Kapitel 7 | Unhoped

174 19 2
                                    

Unhoped
Kapitel 7


England
8. Juni 2023



Lando



„¡Hola!"

Er sah wohl nicht richtig.
„Was willst du hier?", wechselte er direkt wieder in seinen fast schon gewohnt schroffen Modus. Damit versuchte er zu verbergen, wie sehr es ihn überraschte, dass Carlos vor seiner Tür stand. Was wollte er denn damit bezwecken? Und warum gerade jetzt? Das brachte auch nichts mehr!
„Sehen, wie es dir geht", wurde ihm von Carlos eröffnet, dessen Anrufe er zuletzt sehr konsequent weggedrückt hatte. Aber wie hätte er auch ahnen sollen, dass der gleich auf die Idee kam, zu ihm zu fliegen? Das war ja wohl komplett bescheuert!
„Dafür kommst du extra her?" Er versuchte es möglichst abweisend klingen zu lassen, obwohl es sicher eins der nettesten Dinge war, die je ein Mensch für ihn getan hatte. Aber er konnte das nicht. Nachdem der Tag mit Oscar gestern so schön gewesen war, wurde der innere Zwiespalt ohnehin schon größer.
Er konnte unmöglich noch einen Tag damit zubringen, eine Person von sich zu stoßen, sie nicht in sein Herz zu lassen. Gerade Carlos. Er hatte kaum jemanden so gern wie seinen ehemaligen Teamkollegen. Er hatte sogar sehr intensive Gefühle für ihn gehabt und er wollte ihm nicht wehtun. Aber er wollte auch nicht mit ihm über seine Probleme reden.

„Das sollte dich nicht überraschen, oder?", gab Carlos zurück.
Sicher. Wirklich überraschend war es nicht. Er wusste, was für ein toller Freund Carlos war und dass er sehr viel möglich machen würde. Er hatte ja schon hundertmal überlegt, ob er mit ihm nicht doch reden sollte. Er hatte so lange mit sich gerungen, es ja sogar mal versucht. Aber Carlos war ganz abwesend gewesen und nun fiel es ihm schwer, es noch einmal zu versuchen.
„Das hättest du dir sparen können", entgegnete er. Am liebsten würde er ihm direkt die Tür vor der Nase zu knallen. Er wollte doch einfach nur noch seine Ruhe haben und-
„Was ist los? Du kannst unmöglich noch sauer auf mich sein", spielte Carlos wieder einmal darauf an, dass er ein wenig dramatisch geworden war, als rauskam, dass dieser zu Ferrari wechseln würde. Das war zwei Jahre her. Natürlich war er selbst ein nachtragender Mensch, aber so übertrieben nun auch wieder nicht.
Er hatte sich nun einmal etwas hintergangen gefühlt. Das wäre sicher was anderes gewesen, wenn Carlos ihm von diesem Schritt mal erzählt hätte. Aber er hatte es selbst im Internet gelesen und das enttäuschte ihn schon. Er war davon ausgegangen, dass der andere ihm solche Dinge vorher sagen würde, nur hatte er das offensichtlich nicht für nötig gehalten.

Das war inzwischen jedoch vollkommen egal.
„Und wenn doch?" War doch dämlich das Ganze. Wieso hatte Carlos ihm nicht direkt zuhören können? Er wusste, dass es nicht ganz fair war, nur was sollte er tun? Es half ihm eben nicht, dass Carlo erst viel später einfiel, sich wieder für ihn und seine Belange zu interessieren.
„Dann lass uns endlich klären, was immer da noch zwischen uns steht", schlug Carlos ihm versöhnlich vor. Das wäre sicherlich auch das Beste. Er wünschte manchmal wirklich, er könnte seinen Stolz auch ein Stück weit runterschlucken, aber wenn man ihn einmal enttäuschte, dann hatte man echt einen schweren Stand. Er konnte nicht so leicht verzeihen.
„Ich will aber nichts klären!", blockte er einmal mehr ab. Wobei es selbstverständlich mies war. Carlos kam extra hier her... Aber das konnte ja nicht sein Problem sein. Das hatte er doch selbst so entschieden. Er hasste es, wie das eigene Gewissen ihn immer wieder hemmte und es ihm noch schwerer machte.
„¡Madre mía, Lando! Was ist los mit dir?", schien Carlos ein wenig die Geduld mit ihm zu verlieren und da kam auch ganz deutlich wieder sein spanisches Temperament durch. Er wusste, dass er die Nerven des anderen genauso überstrapazierte, aber was sollte er denn tun? Irgendwie war im Moment alles komplett festgefahren und erzeugte nur noch mehr Druck.

„Wieso mit mir?", rastete er seinerseits aus. „Was wollt ihr eigentlich alle von mir?"
Immer war er das Problem, immer reagierte er verkehrt. Klar, keiner konnte wissen, was los war, aber er war diese Fragerei so satt. Es hatte Monate gegeben, in denen Carlos ihn mit dem Arsch nicht angeguckt hatte, nur noch mit anderen Dingen beschäftigt war. Er hatte das starke Gefühl bekommen, aus dessen Leben gestrichen worden zu sein und nun? Es verletzte ihn einfach total.
„Wieso alle?", wunderte Carlos sich und da fiel ihm auf, dass er ihm damit durchaus mehr verraten hatte, als er wollte. Daraus konnte Carlos jetzt schließen, dass noch anderen Menschen sein atypisches Verhalten auffiel und dass sie sich ebenfalls Gedanken machten. Er war aber auch wirklich für alles zu blöd!
„Vergiss es!", schoss er zurück und wollte Carlos nun wirklich draußen stehen lassen. Er ertrug diese Konversation nicht. Er wollte sich wieder vergraben und die Zeit aussitzen, bis sie nach Kanada fliegen mussten.
„Lando, ich...", ging Carlos aber dazwischen, schaffte es, die Tür festzuhalten und sich ein Stück reinzuschieben, sodass er nun leider auch noch einen perfekten Blick auf das Chaos hier drin bekam. Er konnte sehen, wie Carlos direkt innehielt und sich mit großen Augen umsah. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! „Wie sieht's denn hier aus?"

Scheiße!
Jetzt konnte er deutlich spüren, dass seine Augen brannten. Er biss sich ganz fest auf die Lippe, denn wenn er eins auf keinen Fall riskieren wollte, dann schon wieder vor Carlos rumzuheulen. Er wollte aus dieser Kindrolle raus. Er wusste, dass Carlos es nie böse meinte, wenn er ihn damit aufzog, aber er konnte das jetzt nicht mehr.
„Dein Ernst? Bist du meine Mutter oder was?! Das ist meine Sache!", rief er wütend aus und versuchte Carlos dabei so böse wie möglich anzusehen. Das machte ihn tatsächlich sauer. Auch, wenn sich all die Wut eher gegen ihn selbst richtete, als gegen Carlos.
„Wir sind aber Freunde und das hier ist verdammt bedenklich. Ich seh dir dabei doch nicht zu. Hast du Probleme? Hast du Depressionen? Ist irgendwas passiert?", fing Carlos an ihn zu bedrängen, was ihn sich nur noch fester auf die Lippe beißen ließ.
„Kannst du mich nicht bitte einfach in Ruhe lassen?" Das sollte ebenfalls aufgebracht klingen, hörte sich jedoch in seinen Ohren nur klein und schwach an. Das war er ja auch. Sonst hätte er diese Scheiße ja längst mal in den Griff bekommen. Wieso war er da nur reingeraten? Er begriff es nicht. Er sollte da selbst rauskommen. Er war kein Kind und da konnte ihm eh niemand helfen.
„Nein. Das kann ich nicht. Wir sind Freunde", erinnerte Carlos ihn erneut. „Lando, ich weiß, dass du auch nicht lockerlassen würdest, wenn du dir Gedanken um mich machen würdest." Gewiss würde er das nicht. Aber er hatte Carlos um das hier nicht gebeten und er würde ihm auch sicher nichts davon erzählen.

„Hör auf mich zu bedrängen!", schrie er Carlos regelrecht an.
Das wurde ihm alles zu viel. Es wuchs ihm immer mehr über den Kopf und er hielt das auch nicht mehr aus. Immer lügen, immer allen was vormachen, immer Streit suchen. Er war müde. Er wollte das alles überhaupt nicht. Wie gerne würde er das alles hinter sich lassen. Nur überwinden konnte er sich nicht. Wenn dieser Typ seine Drohungen wahrmachte...
„Das will ich gar nicht. Aber wie lange erwartest du denn, dass ich mir das ansehe?", riss Carlos ihn aus seinen Gedanken. Eigentlich wollte er ihm was ganz anderes an den Kopf knallen, aber irgendwie wirbelte dieser Überfall eine ganze Menge auf, was er noch nicht so richtig hinter sich gelassen hatte.
„Wieso bist dann nicht eher damit gekommen? Wieso fällt dir das jetzt ein? Hast du endlich Zeit, weil du deine Isa los bist? Oder weil es bei Ferrari nicht mehr so toll ist? Ist dir da mal eingefallen, dass es mich auch noch gibt?" Das saß bei ihm tiefer, als gedacht.
„Das ist doch Unsinn. Lando, ich hab nur meine Chance im sportlichen Sinn genutzt. Das hatte nichts mit uns zu tun", probierte Carlos ihm zu sagen, aber darum ging es gar nicht. Er wünschte, er könnte Dinge besser auf den Punkt bringen, nur herrschte in seinem Kopf und seinem Herz ja seit einer Ewigkeit nur noch Chaos, welches er nicht bändigen konnte.

Da gab es so viele Dinge, die das Verhältnis zu Carlos irgendwie beschädigt hatten...
„Ja, aber nachdem du erfahren hast, was ich für dich empfinde, warst du anders und dann bist du gegangen. Und dann waren unsere Gespräche-" Er brach ab. Etwas hemmte ihn, genau das auszusprechen, was er dachte, nur möglicherweise musste es endlich mal raus.
„Ja?", schien auch Carlos nur darauf zu warten, dass er fortfuhr.
„Nur noch oberflächlich. Nicht mehr wie vorher", begründete er, was ihn in der ganzen Zeit wohl mit am meisten verletzt hatte. Er wusste nicht, ob es stimmte, ob es da einen Zusammenhang gab. Vielleicht hätte er Carlos drauf ansprechen und das früher klären sollen. Aber er wollte sich nicht lächerlich machen, hatte vieles einfach runtergeschluckt und es hatte in seinem inneren Wurzeln geschlagen, sodass er es nicht vergessen konnte.
„Wieso hast du denn nicht gesagt?", musste Carlos ihn auch noch ausgerechnet danach fragen. Berechtigterweise, aber es hing ihm zum Hals raus, sowas immer wieder hören zu müssen. Ja, er war auch nicht perfekt und machte nicht alles richtig. Aber am Ende sagte nie einer, dass es ihm leidtat, wie es lief, dann lag es immer nur daran, dass er nichts gesagt hatte. Das hielt er anderen doch auch nie vor, sondern entschuldigte sich einfach.

„Man, Carlos! Ich hab dir dauernd gesagt, dass ich mal mit dir reden will", erinnerte er ihn also mal an eine nicht unwesentliche Kleinigkeit. „Du hast abgeblockt, weil du immer Ferrari oder Isa im Kopf hattest. Was hätte ich denn noch machen sollen?"
Mehr, als ihn immer mal wieder zu fragen, ob er ein paar Minuten Zeit für ihn hatte und immer wieder zu betonen, dass er Redebedarf hatte, konnte er doch auch nicht machen, oder? Wieso begriff das eigentlich nie jemand? Immer war es seine schuld, weil er nichts gesagt hatte. Sollte er die Leute zwingen, mit ihm zu sprechen?
„Das hab ich nicht gewusst. Du hättest mir doch sagen können, dass ich was falsch mache", beteuerte Carlos, der scheinbar nicht zuhörte oder nicht begriff, was er ihm hier sagte. Es war so ermüdend. Wieso konnte es denn nicht einfach wieder wie früher zwischen ihnen sein? Er vermisste das so sehr. Einen Freund, den er immer bei sich hatte...
„Hab ich doch versucht, man!"
Wie oft musste er ihm das jetzt noch sagen, damit er das auch mal begriff? Wieso konnte Carlos nicht einfach mal sehen, dass das blöd gewesen war? Es würde ihm völlig reichen, wenn er es einsah und ihm sagte, dass es ihm leidtat.

„Mir war das nicht klar, Lando."
„Ist doch jetzt auch egal!" Er konnte einfach nicht mehr weiter darüber streiten. Sein Gesicht fühlte sich schon ganz heiß an. Er war müde, er war erschöpft und er war es leid, dass die Leute nicht begriffen, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten.
„Ist es nicht. Es tut mir leid. Du bist mir als Freund verdammt wichtig und ich ehe, dass es dir nicht gut geht. Ich möchte dir helfen." Die Entschuldigung in Carlos' Worten entging ihm beinahe, aber da war sie endlich. Nur besser fühlte er sich immer noch nicht. Es war zu viel kaputt. Er hätte das deutlich früher gebraucht.
„Ich will deine Hilfe aber nicht!" Der konnte ihm ohnehin nicht mehr helfen. Dafür war es ebenfalls schon zu spät. Er steckte ohnehin zu tief drin und Carlos konnte da nichts machen.
„Sei doch nicht so stur", machte Carlos jedoch wieder den Fehler, ihm zu sagen, wie er zu sein hatte. Das nervte ihn am allermeisten, dass Leute immer wieder zum Ausdruck brachten, wie er aus ihrer Sicht sein und sich verhalten sollte.
„Das sagt ja genau der Richtige!", schoss er einmal mehr zurück. Das konnte echt nicht wahr sein, dass ausgerechnet ein Bock wie Carlos sowas zu ihm sagte. Als würde man gegen dessen Dickschädel besser ankommen.

„Na gut", seufzte Carlos irgendwann auf. „Wenn du drauf besteht, dann gehe ich wieder. Aber ich wäre lieber für dich da."
Fuck! Musste das jetzt sein? Gott! Wieso mussten die Leute eigentlich immer, wenn er sie komplett anschnauzte und versuchte, sie zu verletzen, einknicken und ihm noch mehr Verständnis entgegenbringen? Damit machte Oscar es ihm schon so schwer und nun machte Carlos denselben Scheiß! Er wollte ihn anbrüllen, dass das sein Problem war, dass er endlich abhauen sollte, aber er mochte ihn nach wie vor, wünschte sich ihre Freundschaft zurück und...
„Und wo schläfst du?"
Kacke! Wieso fragte er ihn das jetzt? Er war so dermaßen dumm. Zu dumm seine eigenen Pläne durchzuziehen. Das konnte echt nicht wahr sein.
„Ich find schon was."
Er sollte ihn echt ziehen lassen. Wenn er jetzt wieder nachgab, dann wurde er Carlos überhaupt nicht mehr los und dann hatte dieser endlos viel Zeit, um sich hier umzusehen, ihn zu analysieren und den ganzen Mist, den er weder wollte, noch zulassen durfte.

„Komm rein."
Er war ein kompletter Idiot...
„Bist du sicher?", wunderte Carlos sich natürlich auch über den Sinneswandel.
„Ich würde es an deiner Stelle annehmen, bevor ich es mir anders überlege."
„Schon gut."
Und damit betrat Carlos seine Wohnung gemeinsam mit der Reisetasche, was echt zu keinem Zeitpunkt seine Absicht gewesen war. Wie konnte man nur so bekloppt sein und sich das Leben wieder einmal so schwer machen?
„Und noch was", setzte er allerdings an, nachdem er seine Haustür wieder geschlossen hatte. Wenigstens eine Sache musste er klarstellen, wenn er schon so einen Schwachsinn verzapfte, sonst würde das sofort ins Auge gehen.
„Ja?"
„Wenn du mich noch mal auf das Chaos hier ansprichst, schläfst du auf der Terrasse!"
Denn darüber wollte er ganz gewiss keine Diskussionen mit Carlos führen.

„Geht klar."

Papaya ClashesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt