicht in dieser Situation waren. Das waren zumindest seine Erfahrungen. Er rechnete eigentlich damit, dass Oscar spätestens jetzt die Schnauze gestrichen voll hatte.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand dieses störrische Hin und Her lange mitmachen wollte, nur wie es schien verfolgte Oscar nicht die Absicht, es dabei bewenden zu lassen.

»Red doch einfach mal vernünftig mit mir, bevor ich echt den Drang krieg, dich selber auf die Straße zu schubsen

Fast hätte er darüber schmunzeln können.
Oscar hatte ja vollkommen recht. Er benahm sich hier albern und sehr infantil und er wusste leider auch nicht, wie er seine Abwehrhaltung noch für den ganzen Rest der Saison aufrechterhalten sollte. Das war jetzt schon so schwer und selbst, wenn er Oscar aus dem Weg gehen würde, hatten sie immer wieder miteinander zu tun.
Außerdem wollte er an seiner Strategie festhalten, Oscar genauso mental anzukratzen, wie ihm das bei Daniel gelungen war. Das fühlte sich zwar mies an, war für ihn selbst aber sehr effektiv gewesen. Denn jedes Mal, wenn er Oscar nicht besiegen konnte, dann...

»Mir geht's toll. Zufrieden?«

Er tippte das so schnell ein, wie er seine aufkommenden Gedanken loswerden wollte.
Er wollte gar nicht daran denken, was man schon so lange mit ihm machte, wozu man ihn zwang und das alles. Das konnte er nicht erzählen und das wollte er aus seinem Kopf kriegen. Leider waren diese Gedanken hartnäckig und je mehr er sich gegen sie wehrte, desto lauter wurden sie.

»Nicht so ganz

Er hob erstaunt die Augenbrauen.
Wie beharrlich konnte jemand sein? Höchste Zeit, dass er wohl mal wieder ein bisschen bissiger wurde. Er hatte keine andere Wahl. Selbst, wenn Oscar ihm das alles glauben würde, er wollte ihn da nicht mit reinziehen. Es wäre nicht besonders sicher für ihn, wenn er wüsste, was tatsächlich los war. Er wollte ihm doch seine Karriere nicht mit sowas versauen.
Aber, so lange ihm sowas nicht egal wurde, so lange würde er diese Probleme auch haben. Er musste kurz überlegen, womit er Oscar diesmal angreifen konnte. Am leichtesten war das eigentlich immer mit der ganzen Affäre im vergangenen Jahr. Viele waren der Meinung, dass Oscar Daniel mit Mark Webbers Hilfe aus dessen Cockpit gedrängt hatte.
Es war schon eine Erleichterung gewesen, als der Hass der Ricciardo-Fans sich plötzlich nicht mehr gegen seine eigene Person, sondern gegen Oscar gerichtet hatte. Ihm war auch klar, dass die Wahrheit sicherlich eine andere war, als dass, was die Medien so geschrieben hatten, nur wollte er sich damit wirklich nicht auch noch beschäftigen.

»Hat dir dein toller Manager nicht gesagt, dass man hier keine Freunde suchen soll?«

Jetzt musste Oscar doch kapitulieren und ihn mit seinem Mist wieder alleine lassen. Oder?
Immerhin war das jetzt völlig irrational und aus dem Zusammenhang gerissen. Wenn er schon einen Typ wie Mark Webber mit bestem Zugang zum Geschäft und dem Journalismus haben musste, dann konnte der ihn ja auch über die ersten, zwischenmenschlichen Enttäuschungen hinwegtrösten, oder?
Keine ehrlichen Gedanken, aber irgendwelche Abneigungen musste man sich ja einreden, wenn man konsequent versuchte, andere Menschen von sich wegzubeißen.

»Wieso sollte er? Das ist doch meine Sache

Sein Plan ging nicht auf.
Oscar blieb einfach ruhig und ließ sich nicht provozieren oder dergleichen. Wie sollte er sich denn so mit ihm streiten? Wieso war Oscar nicht emotional und benahm sich, wie ein unreifer Teenager? Das würde ihm sein Leben so viel leichter machen.
Er sollte lieber schnell nachlegen. Er sollte ausfallend und widerlich werden, damit Oscar die Segel strich. Aber ihm fehlte die Energie dafür. Sein Kopf schmerzte schon und war so leer. Ihm wollte nichts mehr einfallen, womit er Oscar noch angreifen könnte. Er war müde, erschöpft und er wollte eigentlich nur schlafen und alles vergessen.

»Was auch immer...«

Das las sich gewiss genauso resigniert, wie er innerlich bereits war.
Er wusste schlicht und ergreifend nicht, wie er zum Ziel kommen sollte. Nachdenken fiel ihm gerade äußerst schwer und er wollte sich damit nicht mehr beschäftigen. Er sollte die Strategie wechseln und Oscar zumindest so lange ignorieren, bis er selbst wieder etwas auf der Höhe war. Vielleicht, bis er etwas mehr geschlafen hatte.

»Hast du morgen was vor?"

Wieder runzelte er nur verwundert die Stirn.
Wieso wollte er denn sowas von ihm wissen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass Oscar vorhatte, nach all dem Stress noch seine wertvolle und seltene Freizeit mit ihm zu verbringen. Selbst, wenn er Menschen aus Australien irgendwie zuweilen etwas seltsam fand, hatte er von Oscar nie den Eindruck gehabt, dass er ein übersteigertes Helfersyndrom hatte oder Gefallen daran fand, sich mit ihm zu zoffen.

»Wieso?«

»Quatschen?«

Der gab wohl wirklich nicht auf.
Das war unglaublich und er wusste nicht, ob er das bekloppt finden oder eher bewundern sollte. Mit so viel Kampfgeist könnte der in den nächsten Jahren echt ein schwerer Gegner für ihn werden und da setzte der Teufelskreis wieder ein. Wenn Oscar ihm gefährlich wurde, dann passierten wieder Dinge, die...

»Willst du dich wieder anmachen lassen?«

Das war doch bescheuert!
War Oscar echt so dumm? Dem musste doch aufgehen, wie wenig Interesse er an sowas hatte und dennoch versuchte er es. War das doch eine Art Zwang, Menschen helfen zu müssen, gute Erziehung oder irgendwas, was er gerade nicht begriff? In jedem Fall konnte das doch echt nicht mehr normal sein!

»Du könntest ja zur Abwechslung mal normal mit mir reden. Muss auch nicht über dich sein. Ich hab echt nur auf das Gestresse keine Lust mehr

Und genau das sollte er besser lassen.
Schließlich war es wichtig, dass er Oscar über die Saison weiter im Griff hatte. Schlimm genug, dass sein Teamkollege im letzten Rennen zwar ebenfalls außerhalb der Punkte, aber besser als er selbst abgeschnitten hatte. Das war ihm wieder zum Verhängnis geworden und das durfte er nicht noch einmal zulassen.
Deswegen musste er diese Psychospielchen weitertreiben. Möglicherweise wäre es besser, Oscar einfach eine Freundschaft vorzutäuschen. Dann könnte er ihm richtig schwer zusetzen und dann würde er ihn genau wie Daniel leichter unter Kontrolle behalten. Auf der Rennstrecke, logischerweise. Er könnte dadurch mehr über Oscar rausfinden, Schwachstellen ausmachen. So wie er über Daniel schnell rausgefunden hatte, dass es diesen verletzte, wenn man ihn als Fake bezeichnete und ihm das Gefühl gab, seine fröhliche Art sei aufgesetzt. Daniel nahm sich sowas zu Herzen. Mehr als er sollte. Und da hatte er reinstechen können.
Bestimmt hatte Oscar sowas auch. Irgendwas, womit man ihn eiskalt erwischen konnte. Am besten wäre etwas, was so schlimm war, dass er ihn damit auf einen Schlag mental vernichten konnte, dann müsste er sich um den keine Sorgen mehr machen. Wieso konnte sein Teamkollege nicht de Vries sein? Dann wäre sein Leben so viel leichter.
Aber das wäre so dermaßen abartig von ihm...

»Du lässt nicht locker, oder?«

Er biss sich auf die Lippe, weil er ahnte, wie die Antwort darauf lauten würde.
Dazu durfte er sich auf gar keinen Fall hinreißen lassen. Das wäre sein Untergang. Aber welche Wahl hatte er noch? Er musste es auf einen Versuch ankommen lassen. Vielleicht würde er sich wenigstens Carlos vom Leib halten können, wenn er zumindest Oscar das Gefühl gab, sich nicht mehr beschissen zu verhalten oder so.
Verdammt, er hatte keinen Schimmer mehr. Er konnte nicht klar denken. Alles wirbelte unkontrolliert durch seinen Kopf und er wollte nur noch, dass das aufhöre.

»Nope

Natürlich nicht...
Oscar gab nicht auf. Und er war nicht mehr in der Verfassung, dagegen weiter anzugehen.

»Na gut. Wann und wo?«

Papaya ClashesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt